Unterwegs in Norwegen
Stillgelegte Kaviarfabrik wird zur Kunsthalle

Provokante Künstler, Fjorde, Stockfisch und abgelegene Street-Art-Dörfer: Im Spätsommer reiste die deutsche Journalistin Alva Gehrmann für zwei Wochen durch den Norden Norwegen. In Teil 1 erzählt sie von ihrer Zeit auf den Lofoten.

Der Blick auf das aufgewühlte Meer macht süchtig. Immer wieder klatscht die Brandung an die schroffen Felsen, in der Ferne ragen spitz die Berge auf. Wir sitzen in der zweiten Etage der Kaviar Factory in Henningsvær und sehen dem stürmischen Treiben durch die großen Fensterfronten zu.  
Früher reiste man nach New York, Paris oder Berlin, um sich angesagte zeitgenössische Kunst anzusehen, heute kann man die auch in einem abgelegenen Fischerort auf den Lofoten entdecken. Vor drei Jahren eröffnete Venke Hoff in einer stillgelegten Kaviarfabrik ihre Kunsthalle und betreibt sie seitdem mit viel Leidenschaft.

„Ich wusste, dass ich genau hier an diesem Ort hochwertige Contemporary Art zeigen wollte – für die Einwohner und die Besucher“, sagt Venke. Typisch skandinavisch duzen wir uns direkt. Bereits seit über 30 Jahren sammeln sie und ihr Mann Rolf Hoff Arbeiten junger Künstler. Sie haben nicht nur einen guten Geschmack, sondern auch ein gutes Gespür für aufkommende Stars. So gehören heute unter anderem Werke von Ai Weiwei, Olafur Eliasson und Bjarne Melgaard zu ihrer privaten Sammlung.
Letzterer gilt durch seine provokanten Aktionen und Arbeiten, die sich mit den psychischen sowie körperlichen Abgründen des Menschen befassen, als enfant terrible der internationalen Kunstszene. In seiner Heimat Norwegen ist er ein Star wie Edvard Munch. Im Osloer Munch Museum gab es sogar schon eine gemeinsame Sonderausstellung mit den beiden Malern.

Auch Ai Weiwei schon ausgestellt

Seit dem vergangenen Jahr sind in der Kaviar Factory mit der Show „Expected/Unexpected“ auf zwei Etagen verteilt 50 ausgewählte Arbeiten von Bjarne Melgaard zu sehen. Die Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen sind ein Querschnitt seines Schaffens der vergangenen 20 Jahre. Einige Arbeiten stammen aus der privaten Sammlung von Familie Hoff, die meisten sind jedoch geliehen. Die moderne Kunst bildet einen idealen Kontrast zum schlichten Fabrikgebäude, das bewusst so gelassen wurde, wie es einst war. „Wo eine Glasfront ist, und sei es im Boden, war früher auch eine Luke oder ein Fenster“, erzählt Rolf. 
Das Ehepaar hat nicht nur ein Gespür für Kunst, sondern auch für besondere Bauten. Ihre Beziehung zu Henningsvær mit seinen knapp 450 Einwohnern begann bereits in den neunziger Jahren. Damals sahen die Osloer in einem Fernsehbeitrag, dass der historische Leuchtturm veräußert werden sollte. Ohne jemals dort gewesen zu sein, kauften sie ihn. Seitdem ist das Juwel ihr zweites Zuhause.
Rolf fährt nun mit seinem unscheinbaren Kleinwagen bis ans Ende des Dorfes, wir parken neben dem Fußballfeld. Am Rande befinden sich leere Trockengestellen, auf denen später wieder der Stockfisch hängen wird, aus dem die Norweger um Weihnachten herum unter anderem den gewöhnungsbedürftigen Lutefisk zubereiten.  
Das Leuchtturmhaus aus dem Jahre 1856 steht auf einem kargen Felsen, von hier aus sieht man nur noch das offene Meer. Je nachdem von wo der Wind bläst, kann man das Haus praktischerweise von verschiedenen Seiten betreten. Rolf führt durch die stilvoll eingerichteten Räume, an deren Wänden neben Kunstwerken auch alte Seekarten hängen, die das Ehepaar bei der Renovierung fand. Herbjørg Wassmo war hier schon zu Gast und schrieb vom Leuchtturm aus Teile ihres Romans „Hundre år“. Die norwegische Schriftstellerin setzte so Henningsvær ein literarisches Denkmal.
„Wir laden immer wieder befreundete Künstler ein, bei uns oder im Sommerhaus zu wohnen“, sagt Rolf. In der Gästehütte wohnte zum Beispiel der Konzeptkünstler Michael Sailstorfer, der das prägnante Namensschild an der Kaviar Faktory gestaltete.
Durchgepustet vom frischen Wind geht es zurück in die Kunsthalle. Wir sitzen nun in der zweiten Etage, die Venke als Büro und Wohnzimmer nutzt, auf der Couch. Über uns leuchtet eine Lampeninstallation des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson. „Auch Ai Weiwei haben wir unten schon ausgestellt“, erzählt Venke, „eigentlich sollte er zur Eröffnung kommen, doch dann bekam er keine Ausreisegenehmigung.“
Plötzlich klingelt ihr historisch anmutendes Mobiltelefon. „Wir bekommen Besuch von ein paar Kollegen“, sagt sie. Im 20 Kilometer entfernten Svolvær ist zu der Zeit gerade das LIAF – das Lofoten International Art Festival. Und so trifft man jene Künstler und Journalisten wieder, die man schon bei der Eröffnung kennengelernt hatte.
Wir diskutieren über das Leben auf den Lofoten und die Kunst. Das Ehepaar Hoff hat ein Talent, spannende Menschen zusammenzubringen – und ihnen mit der Kaviar Factory ein zu Hause geschaffen. Venke verabschiedet sich, sie macht gleich eine Tour für Hurtigruten-Passagiere.
Was wohl passieren würde, wenn man einfach oben sitzen bleibt? Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagt Venke: „Du kannst gerne so lange bleiben, wie  du magst“. Und so wippe ich im Schaukelstuhl mit Blick auf das wilde Meer in den Sonnenuntergang.