Regionalprojekt Die Zukunft der Erinnerung

Kuratoren bauen eine Erinnerungsmaschine Foto: Felipe Moreno © Mapa Teatro

Mi, 29.03.2017 –
So, 12.08.2018

Regionalprojekt von sieben Goethe-Instituten in Südamerika

„Wie werden wir uns in Zukunft an die Vergangenheit erinnern?“ Dieser Frage widmet sich eine Initiative von sieben Goethe-Instituten in Südamerika von Bogotá bis Montevideo. Künste, Wissenschaft und Zivilgesellschaft entwickeln dabei gemeinsam dynamische Formen der Erinnerungsarbeit – im digitalen Zeitalter. Zum Auftakt reflektiert das Künstlerkollektiv Mapa Teatro den fünfzigjährigen Konflikt in Kolumbien.
 
Fast alle Länder Südamerikas haben Erfahrungen mit Terror, Flucht und bewaffneten Konflikten. Diese liegen oft in jüngster Vergangenheit, Wunden sind kaum verheilt, die Täter unbestraft und tausende Tote nicht gewürdigt. Wie lässt sich Erinnerung da kollektiv und individuell lebendig aufarbeiten und in die Zukunft transportieren? Welche Impulse kann ein regionaler und transdisziplinärer Austausch, insbesondere mit den Künsten, geben? Wie lassen sich aktuelle Krisen – etwa in Brasilien, Argentinien und Kolumbien – im Kontext vergangener Konflikte besser verstehen?
 
Wahrheitsfindung und Versöhnung
Mit dem Regionalprojekt „Die Zukunft der Erinnerung“ möchte das Goethe-Institut einen öffentlichen, prozessorientierten Raum schaffen, der über zwei Jahre hinweg der Reflexion und künstlerischen Produktion dienen und sich in die Zukunft gerichteten Fragen des Erinnerns (und gegebenenfalls auch des Vergessens) widmen soll. Das Projekt richtet sich an Künstler, Studierende, Denker, Aktivisten, Kuratoren und Verantwortliche in Politik, Museen und Gedenkstätten sowie ein allgemeines Publikum – in einem globalen, von neuen Informationstechnologien geprägten Kontext.
 
Der Fokus liegt dabei auf Möglichkeiten und experimentellen Formaten der Künste, die interessante und dynamischere Alternativen zu teils festgefahrenen Praktiken von Gebrauch – und Missbrauch – der Erinnerung bieten können, und die es gilt, sichtbar zu machen. Die Initiative möchte außerdem neue Kontakte und nachhaltige Netzwerke initiieren und fördern – sowohl innerhalb von Südamerika als auch mit Europa und anderen Regionen der Welt.
 
Konkret entwickeln Künstler-Kuratoren-Kollektive dazu in sieben Metropolen eigene Artikulationsmöglichkeiten mit lokalem und regionalem Bezug. Dabei greift das Projekt auch bestehende Synergien und bereits geleistete Vorarbeit auf: etwa die AppRecuerdos („ErinnerungsApp“), die aus einer Zusammenarbeit von Rimini Protokoll, dem Goethe-Institut in Santiago de Chile und dem chilenischen SonidoCiudad entstanden ist, sowie verschiedenste Theaterproduktionen, Foren und Initiativen zum Thema, die die Goethe-Institute in Südamerika schon seit Jahren begleiten.
 
Seit Ende März präsentieren sich die Akteure des Projekts mit ihren Arbeiten der Öffentlichkeit, auch über eine den Dialog befördernde Webplattform: www.goethe.de/memoria. Neben der Dokumentation der Aktionen in den verschiedenen Städten werden hier ab Ende März 2017 u.a. regionale Fragestellungen zum Thema formuliert und diskutiert, digitale Kunstprojekte initiiert und ein Mapping spannender Projekte in Südamerika erstellt.
 
Bogotá: Erinnerungsmaschinen
Den Anfang macht das international bekannte Künstlerkollektiv Mapa Teatro am 29. März in Kolumbien auf der jährlich stattfindenden Künstlerakademie Experimenta/sur. Unterschiedlichste Experten, darunter eine Historikerin, ein Philosoph, eine Richterin, ein Soldat und ein Priester, kommen hier zusammen und nehmen Zeugenaussagen kolumbianischer Frauen in den Blick, welche Opfer des bewaffneten Konfliktes wurden, und präsentieren sie aus ihrer je eigenen Perspektive. Diese fünf „Prozesse der Erinnerung” werden anschließend in einen poetisch-kreativen Kontext gestellt und von Künstlern aus ganz Lateinamerika bearbeitet. Als Medium und Plattform steht ihnen hierfür eine von Mapa Teatro entworfene „Erinnerungsmaschine” zur Verfügung.
 
