Liberté Pygmée (Freiheit der Pygmäen)

Bifolone737 ©G. Loumpet


Liberté Pygmée (Freiheit der Pygmäen) ist ein Kunstprojekt mit sozialen und Umweltweiterungen, das auf Anfrage einer Baka-Gemeinde aus dem Dja-Biosphärenreservat im Osten Kameruns durchgeführt wurde. Die grundlegenden historischen Veränderungen, mit denen die Pygmäen-Gemeinschaft konfrontiert ist, haben sie dazu veranlasst, ein ehrgeiziges Projekt im Rahmen des internationalen Programms „Les Nouveaux Commanditaires“ (Die Neuen Geldgeber) in Auftrag zu geben. Nach einem sechsjährigen Reifeprozess wird dieses Projekt am 25. März 2022 feierlich eröffnet.

Das Projekt sieht drei wesentliche Veränderungen in der unmittelbaren Umgebung der Gemeinschaft vor: ein auf 80 Quadratmeter gebautes Museum mit etwa 30 Exponaten, einen botanischen und ökologischen Rundweg, der sich auf fast 24 km im Wald erstreckt und eine Bühne, auf der die berühmten polyphonischen Gesänge der Gemeinschaft aufgeführt werden. 

Das Programm „Les Nouveaux Commanditaires“ wurde in Kamerun von seinem deutschen Leiter Alexander Koch in die Wege geleitet, dann von der Baka-Gemeinschaft in Bifolone (im Département du Haut-Nyong) unter der Mediation von Professor Germain Lumpet (Kamerun) umgesetzt.
 

Das Konzept der „Nouveaux Patrons“ (New Patrons)

Die Aktion „Les Nouveaux Commanditaires“ (Die Neuen Geldgeber/Sponsoren/Mäzenen) unterstützt Mitglieder der Zivilgesellschaft (Einwohnergruppen, Vereinsmitglieder, Arbeitnehmer, Forscher etc…) bei der Unterstützung eines an einen zeitgenössischen Künstler vergebenen Auftrags. Ein auf die Kunstszene spezialisierter Mediator unterstützt die Bürger (die eigentlichen Auftraggeber) bei der Ausarbeitung der künstlerischen und technischen Spezifikationen des Auftrags und schlägt den am besten geeigneten Künstler vor, der diesen Auftrag bekommen soll. Die Grundsätze des Programms „Neue Mäzenen“ sind mit gesellschaftlichen Problemen verbunden (zum Beispiel mit der Landflucht und der Entvölkerung ländlicher Regionen, mit der Wiederbelebung sozialer Bindungen, mit der Suche nach der Identität einer Gemeinschaft oder eines Gebietes etc…). Seit seiner Gründung im Jahre 1991 sind über 500 Kunstwerke entstanden und in Europa, in Nord- und Süd-Amerika und in Afrika produziert worden. Daran haben sich Künstler mit unterschiedlichen Praktiken, aus unterschiedlichen Richtungen und von internationalem Format beteiligt.

Mit dem Projekt der „Neuen Mäzenen“ verändert sich der Kunstauftrag, der traditionell den Institutionen vorbehalten war. Er unterstützt die Erneuerung des Vertrags zwischen den Künstlern und der Zivilgesellschaft und vereint in einem bestimmten Gebiet ein System von öffentlichen und privaten Partnern für die Realisierung der Kunstwerke. Der Künstler tritt in Kontakt mit dem Gebiet und dessen Publikum sowie mit dessen Problemen usw., um den von den Auftraggebern formulierten Bedürfnissen gerecht zu werden und ihr Kunstschaffen zu nähren. Dieses langfristige Eintauchen in das Gebiet gehört zum Schaffensprozess. Und wie der Forscher Emmanuel Negrier daran erinnert, „bringen die Neuen Auftraggeber eine Utopie zum Ausdruck, die darin besteht, der Gesellschaft ein Verhältnis künstlerischer Verantwortung aufzuerlegen, das aus einer aufsteigenden Bewegung der Bestellung resultiert, im Gegensatz zu einem absteigenden Verhältnis des Empfangs eines Angebotes.“

