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Berlinale Blogger 2020
#MeToo-Drama The Assistant könnte nicht aktueller sein

The Assistant
©Forensic Films

Der erste fiktive Spielfilm der australischen Filmemacherin Kitty Green (Casting JonBenet) wurde von einer offensichtlichen Quelle - einem wichtigen, aktuellen Thema -  inspiriert.
 

Von Sarah Ward

The Assistant
wurde letztes Jahr auf dem Telluride Film Festival uraufgeführt, und sein internationales Debüt auf der diesjährigen Berlinale ist thematisch grade topaktuell. Der Schwerpunkt liegt auf Jane (Julia Garner) und ihrem Alltag als Assistentin einer Hotshot-Führungskraft in einer Filmproduktionsfirma. Der besagte Chef wird weder benannt, noch jemals gezeigt, aber er hat einen beachtlichen Stellenwert in der Branche. Er hat ein hartnäckiges Temperament und eine Vorliebe für private Couch-Sessions mit Möchtegern-Schauspielerinnen, wenn er nicht grade irgendwelche hübschen jungen Gesichter direkt von ihren kleinstädtischen Kellnerjobs aufschnappt und sie in Hotels unterbringt.

Der Offensichtliche Schatten

Es ist reiner Zufall, dass The Assistant in derselben Woche in Berlin gezeigt wurde, in der das Urteil in Harvey Weinsteins New Yorker Prozess verkündet wurde. Doch seit im Oktober 2017 erstmals Vorwürfe gegen den ehemaligen Filmmogul erhoben wurden, war ein Film zu diesem Thema unvermeidlich, und es werden zweifellos noch viele andere folgen, einschließlich solcher, die noch genauer ins Detail gehen. Ungeachtet dessen ist Kitty Green's nervenaufreibendes Drama - der erste fiktive Spielfilm der australischen Filmemacherin, nach ihren exzellenten Dokumentarfilmen Ukraine ist kein Bordell und Casting JonBenet - ein würdiger Verfechter der #MeToo-Bewegung auf dem Bildschirm.
The Assistant©Forensic Films
Die Erzählung, wie sie von Green geschrieben wurde, hätte direkt aus den unzähligen Artikeln stammen können, die Weinsteins toxischem Verhalten in den letzten Jahren gewidmet waren - als Führungskraft im Allgemeinen und in seinem Verhalten Frauen gegenüber im Speziellen. Jane ist die Erste die morgens im Büro eintrifft und die Letzte die abends geht. Sie kocht Kaffee, bestellt Mittagessen, sorgt dafür, dass dem Kopierer nie das Papier ausgeht, leert den Müll, wäscht das Geschirr, beantwortet das ununterbrochen klingelnde Telefon, gleicht Scheckbücher aus und organisiert den Zeitplan ihres Chefs, während sie gleichzeitig für ihn auf Abruf zur Verfügung steht und das herablassende Verhalten ihrer Kollegen erträgt. Sie wird zum Opfer seines Zorns und Ungestümheit, nachdem sie einen wütenden Anruf von seiner Frau entgegengenommen und äußerst sensibel gehandhabt hat. Jane bekommt auch mit, wie eine Reihe attraktiver Frauen sein Büro besuchen, was sie letztendlich dazu bringt, ihre Bedenken zu äußern.

Gleichzeitig Realistisch Und Vernichtend

Bereits früher in diesem Jahr hat Bombshell den hochkarätigen Skandal um sexuelle Belästigung in der Media-Branche thematisiert – und obwohl The Assistant schwerwiegend das gleiche Thema hat, könnte es dennoch kein unterschiedlicherer Film sein. Was hier so brutal und effektiv funktioniert, ist das Engagement von Green für den Realismus, selbst innerhalb solch offensichtlich dramatischen Grenzen. Julias Welt ist in Business-Grautöne gehüllt, ihre Aufgaben könnten im Prinzip nicht einfacher sein und ein Großteil des Filmes ist mit alltäglichen Kleinigkeiten gefüllt. The Assistant fühlt sich ein bisschen so an, als würde man einfach in irgendein Büro blicken und die alltäglichen Erfahrungen einer Assistentin mitverfolgen. Und genau so ist es eigentlich auch. Janes Arbeitsalltag erweist sich als äußerst vertraut und normal, da sich all dies schon unzählige Male zuvor ereignet hat - einschließlich der Normalisierung des sexuell übergreifenden Verhaltens eines mächtigen, gefeierten, praktisch unbesiegbaren Mannes.
 
Dementsprechend kombiniert The Assistant seine ach so alltäglichen Details mit einer überwiegend heimtückischen Stimmung und lässt nie in Spannung oder Terror nach. Dass Jane’s Horror von ihren mitschuldigen Mitarbeitern teilnahmslos akzeptiert wird - und dass Jane zum Außenseiter wird, bloß, weil sie denkt, dass hier etwas nicht stimmt -, fügt eine weitere, tiefere Ebene des Unbehagens hinzu. Dies gilt auch für die unerbittliche, sachliche Vorgehensweise von Green, die offenlegt was alles in der Öffentlichkeit lauert, anstatt sich mit schmutzigen Einzelheiten zu befassen. Wie durch Garners naturalistische Leistung überzeugend verankert, ist dies eine absichtliche, zerstörerische und verheerende Reaktion auf die Realität, die nicht nur die #MeToo-Bewegung hervorgebracht hat, sondern bereits viel zu lange in voller Sicht gelegen hat.

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