Buenos Aires: vier Erzählungen
In Buenos Aires haben sich die Kuratoren Marcelo Brodsky, Mariano Speratti, Gabriela Golder und die Grupo ETC zusammengeschlossen, um Berichte und Fiktionen zur zukünftigen und vergangenen Erinnerung Argentiniens und seiner Beziehung zur Aktualität zu schaffen. Dabei entwickeln sie vier Erzählungen, die jeweils von einem der teilnehmenden Künstler umgesetzt werden.
 
São Paulo: „Contra-Memoria“
São Paulo widmet sich der Erfahrung dreier sozialer Bewegungen: den „Müttern des Platzes der Mairevolution“ (Madres de Mayo), den „kämpfenden Studierenden“ (Movimiento de estudiantes secundarios en lucha“) und der Comunidad Tenondé Pora del Pueblo Indígena Guarani Mbya. Für jede dieser Gruppen wird ein Ritual ausgewählt (z.B. ein Fest, ein Umzug, ein Denkmal oder ein Feiertag) und in Zusammenarbeit mit Künstlern und Denkern, u.a. Benjamin Seroussi und Clara Ianni, dann an der Umsetzung eines Gegen-Rituals, also einer „Kontra-Erinnerung“, gearbeitet.
 
Montevideo: neue Perspektiven für Archive
Auf Initiative des Künstlerkollektivs Hornero Migratorio wird ein Dialog mit dem Generalarchiv in Montevideo mit dem Ziel einer künstlerischen Intervention begonnen. In Bezug auf die Erinnerung der Stadt wird eine künstlerische Reflexion von Gegenwart und Zukunft entstehen.
 
Río de Janeiro: Moment – Monument

In Río arbeiten Wissenschaftler und Künstler gemeinsam mit den Bewohnern von Vila Autódromo, die sich lange gegen die Räumung ihrer Siedlung gewehrt haben, an Themen wie Territorien der Erinnerung, sozialen Konflikten und der Perpetuierung von Gewalt. Dabei hat das Projekt drei Ziele: den Aufbau eines lebendigen Archivs, die künstlerische Auseinandersetzung mit Erinnerung und Territorium nach Räumungen oder Enteignungen sowie die Vernetzung mit anderen Gemeinden, denen ähnlich bevorsteht oder bereits widerfahren ist.
 
Lima: Theater und Erinnerung
Der Fortbildungskurs “Theater und Erinnerung” ist aus einer Kooperation des Goethe-Instituts mit dem Kulturzentrum der Universidad del Pacífico entstanden. Im politischen Theater wird die Bühne zu einem Ort der Verhandlung gesellschaftlicher Gewaltkonflikte. Es macht sich zur Aufgabe, historische Ereignisse darstellend zu rekonstruieren und bricht dabei die oft zu einfachen Zuweisungen von Gut und Böse auf, um stattdessen die Komplexität von Täter- und Opferrollen aufzuzeigen. Auf diese Weise lässt sich Erinnerung schaffen, verhandeln und verarbeiten.
 
Deutschland als Gesprächspartner
Eine wichtige Referenz für Kolumbien, das im Zuge seines laufenden und nicht einfach umzusetzenden Friedensprozesses den Anfang für das Regionalprojekt „Die Zukunft der Erinnerung“ stellt, aber auch für die anderen beteiligten südamerikanischen Länder ist in diesem Zusammenhang natürlich auch der Umgang mit der deutschen Geschichte und der dort – wie auch global – stattfindenden, aktuellen Diskussionen zur Revision von traditioneller Erinnerungsarbeit. 2013 hielt Bundespräsident Joachim Gauck in Bogotá eine Rede mit dem Titel „Erinnerungskultur und Versöhnung in Deutschland“, in der er die Aufarbeitung des zu DDR-Zeiten begangenen Unrechts nach der Wende beschrieb. „Mentalitätswechsel ist möglich“, beschwor Gauck die Zuhörer an der Universidad de los Andes. Daran orientiert sich auch das Goethe-Institut und unterstützt Projekte, die sich mit neuen Formen von kollektiver und individueller Geschichtsschreibung mit dem Ziel der Zukunftsgestaltung auseinandersetzen.
 
 

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