Hengameh Yaghoobifarah
Ministerium der Träume

Hengameh Yaghoobifarah
© Tarek Mohamed Mawad

Hengameh Yaghoobifarah (geb. 1991) ist wahrscheinlich eine der spannendsten Personen in der politischen Popkultur hier und jetzt. Der Debütroman Ministerium der Träume ist ein Identitätsroman mit vielen Handlungssträngen, gefüllt mit Popmusik, Einsamkeit, handlungstreibender Fiktion und hardcore Sozialrealismus.

Von Ditte Hermansen


Ich hatte Maman geschworen, Nush niemals aus den Augen zu lassen. Aber was sollte ich tun, wenn sie nicht mit mir kommen wollte?

Hengameh Yaghoobifarah (them/they) ist in der linksorientierten Popkultur allen ein Begriff. Zwischen Provokation und Pop, stellt Der Spiegel fest. Hengameh Yaghoobifarah arbeitet in der Redaktion des Missy Magazines, schreibt regelmäßige Beiträge in der TAZ und in den Sozialen Medien (@habibitus) und legt am Abend als DJ auf. Mit Ministerium der Träume (2021) liegt jetzt das Prosa-Debüt vor, und was für eins! Im letzten Jahr zog Yaghoobifarah besondere Aufmerksamkeit auf sich, als eine satirische Kolumne in der TAZ zu einer Anzeige wegen Volksverhetzung führte. Die Kolumne trägt den Titel All cops are berufsunfähig und nimmt uns mit in ein Gedankenexperiment: Wo würden Polizeibeamt*innen arbeiten, würde man die Polizei abschaffen? Mit schlecht versteckter ironischer Kritik folgert Yaghoobifarah, eine Mülldeponie sei die passende Endstation. Das rief sowohl die Polizei als auch Innenminister Seehofer auf die Barrikaden, während Yaghoobifarah in aller Ruhe die Arbeit am Manuskript über die Geschwister Nasrin und Nushir und eine wesentlich ausführlicher dargelegte Pointe abschloss.

Einsamkeit und Popmusik, Mordmysterium und Solidarität unter Geschwistern


Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume © © Ditte Hermansen Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume © Ditte Hermansen
Yaghoobifarah hat einen Roman über Identität geschrieben, der erstaunlich handlungsgetrieben daher kommt. Am Anfang des Buches landen wir mitten im Schmerz. Die Polizei klopft an Nas’ Tür in Berlin klopft und erzählt, dass ihre Schwester Nush bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Eine Welt stürzt zusammen, muss aber schnellstens wieder zusammengeflickt werden, denn Nas steht jetzt mit der Verantwortung für ihre Nichte da, ganz zu Schweigen vom Job als Türsteherin einer Queer-Bar, Elternabenden, Kindheitstraumen, einer ewig enttäuschten Mutter und nicht zuletzt dem Gefühl, dass Nushs Tod kein Unfall war.

Es geht um viel in Ministerium der Träume. Da wäre die Rahmenerzählung, die Flucht der Familie aus Teheran zu Beginn der 80er Jahre, das Aufwachsen in Lübeck mit iranischem Hintergrund und wachsendem Rechtsradikalismus: Auf der Flucht auf dem Jahrmarkt, inmitten von Zuckeräpfeln und der Menschenmenge; Entsetzt guckten wir uns an, formten mit dem Mund stumme Sätze mit denen wir eine noch so labile Strategie zu entwickeln versuchten. Ich behielt die Typen im Blick, die jetzt in eine hitzige Diskussion darüber eingetaucht waren, ob ihre deutschen Schwänze es überhaupt wert waren, in uns hineingesteckt zu werden oder nicht.

Und da sind Stimmen aus der Vergangenheit, vor denen man nicht flüchten kann. Das Tempo im Roman ist so verwirrend hoch wie der Flirt mit allen möglichen Genres, es geht hin und her zwischen langen, atmosphärischen Beschreibungen und erzählenden Rückblicken und einem atemberaubender Krimiplot inklusive Entführung und Katastrophe. Für mich ist Yaghoobifarahs poppiger Ernst die Stärke des Romans, der Sarkasmus und die Wut, wie z.B. in dieser eigentümlichen Beschreibung der Mädchen in der Klasse: Für mich waren das alles Pferdemädchen, selbst wenn sie nicht ritten.

Gaststars wie Prince, Rihanna und Frank Ocean liefern den Soundtrack zu einer Liebesgeschichte, die letztendlich von Geschwistern handelt. Besteht man auf einem “aber”, ist der Roman vielleicht gerade so eben an der Grenze, was die vielen unterschiedlichen Handlungsstränge angeht. Die scharfe Kartoffel-Kritik entfaltet sich relativ smooth in poppig-schönen Wendungen à la Sie pustete den Rauch aus und signalisierte mir, einfach das Fenster aufzumachen und nichts weiter zu sagen über das Sommermärchen, das zur German Horrorstory werden sollte in den verschiedenen Handlungssträngen über Rassismus, Queerness und die Flucht aus Teheran. Und doch fühlt sich der Krimi-Plot ein bisschen zu forciert und upbeat an. Trotzdem möchte ich Ministerium der Träume auf jeden Fall empfehlen, und vielleicht sogar, sich ein bisschen näher mit Yaghoobifarah zu beschäftigen, die Twitterposts, Artikel, Podcasts usw. mit Schallgeschwindigkeit produziert!  


 

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