Christian Petzold
Im Zwischenreich

Christian Petzold am Set von „Barbara“.
Christian Petzold am Set von „Barbara“. | Foto (Ausschnitt): Arne Hoehne © Piffl Medien

Der deutsche Autorenfilmer Christian Petzold wurde unter anderem durch Filme wie „Die innere Sicherheit“ (2000), „Toter Mann“ (2001) oder „Barbara“ (2012) bekannt – ein Porträt.

Von Christian Petzolds Bilderwelt geht ein Sog aus. Diese bezwingende Wirkung beruht zu Teilen auf dem formalen Aufbau, dem visuellen Konzept, das allen Filmen zugrunde liegt. Von Petzolds erstem Film an, dem Fernsehfilm Pilotinnen (1995) ist der Kameramann Hans Fromm für die Fotografie verantwortlich. Das ist bis heute so. Die Fotografie ist klar und streng gehalten, nüchtern und sachlich. Die Filme Christian Petzolds sind von einer Reduktion auf das Wesentliche geprägt.

Eine Jugend in „Zwischendeutschland“

Der Regisseur wird der sogenannten Berliner Schule zugeordnet. Er wurde 1960 im nordrhein-westfälischen Hilden geboren und wuchs im Nachbarort Haan auf, in der Gegend zwischen Düsseldorf und Solingen. Was es heißt, im bundesrepublikanischen Mikrokosmos dieser beiden Kleinstädte groß zu werden, bezeichnet Christian Petzold selbst als ein Leben in „Zwischendeutschland“ – tiefste, spießigste Provinz. Dieses „Zwischendeutschland“, das innerhalb der Bundesrepublik beliebig transferierbar ist, von Region zu Region, von Provinz zu Provinz, ist bei Petzold zugleich ein „Zwischenreich“: ein Reich zwischen Leben und Tod, eines, in dem die Menschen ebenso beheimatet sind wie Geister oder Gespenster (2005) – so der Titel eines seiner Kinofilme.

Christian Petzold verlässt sein „Zwischendeutschland“, als er 20 Jahre alt ist. Zuvor, 1979, macht er Abitur und anschließend Zivildienst. Seit Beginn der 1980er-Jahre lebt er in Berlin. Nach einem Studium der Theaterwissenschaft und der Germanistik an der Freien Universität Berlin absolviert er in den Jahren zwischen 1988 und 1994 ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Pilotinnen, sein filmisches Debüt, ist zugleich sein Abschlussfilm an der dffb. Seinen Antrieb, Filmemacher zu werden, erklärt Petzold so: „Das Truffaut-Hitchcock-Buch Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? von 1966/1982. Und die furchtbar zersiedelte Vorstadt, ohne Kino, ohne Marktplatz, ohne Idee. Davon Bilder machen.“
 

Wurzeln in den Kinematheken

Seinem Debütfilm folgen zunächst zwei weitere Filme für das Fernsehen, Cuba Libre (1996) und Die Beischlafdiebin (1998), bis schließlich der Sprung vom Bildschirm auf die Leinwand gelingt: Die innere Sicherheit (2000), Petzolds Kino-Erstling, wird denn auch gleich zu den Filmfestspielen von Venedig eingeladen und 2001 mit dem Deutschen Filmpreis als bester Spielfilm ausgezeichnet – ein Film über ein Terroristen-Paar und dessen Tochter. Die Tochter, dargestellt von Julia Hummer, ist die Erzählerin. Der Film verknüpft das Gestern, die RAF, dieses Deutschland im Herbst, und das Heute, die deutsche Realität, den Druck der Gegenwart, miteinander: das Gespenst des Terrors und der Geist der Moderne. Die innere Sicherheit stellt den eigentlichen Kern des Petzold’schen Kosmos dar.

Der Fernsehfilm Toter Mann (2002) und der Kinofilm Wolfsburg (2003), der in der gleichnamigen, teils hoch artifiziellen (Provinz-)Stadt spielt, folgen dicht aufeinander – es sind die beiden ersten Arbeiten mit der Schauspielerin Nina Hoss. In diesen beiden Arbeiten schwingen die formal-visuellen Einflüsse auf den Filmemacher Petzold erstmals deutlich mit: die Filme etwa von Michelangelo Antonioni und Howard Hawks, die eines Rainer Werner Fassbinder, und die von Alfred Hitchcock. Dessen Meisterwerk Vertigo – Aus dem Reich der Toten (1958) – in dem James Stewart einer Phantasmagorie, einem Geist der Vergangenheit, der blonden Kim Novak, nachspürt – kann für manchen Petzold-Film als kinematographischer Pate stehen.

