Erster Weltkrieg
1914: Die Literatur im Krieg

Ausstellung “August 1914. Literatur und Krieg“; © Literaturarchiv Marbach
Ausstellung “August 1914. Literatur und Krieg“ | Foto (Ausschnitt): © Literaturarchiv Marbach

Notizen, Tagebücher, Gedichte – selten wurde so viel geschrieben wie im Jahr 1914. Wie der Erste Weltkrieg eine ganze Autorengeneration prägte.

Zwei der großen Romane des 20. Jahrhunderts, Ulysses von James Joyce und Der Prozess von Franz Kafka, sowie einer der philosophischen Leittexte der Moderne, Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus, und einer ihrer berühmtesten Gedichtzyklen, Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien, haben eines gemeinsam: Sie sind während des Ersten Weltkriegs verfasst, begonnen oder fortgeschrieben worden. Sie sind Texte dieses Krieges, auch wenn man ihnen diese Entstehungszeit – anders als den mehr als 50.000 Kriegsgedichten, die im Deutschen Reich allein im August 1914 entstanden – nicht auf den ersten Blick ansieht.

„Es ist mein Kampf um die Selbsterhaltung“

Für den 31-jährigen Kafka, der sich bei Ausbruch des Krieges Soldatenstiefel kauft und im Sommer 1915 beinahe einberufen wird, ist der Krieg das Gegenstück zu einem Kampf, den er mit sich selbst und sich selbst zuliebe führt. Er schreibt am 31. Juni 1914 – gerade aus den Ferien an der Ostsee zurück und zwei Wochen, bevor er mit der Arbeit am Prozess beginnt – in sein Tagebuch: „Ich habe keine Zeit. Es ist allgemeine Mobilmachung. (...) Aber schreiben werde ich trotz alledem, unbedingt, es ist mein Kampf um die Selbsterhaltung.“ Das, was Kafka vom Krieg hört und sieht, taucht in seinen Texten immer wieder auf. Als sein Schwager im November das erste Mal aus dem Feld kommt, erzählt er von einem Erlebnis im Schützengraben. Er habe einen Maulwurf graben hören, das als Omen genommen und sofort den Graben verlassen. Kurz danach habe eine Granate eingeschlagen. Wenig später schreibt Kafka eine kleine Erzählung: Der Riesenmaulwurf. Noch zehn Jahre nach Kriegsausbruch lässt er in Der Bau ein Tier unter der Erde ein weitverzweigtes Tunnelsystem anlegen und sich darin verschanzen.

Für den 39-jährigen Rilke, der auf einer Deutschlandreise vom Kriegsausbruch überrascht wird und nicht in seine Wahlheimat Paris zurückkehren kann, ist der Krieg wie für viele andere Schriftsteller zunächst ein poetisches Urereignis. In einem Band mit Hölderlin-Gedichten entwirft er Anfang August Fünf Gesänge, die eine überwältigende, wenn auch gewalttätige Welt beschwören: „Endlich ein Gott“, heißt es dort. Als er im September die Malerin Lou Albert-Lasard kennenlernt, füllt er ihr ein Büchlein mit Gedichten, darunter Skizzen des Elegien-Projekts, das er im Januar 1912 begonnen hatte. Der Erste Weltkrieg und die Berichte von den Schlachtfeldern, auf denen die Toten unbegraben liegen bleiben, grundieren Rilkes Verse auf eigentümliche Weise: „Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund / unter den Händen. Hier blüht wohl / einiges auf; aus stummem Absturz / blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.“

Kubismus und Expressionismus als Vorläufer

Viele der Texte, die im Ersten Weltkrieg entstehen – ob zu Hause oder an der Front –, sind gegen den Krieg angeschrieben. Sie wollen weder darstellen noch verherrlichen oder verdrängen. Sie stellen die Wirklichkeit der Sprache und die Fähigkeit, mit ihr Welten zu erzeugen und auch zu zerstören, neben die des Krieges. Sie setzen eine Welt neben die andere. Ganz anders die Texte, die man gemeinhin mit dem Ersten Weltkrieg in Verbindung bringt und die zum großen Teil nach dem Krieg entstanden sind: Ernst Jüngers In Stahlgewittern (1920) beispielsweise und Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1929). Doch auch die Zeit vor 1914 spielt eine Rolle. Nicht nur in der bildenden Kunst nehmen der Expressionismus und der Kubismus mit ihren „kämpfenden Formen“ eine Darstellungsweise vorweg, die der Krieg auf ungeahnte Weise mit Wahrheit füllt. Ernst Stadler, der am 30. Oktober 1914 in der Nähe des belgischen Ypern durch eine Granate sterben wird, veröffentlicht Ende 1913 seinen Gedichtband Der Aufbruch, in dem mit dem Kampf und dem Krieg ein neues Leben beginnt. Schon 1911 hat Georg Heym den Krieg beschworen: „Aufgestanden ist er, welcher lange schlief, / Aufgestanden unten aus Gewölben tief. / In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt, / Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.“

Der Krieg als Sinnstifter und Mobilmacher der Literatur: An der Front werden im Ersten Weltkrieg in nie dagewesenem Umfang Briefe und Tagebücher geschrieben. Vor allem die Lyrik hilft zu fassen, was man nicht begreifen kann. Sie kann aus Fragmenten, aus zer- und verstörten Wahrnehmungen wieder ein Ganzes fügen. In der Zeitschrift Der Sturm veröffentlicht August Stramm, der 1915 im Alter von 41 Jahren im Krieg in Russland umkommt, von November 1914 an Gedichte von der Ostfront: „Die Erde blutet unterm Helmkopf / Sterne fallen / Der Weltraum tastet. / Schauder brausen / Wirbeln / Einsamkeiten. / Nebel / Weinen / Ferne / Deinen Blick.“