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Monsudar Literatur

Farbenfroh: Die neue Reihe „Monsudar Literatur“
Farbenfroh: Die neue Reihe „Monsudar Literatur“ | © Foto: Monsudar

„Erstauflagen liegen hier in der Regel bei 500 Exemplaren.“ Alexander Schnorbusch über die Herausforderungen und Vorzüge der Verlagsarbeit in der Mongolei.
 

Die Buchläden in Ulan Bator sehen aus wie die Buchläden in Berlin-Mitte. Auf den Tischen am Eingang stapeln sich hüfthoch die Autobiografien von Hillary Clinton und Alex Ferguson. Daneben gebundene Ausgaben von E. L. James, Veronica Roth, Haruki Murakami und Stieg Larsson. Die Klassikerausgaben sind auf den ersten Blick an der Lederoptik zu erkennen. Es handelt sich um Neuübersetzungen von Tolstoi, Dostojewski und Jules Verne. Zuletzt außerdem sehr erfolgreich: Der Vorleser von Berhard Schlink. 2013 auf Mongolisch erschienen, wurde das Buch im September 2016 positiv besprochen und stand daraufhin wochenlang auf der Bestsellerliste.

Zum Anteil der Übersetzungen an den jährlichen Neuerscheinungen gibt es keine offiziellen Zahlen. Mein Chef in einem der zwei größeren Verlage des Landes schätzt, er läge bei circa 70 Prozent, wobei die Übersetzungsplagiate da noch gar nicht berücksichtigt seien. Der genaue Prozentsatz wird letztlich davon abhängen, wie viele der im Selbst- und Kleinverlag publizierten Titel man einbezieht. Aber er wird in jedem Fall sehr hoch sein. Zum Vergleich: Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels lag der Anteil der Übersetzungen an den Neuerscheinungen in Deutschland im Jahr 2015 bei 11,4 Prozent.

Buchmesse_UB Buchmesse Ulan Bator: Besucher am Stand des Goethe-Instituts | Foto: B.Rentsendorj Die erste Welle von Übersetzungen westlicher Literatur ins Mongolische fand nach der Revolution der Jahre 1921 bis 1924 statt. Die Mongolei wurde damals zum zweiten kommunistischen Staat der Erde. In den nächsten sechseinhalb Jahrzehnten wurden nicht nur Marx, Engels und Lenin ins Mongolische übersetzt, sondern auch Tolstoi, Dostojewski, Melville, Twain, London, Hemingway, Márquez und andere (moderne) Klassiker. Staatliche Vorgaben hinsichtlich der zu übersetzenden Literatur gibt es seit der demokratischen Revolution von 1990 nicht mehr. Das lässt den Verlagen mehr Freiheit, stellt sie aber auch vor Herausforderungen. Denn mit den Vorgaben sind auch die Fördermittel abgeschafft worden.

Um eine gute Übersetzung herzustellen, muss ein mongolischer Verlag den gleichen Aufwand betreiben wie ein deutscher Verlag. Der Markt, auf dem er die Kosten wieder erwirtschaften kann, ist jedoch 40-mal kleiner als der deutschsprachige. Erstauflagen liegen hier in der Regel bei 500 Exemplaren. Eine Buchpreisbindung oder vergleichbare Mechanismen, die Buchhandlungen und Verlagen das Überleben erleichtern, gibt es nicht. Im Herbst 2015 bot eine Großbuchhandlung 72 Stunden lang ihre Bücher um bis zu 72 Prozent reduziert an. Die Schlange vor dem Laden reichte schon früh morgens bis auf den Gehsteig.
 


Für die Verlage hat das natürlich Konsequenzen. Zum einen sind die Honorare, die sie ihren Übersetzern zahlen können, gering. Für Sprachen wie Deutsch oder Französisch sind gute Übersetzer daher mitunter schwer zu finden. Wer im Ausland studiert hat und über die nötigen Sprachkenntnisse verfügt, ist auch in anderen Branchen begehrt, die oft mehr zahlen können. Zum anderen überlegt sich jeder Verlag drei- oder viermal, welche Übersetzungsprojekte er angeht. Übersetzt wird letztlich, was sich finanzieren lässt. Das sind zum einen Klassiker, deren Namen bereits bekannt sind und für deren Werke keine Lizenzgebühren mehr anfallen. Je mehr der Mongolische Tugrig gegenüber anderen Währungen an Wert verliert, desto stärker fällt Letzteres ins Gewicht. Und das ist zum anderen Bestsellerliteratur aus dem englischen Sprachraum plus Larsson und Murakami.

„Ökonomische Zensur“ gibt es anderswo natürlich auch. Aufgrund des sehr kleinen Marktes und der fehlenden staatlichen Förderung fällt sie in der Mongolei jedoch besonders streng aus. Wer sie umgehen will, braucht entweder viel Enthusiasmus, eine Querfinanzierung oder eine Förderung durch ausländische Institutionen wie das Goethe-Institut, die Alliance Française oder die Japan Foundation. Das ist die dritte Konsequenz: Ob heute ein Buch wie Kleists Michael Kohlhaas oder Botchan von Natsume Sōseki ins Mongolische übersetzt wird, hängt auch davon ab, ob eine Förderung zustande kommt oder nicht. 

Buchmesse_2016_2 Gefördert vom Goethe-Institut: Die mongolische Übersetzung von Kleists „Michael Kohlhaas“ | Foto: B.Rentsendorj So viel zu den Herausforderungen der Arbeit bei einem mongolischen Verlag. Natürlich gibt es auch Vorzüge. Der erfreulichste besteht darin, dass sehr viel gute Literatur noch nicht ins Mongolische übersetzt ist. Mit einer Mischung aus Querfinanzierung und Förderungen will der Monsudar Verlag daran möglichst schnell möglichst viel ändern. Bislang sind neun Titel in unserer neuen Buchreihe »Monsudar Literatur« (»Монсудар утга зохиол«) erschienen. Darunter Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas, Ein Zimmer für sich allein von Virginia Woolf, der Lumpenroman von Roberto Bolaño und Wie das Blatt sich wendet von Mo Yan.

Buchmesse_2016_3 Gut besucht: Der gemeinsame Stand von Monsudar Verlag und Goethe-Institut | Foto: B.Rentsendorj
 
Der Fokus der Reihe liegt auf internationaler Erzählliteratur und Essayistik. Jährlich erscheinen neun Bücher von neun Autoren aus neun verschiedenen Ländern, wobei sowohl klassische als auch zeitgenössische Texte berücksichtigt werden. Die internationale Ausrichtung der Reihe ist uns wichtig, da wir den mongolischen Leser mit einer möglichst großen Vielfalt literarischer Traditionen bekannt machen wollen. Darüber hinaus birgt sie den Vorteil, dass uns so die größtmögliche Anzahl von Förderangeboten offen steht. Auf dieses Weise können wir unseren Übersetzern angemessene Honorare zahlen und uns als Verlag stärker auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren: Die Auswahl und Bereitstellung guter Literatur.

Eine frühere Version dieses Artikels erschien im November 2016 auf logbuch-suhrkamp.de.