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Interview mit Johann Wolfgang von Goethe
„Alles Gescheite ist schon gedacht worden“

Gemälde von Goethe, der mit Hut und weißem Überwurf vor einer antiken Landschaft sitzt.
Das wohl berühmteste Portrait Goethes stammt vom Maler Wilhelm Tischbein, bei dem er während seines Aufenthalts in Rom wohnte. | Foto (Zuschnitt): © picture alliance/akg

Über Johann Wolfgang von Goethe dürfte so ziemlich alles berichtet worden sein, was es zu berichten gibt. Was aber würde der Superstar der Deutschen zu unserem heutigen Weltgeschehen sagen?*

Von Sarah Klein

Herr von Goethe, willkommen in der Gegenwart. Sie feiern nun Ihren 269. Geburtstag und bisher hat es kein anderer mit Ihrem Schaffenswerk aufnehmen können. Wie erklären Sie sich das?

Gewisse Bücher scheinen geschrieben zu sein, nicht damit man daraus lerne, sondern damit man wisse, dass der Verfasser etwas gewusst hat. Beifall lässt sich, wie Gegenliebe, nur wünschen, nicht erzwingen.

Diesen Beifall sucht man heute über Soziale Netzwerke – die Applauswährung unserer Tage sind Likes und Followerzahlen.

Die Welt urteilt nach dem Scheine. Die Wahl der Gegenstände zeigt immer, was einer für ein Mann und wes Geistes Kind er ist.

Nun, wenn Sie sich die prägenden Schlagzeilen der letzten Monate ansehen, fragen wir uns dies im Moment ständig. Warum ist Trump Präsident der USA? Wie kam es zum Brexit?

Handeln ist leicht, Denken schwer, nach dem Gedanken handeln unbequem. Der Patriotismus verdirbt die Geschichte. Wissen Sie, nichts ist widerwärtiger als die Majorität; denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkommodieren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will. 
Schon zu Studienzeiten Goethes eine beliebte Studentenkneipe, gibt es das Weinlokal Auerbachs Keller bis heute in Leipzig. Besondere Berühmtheit erlangte die Weinstube mit der Erwähnung im Roman „Faust I“. Schon zu Studienzeiten Goethes eine beliebte Studentenkneipe, gibt es das Weinlokal Auerbachs Keller bis heute in Leipzig. Besondere Berühmtheit erlangte die Weinstube mit der Erwähnung im Roman „Faust I“. | Foto (Zuschnitt): © picture alliance/Arco Images Also sind wir an der Situation selbst schuld? 

Ja und Nein. Tatsächlich war ich vollkommen überzeugt, dass  irgendeine große Revolution nie Schuld des Volkes ist, sondern der Regierung. Revolutionen sind ganz unmöglich, sobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend wach sind, so dass sie ihnen durch zeitgemäße Verbesserungen entgegenkommen.

Die Medien nehmen großen Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung. Insbesondere die Verbreitung von Fake News soll in den vergangenen Jahren weltweit Wahlen beeinflusst haben. Wieso schenken so viele Menschen offensichtlichen Falschmeldungen Glauben?
 
Man wird nie betrogen, man betrügt sich selbst. Denn am Ende hört doch jeder nur, was er versteht. Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.
Gute Freunde, die sich gegenseitig inspirierten: Goethes und Schillers reger Austausch führte zu einer neuen literarischen Epoche – der Weimarer Klassik. Gute Freunde, die sich gegenseitig inspirierten: Goethes und Schillers reger Austausch führte zu einer neuen literarischen Epoche – der Weimarer Klassik. | Foto (Zuschnitt): © picture alliance/akg-images Manche sagen, wir leben mittlerweile in einem Zeitalter der Intoleranz.

Im Praktischen ist doch kein Mensch tolerant! Denn wer auch versichert, dass er jedem seine Art und sein Wesen gerne lassen wolle, sucht doch immer diejenigen von der Tätigkeit auszuschließen, die nicht so denken wie er.
 
Sie sind viel gereist, in Italien verbrachten Sie gleich einige Jahre, sprachen gar davon, dort Wiedergeboren zu sein. Was macht für Sie die Faszination des Reisens aus? 

Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiss in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind. Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen. Alles, was uns begegnet, lässt Spuren zurück. Alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. Ich kann sagen, dass ich nur in Rom empfunden habe, was eigentlich ein Mensch sei. Zu dieser Höhe, zu diesem Glück der Empfindung bin ich später nie wieder gekommen. 
 
Gibt es noch etwas, das Sie uns mit auf den Weg geben wollen?

Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande.
Eine aquarellierte Farbzeichnung Goethes von 1809, die den Farbenkreis darstellt. In seinem dreibändigen Werk „Zur Farbenlehre“ wollte er das Phänomen Farbe in seiner Gesamtheit erfassen. Eine aquarellierte Farbzeichnung Goethes von 1809, die den Farbenkreis darstellt. In seinem dreibändigen Werk „Zur Farbenlehre“ wollte er das Phänomen Farbe in seiner Gesamtheit erfassen. | Foto: © picture alliance/CPA Media * Dieses Interview wurde im Jahr 2018 aufgezeichnet. Mit Ausnahme weniger Füllwörter hat Johann Wolfgang von Goethe alle Aussagen zu Lebzeiten so getätigt.

 

Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ist bis heute eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Literatur, ganze Epochen wurden nach seinem Schaffenswerk benannt – wie Goethezeit oder Weimarer Klassik. Goethe gilt als Universalgenie, er war nicht nur Literat und Dichter, sondern auch Naturforscher und Jurist. Viele seiner persönlichen Erlebnisse fanden später Niederschlag in seinen Romanen. So entstand Die Leiden des jungen Werther als Verarbeitung seiner unglücklichen Liebe zu Charlotte Buff, und das von ihm während seiner Studienzeit in Leipzig oft frequentierte Weinlokal Auerbachs Keller erreichte überregionale Popularität durch die Erwähnung in Faust I. Neben einigen Zwischenstationen in Straßburg, seiner Heimatstadt Frankfurt am Main und Italien verbrachte Goethe die längste Zeit seines Lebens in Weimar. Dank seiner produktiven Zusammenarbeit mit dem später ebenfalls in Weimar beheimateten Friedrich Schiller gilt der Ort bis heute als die Stadt der Dichter und Denker und steht namentlich Pate für die literarische Epoche der Weimarer Klassik. Goethe widmete sich zudem intensiv den Naturwissenschaften, beschäftigte sich mit Mineralogie, Anatomie und Physik, belegte medizinische Seminare und Sezierkurse und verfasste ein dreibändiges Werk über die Farbenlehre.

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