März 2023
Esther Kinsky: Rombo

Bucheinband: Rombo
Bucheinband © Fitzcarraldo Press

Rombo, der fünfte Roman von Esther Kinsky, erinnert an Sarah Moss in seiner präzisen Sprache und detaillierten Beschreibung der Natur.

Anfang Februar 2023 traf ich die Entscheidung, über Esther Kinskys neuen Roman Rombo zu schreiben. Nur wenige Tage später wurden die Türkei und Syrien von einem verheerenden Erdbeben erschüttert. Plötzlich gab es eine herzzerreißende Parallele zwischen dem Roman auf meinem Nachttisch und den Nachrichten, die auf mein Handy einprasselten. Es erschien mir sowohl unheimlich als auch von trauriger Bedeutung, dass ich ausgerechnet jetzt darüber lesen wollte, wie sich ein Trauma in eine Landschaft einbauen kann, wie man sich emotional und geografisch neues Terrain erschließen muss.

Im Mai 1976 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 6,5 die Region Friaul im Nordosten Italiens. Damals sind fast 1.000 Menschen ums Leben gekommen, von Hunderttausenden sind sowohl Häuser als auch Tiere verschüttet worden, letztendlich war ihr gesamter Besitz davon betroffen. Wie es bei Erdbeben üblich ist, herrschte kurz davor eine unheimliche Stille, die bald in ein gutturales Grollen überging: il rombo. Die sieben Ich-Erzähler von Kinskys Roman, allesamt Kinder zu dieser Zeit, werden sich ihr Leben lang noch an dieses Geräusch erinnern. Es spielt eine große Rolle als sie die Ereignisse vor und nach dem Beben erzählen, verpackt in Geschichten, die sich verweben und langsam das Porträt einer nun verlorenen Gemeinschaft bilden.

Rombo (übersetzt von Caroline Schmidt) ist Kinskys fünfter Roman und ein Werk von präziser Schönheit, welches mich stark an Sarah Moss erinnert – insbesondere an ihre jüngsten Romane wie beispielsweise Summerwater. Es würde als Vergleich vielleicht näher liegen, ein anderes Erdbeben in der Belletristik zu finden, jedoch sind Kinskys sorgfältige Sprache und die vielstimmige Struktur die wahren Kennzeichen dieses Romans. Genau wie Moss bietet sie mit ihren genauen Beobachtungen eine ungewöhnliche Perspektive auf die Natur und wie wir Menschen damit umgehen. Die darin verborgenen Gefahren mögen offensichtlich sein, nicht nur durch die Bewegung tektonischer Platten und die über den Horizont ragenden Berge (in den vielen Nebengeschichten kommt es oft vor, dass ein Wanderer in den Tod abstürzt), doch im Grunde ist Rombo ein Liebesbrief an unseren Planeten, eine Feier der natürlichen Wunder – große und kleine.

Die menschlichen Stimmen des Romans – Toni, Anselmo, Mara, Olga, Silvia, Gigi, Lina – erscheinen fast zweitrangig neben dem ungesehenem, allwissendem Erzähler, der durch kurze Fragmente ein schriftliches Bildnis der Welt entstehen lässt. Einmal beschreibt er eine Reihe von heimischen Pflanzen, ein anderes Mal die Entstehung der Berge. Dabei spielen Schlangen stets eine wichtige Rolle, sowohl als bedrohliche als auch durchaus verwundbare Wesen; Sagen, Mythen und Legenden entspringen genau aus diesen Steinen, auf die sich Kinsky so oft konzentriert. Später werden in solchen Zwischenkapiteln Schwarz-Weiß-Fotos oder auch sogenannte Fundstücke beschrieben, die flüchtige Momente von fast vergessener Bedeutung festhalten.

Diese Erzähltechnik erinnert an Sebald (tatsächlich wurde Kinsky noch vor der Erscheinung dieses Romans mit dem ersten Sebald-Literatur-Preis zum Thema „Erinnerung und Gedächtnis“ ausgezeichnet) und ist genau das, was einen sonst fast handlungslosen Roman so fesselnd wirken lässt: Hier geht es vorwiegend um eine klare, äußerst schöne Sprache und nicht um eine packende Geschichte. Kompakt und straff, entfaltet sich Rombo regelmäßig in Momente von verblüffender Grazie und anmutender Lyrik. In der eleganten Übersetzung von Schmidt ist Rombo eine Hymne an das menschliche Leben und die Gemeinschaft, ein Roman, der diese unter der Erdkruste lauernde Macht als etwas erfreuliches aber auch angsteinflößendes betrachtet – eine Macht, die so viel größer und fortwährender ist als wir.

Über die Autorin

Eleanor Updegraff liest extrem gerne, besonders übersetzte Literatur. Sie ist Ghostwriterin, Übersetzerin aus dem Deutschen, Lektorin und Buchrezensentin, sowie Autorin von Kurzgeschichten und Essays. Sie ist in Großbritannien aufgewachsen und wohnt nun seit 2015 in Österreich. Wenn sie nicht gerade liest, sitzt sie im Kaffeehaus oder läuft um einen österreichischen See herum.


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