Sein filmisches Fundament benennt Petzold selbst folgendermaßen: „Die Wurzeln liegen in den Kinematheken von Köln und Düsseldorf, den Filmclubs Solingen und Wuppertal. Und im dritten Programm des WDR. Daher kommen alle Vorbilder – Hawks, Anthony Mann, Hitchcock, Renoir …“

So wie Hans Fromm bisher alle Filme des Regisseurs fotografierte, so fungiert Harun Farocki, bei dem Petzold an der dffb Unterricht hatte, auch bei mehreren Petzold-Filmen als Co-Autor der Drehbücher, die der Autorenfilmer Petzold ansonsten allesamt selbst schreibt. Ganz ähnlich wie Fassbinder arbeitet auch Petzold bevorzugt mit langjährigen Mitarbeitern, seiner Film-Familie. Dazu zählt auch die Cutterin Bettina Böhler. Nina Hoss ist ein weiteres Mitglied dieser Familie, ein ganz wichtiges zumal. Fünf Filme haben sie seit dem atmosphärischen Psycho-Thriller Toter Mann inzwischen miteinander gedreht.
 

Die Disparatheit von Kinofilm und Fernsehfilm

Auf Wolfsburg folgen Kino-Arbeiten wie Yella (2007) und Jerichow (2008) – beide mit Nina Hoss – sowie auch nochmals ein Fernsehfilm: Dreileben – Etwas besseres als den Tod (2011). Dreileben besteht aus drei separaten Fernsehfilmen, jeder in sich abgeschlossen und doch mit den beiden anderen kommunizierend, und jeder von einem anderen Regisseur in Szene gesetzt: Dominik Graf, Christoph Hochhäusler, Christian Petzold. Ein für Fernseh-Verhältnisse außergewöhnliches, auch unorthodoxes Groß-Projekt, das eine durchaus kontroverse Rezeption mit sich bringt.

„Der Kinofilm war ja früher das Besondere im Fernsehen. Freitagabend, in der ARD, der internationale Film, mit der schönen Musik von John Barry aus dem Film Petulia (1968). Heute wird er versendet. Nur die Privaten vernutzen den Mainstream, den amerikanischen, zur Prime Time. Das Fernsehen macht seine eigenen Erzählungen. International ist das Kino im Fernsehen schon lange nicht mehr“, so Christian Petzold über die Disparatheit von Kinofilm und Fernsehfilm.

Barbara (Silberner Bär, Berlinale 2012; Silberne Lola, Deutscher Filmpreis 2012) ist noch so ein Kaleidoskop eines Zwischenreichs und seiner Bewohner. Die DDR ist der Handlungsort des elften Petzold-Films. Die Ärztin Barbara (Nina Hoss), die einen Ausreiseantrag gestellt hat, wird strafversetzt, aus Berlin in die Provinz, hoch oben an der Ostsee. Es ist ein wenig das Ende der Welt. Im Krankenhaus der Kleinstadt begegnet sie dem Arzt André (Ronald Zehrfeld), der ihr neuer Chef ist. Verunsicherung setzt ein, da eine Nähe entsteht, die ihr fremd ist. Barbara – auch und vor allem ein Liebesdrama – ist einer von Petzolds stärksten Filmen bisher, vor allem aber ist es sein mit Abstand emotionalster. Und so wie die meisten Charaktere in seinen Filmen Heimatlose, Entwurzelte sind, ist hier die Protagonistin eine äußerlich wie innerlich Getriebene. Das Gespenst des Misstrauens ist hier überall zuhause. Niemandem kann der Mensch vertrauen, jeder könnte ein Spitzel in Diensten des Überwachungsstaates sein – ein Leben im Druckkessel. Da muss die Liebe eigenwillige Bahnen einschlagen. So realistisch und zugleich farbenfroh poetisch Barbara sein mag: Auch dieser Film ist einer aus dem gespenstischen singulären Zwischenreich des Autorenfilmers Christian Petzold.