Juli 2022
Ulrike Draesner: "This Porous Fabric"

Bucheinband: this porous fabric
© Shearsman Books

Ulrike Draesners Lyrik bietet Fans von Edwin Morgan viel Potential sich zu verlieben.

Es fühlt sich leicht frevelhaft an, jemanden mit Edwin Morgan, Schottlands erstem Nationaldichter, zu vergleichen. Morgan starb kurz bevor ich mein Studium abgeschlossen habe und seitdem bin ich immer wieder von Menschen umgeben, die sich an „Eddies“ Großzügigkeit mit tiefer Liebe und Respekt erinnern. Morgan war einer der wichtigsten schottischen Lyriker*innen des zwanzigsten Jahrhunderts und sein Erfindungsreichtum und wahrer Internationalismus zeichneten ihn aus. (Als ich mich neulich als Schottin vorstellte, reagierte eine brasilianische Schriftstellerin mit „Ah! Edwin Morgan!“) Ich persönlich liebe Morgans ernste Spielfreude (wie z.B. in „Das Lied des Loch Ness Monsters“) sowie die Zartheit in Gedichten wie „Erdbeere“.

Und dennoch ist Morgan die Vergleichsgröße, die am besten passt, wenn ich versuche, Ulrike Draesners breitgefächertes Werk zu beschreiben, das dieses Jahr in der zweisprachigen Edition this porous fabric mit originellen Übersetzungen von Iain Galbraith erschienen ist. Was mich bei Draesner fasziniert ist genau das, was ich bei vielen von Morgans Gedichten liebe: eine spielerische Bereitschaft die Sprache in die kleinsten Elemente auseinanderzunehmen, um sie dann wieder zusammenzusetzen. In ‚exit erdbeerklee’, was für mich den Verlust der Biodiversität widerspiegelt, wird der Text mehrmals wiederholt und verliert dabei immer mehr Buchstaben, bis am Ende der Sinn völlig verzerrt ist. In anderen Gedichten wie ‚paprika, mamrika‘ spielt sie mit den Buchstaben, deren Aussprache ihre Tochter gerade lernt:

seit drei tagen kann sie das r und
wie sagte sie „paprika“ nach der kita
„mamrika“ wir lachten liefen riefen
ros: fahrradkringerkaufen zur berohnung

Anderswo werden durch Draesners überschwängliche Kreativität die Rufe der Vögel in die Gedichte eingewebt: „wit wit wit / scheun wedder hüt / und dat frrreujoorrrrr / is nich mehr wit“.

Vor allem in Dreaesners jüngeren Gedichten wird die Naturwelt immer wieder hervorgehoben, wobei sie es schafft, Freude und Ehrfurcht mit der Kenntnisnahme von der Zerstörung, welche die Menschheit oft anrichtet, zu kombinieren: In ‚pastorale‘ stellen sich „zwei schneeweiße vögel am ende des parkplatzes“ als „zwei / kanister. schneeweiß / schneeweiß biozid“ heraus.

Draesner benutzt kaum Interpunktion und wenn man ihre Gedichte liest, hat man manchmal den Eindruck, dass man durch ein dunkles Fenster guckt, sich nur langsam ans Licht gewöhnt und die einzelnen Bilder selbst zu einem Ganzen zusammenbaut. Das klingt vielleicht abschreckend, die Gedichte lesen sich dennoch unmittelbar und eindrucksvoll („wie die straßenbahn sich kreischend / in die kleinste kurve schlang“ beginnt ein Gedicht). Das sind Gedichte, die die Leserin einladen, sie nochmal zu lesen, langsam zu lesen und laut zu lesen. Sie laden uns ein und bitten uns, unseren eigenen Weg durch die Räume zu finden, die sie entwerfen.

Über die Autorin

Annie Rutherford macht Sachen mit Wörtern, und verfechtet übersetzte Literatur aller Arten. Sie arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Veranstalterin, und recherchiert im Moment die Möglichkeit, eine Residenz für Schriftsteller*innen im Exil in Edinburgh zu etablieren. Sie  leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.


Glasgower Bibliothek: Andere Werke von Ulrike Draesner.

Onleihe: Andere Werke von Ulrike Draesner.


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