Interview mit Berlunes
“Sei Schmied deines eigenen Berlin-Abenteuers”

Berlunes: Elija su propia aventura en Berlin
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Im Februar 2016 präsentierte die Gruppe Berlunes ihre erste Buchveröffentlichung „Elija su propia aventura en Berlín“. Ein Jahr danach erinnern wir uns an diese Begegnung und veröffentlichen das Interview, das wir damals geführt haben.

Berlunes, wie entstand euer Blog und woher kommt der Name?

Der Blog entstand, weil wir gesehen haben, dass es unter Spaniern in Berlin und Deutschland ein potenzielles Zielpublikum für eine Website gab, die anders ist als die meisten anderen damaligen Websites, die vom Stil her alle eher hip und trendy waren. Wir wollten etwas in Bewegung bringen und ein bisschen polemisieren. Und dann entwickelte sich alles fast wie von selbst, wie ein verwöhntes Kind, das in sich selbst verliebt ist und wie eine Lawine immer größer wird. Zunächst war es ein Blog, der aus mehreren Blogs bestand, ein Blog mit verschiedenen Avataren. Einige starben nach ihrer Geburt wieder. Andere leben immer noch und einige sind noch gar nicht geboren. Es ist eine Art Universität oder Lehrstuhl für den Studiengang „Berlinologie“. Figuren treten auf und erzählen ihre Geschichte. Sie sind maskiert, damit sie noch ein wenig sarkastischer und gemeiner sein oder auch mal austeilen können. Berlunes hat inzwischen verschiedene Bereiche wie die Stellensuche oder ein schwarzes Brett und bietet Nutzern Interaktionsmöglichkeiten. Diese Bereiche wurden nach und nach hinzugefügt. Das Erfolgsgeheimnis des Blogs besteht vielleicht darin, dass er Informationen auf andere Art und Weise vermittelt. Und er heißt Berlunes, weil alles immer montags passiert. Der Montag ist eine Ausrede, ein Tag, dem ein gewisser Zauber innewohnt.
 

Verlierer sind interessanter als Gewinner


Der sarkastische Ton des Buchs und die verschiedenen Formen des „Scheiterns“ des Protagonisten bzw. Lesers legen nahe, dass ein Umzug nach Berlin keine gute Idee ist? Ist das wirklich so?

Es ist wie im wirklichen Leben. Manche Leute scheitern und andere nicht. Das Wort „scheitern“ müsste man erst mal definieren. Ein Kapitel endet damit, dass der Protagonist sich entscheidet, in Berlin zu bleiben und ein normales Leben zu führen. Und dann stirbt er. Er war sehr gut integriert und der perfekte Deutsche. Es ist ein mögliches Ende. Aber in vielen Kapiteln hat diese Figur, die durch Berlin läuft, sicherlich etwas von einem Verlierer. Aus zwei Gründen: Erstens sind uns einige der Geschichten wirklich passiert und wir kennen dieses Gefühl, dass alle gegen dich sind. Aber es gibt auch dramaturgische Gründe. Denn um eine gute Geschichte zu erzählen, ist ein Verlierer interessanter als ein Gewinner. Wir wollten außerdem diesem Diskurs der Massenmedien etwas entgegensetzen, dass in Berlin alles super ist, dass einem der rote Teppich ausgerollt wird, dass man sofort eine Wohnung, einen Job und Freunde oder einen Partner findet und dass alles perfekt läuft. Denn das stimmt so nicht.

Aber glauben die Leute das wirklich immer noch?

Es gibt scheinbar eine Art ungeschriebenes Gesetz oder einen (in)offiziellen Diskurs, der vor allem auch wegen bestimmter idealisierender Fernsehsendungen im Umlauf ist. Oftmals klammern sich die Leute an einen Strohhalm. Sie sehen Sendungen wie Españoles por el mundo oder Callejeros viajeros und sind so verzweifelt, dass sie dem schöngefärbten Bild der Emigration, das gezeigt wird, Glauben schenken. Aber das sind Lügenmärchen. Wenn man in ein Land wie Deutschland kommt, dann lebt man von der Hand in den Mund und hat es nicht leicht, weil man kein Geld hat. Die Leute klammern sich an ein Wunschbild. Sie sagen sich, wenn ich in Spanien nichts finde, dann gehe ich nach Deutschland, weil sie in Españoles por el mundo gesehen haben, dass dort alle erfolgreich sind. Und wir sind militante Kämpfer gegen diese Dummheit. Der Film Perdiendo el norte ist in diesem Ton gehalten. Die Aussage lautet: „Naja, ... aber Ende gut, alles gut, oder? Aber das stimmt nicht! Am Ende ist gar nichts gut! Wenn man zwei Fehler begeht, ist man weg vom Fenster. Man stirbt im wahrsten Sinne des Wortes und erfriert in der Reichenberger Straße.


Wahre Geschichten aus dem Leben


Inwieweit enthält das Buch autobiographische Elemente?

Alles, was in dem Buch passiert, hat einen Wahrheitsgehalt von 92,6 Prozent. Der Rest sind kleine Ausgestaltungen, Zuspitzungen oder Übertreibungen einiger Aspekte, die möglicherweise erfunden sind. Aber eigentlich basiert das Buch zu nahezu 100 Prozent auf wahren Geschichten, die tatsächlich passiert sind. Es gibt zum Beispiel wirklich Personen, die erfroren sind. Es handelt sich gewissermaßen um eine Gesellschaftschronik. Wenn wir solche Situationen nicht erlebt hätten, dann gäbe es dieses Buch nicht. Viele Situationen sind tatsächlich übertrieben und haben literarische Elemente. Aber in einigen Fällen hätte man es sich nicht besser ausdenken können. Manchmal ist es schwierig, die Trennlinie zu ziehen zwischen Realität und Fiktion. Aber wenn wir nicht in Berlin gelebt hätten, dann gäbe es dieses Buch sicherlich nicht.

Was hat es mit dem Format auf sich, bei dem man seinen eigenen Weg durch die Geschichte wählen kann?

Als wir jung waren, hatten wir Bücher in diesem Format. Aber es entspricht auch sehr der Erfahrung, die man macht, wenn man ins Ausland geht. Als Kind muss man keine Entscheidungen treffen, eigentlich erst, wenn man älter wird. Man bekommt alles vorgelegt und wenn man Entscheidungen treffen muss, dann sind sie sehr einfach. In dieser Hinsicht ist Berlin ein Ort, an dem man viele Entscheidungen treffen muss. Sie haben nicht nur - wie in Spanien auch – Auswirkungen auf dein Leben, sondern wesentlichen Einfluss auf das, was dir passiert. Und genau das wollten wir unterstreichen.