Das Projekt „Liberté pygmée“ (Freiheit der Pygmäen)

Dieses Projekt wurde im Jahre 2015 von und innerhalb der Baka-Gemeinschaft von Bifolone im Dja-Biosphärenreservat im Osten Kameruns ins Leben gerufen. Es wurde nach einer Reihe von Reflexionen und Beratungen mit unterschiedlichen Gemeinschaften und Experten (Intelligenzen) in verschiedenen Regionen von Kamerun ausgewählt und umgesetzt.


Hintergrund und historische Elemente (von Germain Loumpet)

Die Gemeinschaft der Baka ist ursprünglich ein nomadisches Jäger- und Sammlervolk, das sich seit etwa fünfzig Jahren in einem schwierigen und stumpfsinnigen Umwandlungsprozess hin zu einer sesshaften Lebensweise befindet. Diese Lebensweise wird von neuen Normen bestimmt. Es handelt sich um einen Wandel, der nicht ohne große Probleme vonstattengeht, hier wären zum Beispiel die durch den manchmal unverantwortlichen Kulturtourismus verursachten Probleme zu erwähnen. Die Phase des kulturellen Übergangs  bedeutet nämlich eine Umwälzung des technischen Systems, des Überbaus der formellen Welt und des Wertesystems. Die Baka-Pygmäen leben nicht mehr so, wie ihre Vorfahren noch vor zwei bis drei Generationen gelebt haben, ohne jedoch die Lebensweise und den Zugang zu Ressourcen der benachbarten nicht-pygmäischen Bevölkerung (Bantu) vollständig zu teilen: eine Einzigartigkeit, die eine Analyse auf der Grundlage neuer Paradigmen der Interaktion von Gesellschaft und Umwelt verdient. Das Dorf Bifolone bietet in diesem Fall eine privilegierte Situation für ein Experiment in vivo für die „Neuen Auftraggeber“ bei der Beobachtung der symbolischen Ausdrucksformen, die von einer Gesellschaft angewandt werden, wenn sie sich unweigerlich mit einem kulturellen Wandel konfrontiert sieht.

Der Auftrag: Projektbeschreibung

In ihrer Gesamtheit äußerte die Baka-Gemeinschaft von Bifolone den Wunsch nach symbolischen Kunstwerken, die sowohl die Wahrnehmung  und die Vorurteile ihnen gegenüber verändern als auch ihren Übergang zu neuen Bestrebungen markieren sollen. Es sollte sich um moderne Kunstwerke handeln, die diesen Übergang zu einem halb-sesshaften Leben vorwegnehmen, und zwar durch patrimoniale Orte wie etwa das Pflanzenkonservatorium in situ und durch den Raum für alte oder neue und in diesem Fall an die neue Lebensweise angepasste Herstellungstechniken und schließlich durch den Bühnenraum für alle Aufführungen. Die Baka-Gemeinschaften sind in der Tat für ihr Wissen über ihr Ökosystem bekannt: Bäume und Pflanzen sind Teil der Alltagskultur und jeder Einzelne besitzt ein außergewöhnliches Wissen, das er für seinen Lebensunterhalt nutzen kann.
Aufgrund des besonderen Bedürfnisses und Wunsches der Baka-Gemeinschaft, sich die modernen Veränderungen, denen sich ihre traditionelle Kultur nicht entziehen kann, auf kreative Weise anzueignen, wurde, im Gegensatz zu anderen New-Patrons-Projekten, ein kreativer Prozess gemeistert, bei dem nicht ein einzelner Künstler um den Auftrag sich bewarb, sondern ein Kollektiv lokaler und regionaler Kräfte zusammen kam, um das Projekt zu entwerfen und zu produzieren.


Kontakt: Goethe-Institut Kamerun: +237 655 498 869 / info-yaounde@goethe.de