Jan Bosse und die Proben
Ibsen. Oslo. Wir. Ich.

Skuespillerne Jan Sælid, Laila Goody og Marika Enstad på prøvene til Ibsens Borkman
Skuespillerne Jan Sælid, Laila Goody og Marika Enstad på prøvene til Ibsens Borkman | Foto: ©Øyvind Eide

Wie erlebte der deutsche Theater-Regisseur Jan Bosse die Proben zu seiner Inszenierung Borkmann am Nationaltheatret in Oslo?
 
 

9.Mai 2016
 
Leseprobe für Ibsen's Borkman: aufregend. Diese völlig fremde Sprache, Menschen, Umgebung. Leichte Angst: sicher sind alle hier perfekte, besserwisserische Ibsen Spezialisten!
Die Schauspieler lesen unsere Fassung von Borkman. Seltsamer Widerspruch: ich verstehe kein Wort, weiß aber genau, WAS sie sagen.. Erstaunlich: die norwegischen Schauspieler lesen rasend schnell, die Dialoge sind geschliffen scharf, so überhaupt nicht ibsenesk – ich bin begeistert! Die Leseprobe dauert grade mal eine Stunde! Ich vermute aber, dass es (genau wie mit deutschen Spielern) Wochen dauern wird, bis man diese Energie, Leichtigkeit und Schärfe tatsächlich auch auf der Bühne wieder erreicht. Genauso war es dann auch.
 
30.Mai 2016
 
Es fühlt sich schön an, neu, mal wieder wirklich 'fremd' zu sein. Viel fremder, als ich dachte.
 
13. Juni 2016
 
Public Viewing eines Spiels der Europameisterschaft: es gibt nicht 50 Orte für Public Viewing (wie zum Beispiel in Berlin), sondern einen einzigen - dafür riesig: 2000 Menschen, Zwei Großleinwände auf abgesperrtem Gelände, ein ganzes Dorf aus Klohäuschen, total durchorganisiert, schweineteures Bier in Plastikbechern, trotzdem sind alle betrunken, dabei aber völlig gesittet.
 
17. Juni 2016
 
Ungewohnt: in jeder Probe sitzt der überaus freundliche Stage Manager Lars, der, kaum haben wir richtig angefangen, nach exakt zwei Stunden höflich vorschlägt, ob man eventuell jetzt die Pause machen könne: Lunch Break vor den verbleibenden 90 Minuten Probe - danach gehen sowieso alle nach Hause. Kreatives Chaos ist anders. Aber die total organisierte Regelmäßigkeit produziert erstaunlicherweise nicht Spießigkeit, sondern: Entspanntheit.
 
Jan Bosse und Bühnenbildner Moritz Müller Jan Bosse und Bühnenbildner Moritz Müller | Foto: ©Øyvind Eide
26. Juli 2016
 
Rückkehr nach den Ferien.
Die fantastischen Vigeland-Skulpturen im Frognerpark. Sonnenuntergang. Viele Jugendliche in Gruppen um die steinern monströsen Gebilde herum. Was tun sie da? Alle starren auf ihr Handy. Ein Flashmob? Googeln sie "Vigeland"? Ein verstohlener deutscher Blick über die norwegische Schulter: nein - sie alle spielen Pokémon-Go! Auf der Aker brygge am nächsten Nachmittag wieder: dutzende Pokémon-Go Grüppchen.. Es soll schon ein Mann ertrunken sein, weil er ein Pokémon über die Brücke hinaus verfolgen wollte.
Idee: alle mit einer Menge virtueller Pokémon's ins Theater locken - Türen zu - und alle müssen unser Stück anschauen und werden zugeben: Theater ist spannender als jedes Handy Game!
 
1. August
 
Mein Norwegisch wird besser, ich lerne immer mehr Vokabeln – und das praktisch nur durch Ibsen’s Text. Zum Beispiel oppreisning (Genugtuung), hevner (Rächer), ettermaele (Nachruhm), makten (Macht) oder auch tolle ganze Ausdrücke wie: Alle åndene som slumret i gullet. (All die schlummernden Geister des Goldes)
.. Ich bin sehr gespannt, wie ich all die tollen Worte auf der Straße an den Mann bringen werde.
 
8. August 2016
 
Aha - endlich die dunkle Seite der sprichwörtlichen freundlichen norwegischen Art: "the norwegian arm", erklärt mir mein norwegischer Freund (ein Diplomat im auswärtigen Amt) bezeichnet den recht rücksichtslos über den Nebenmann hinweg ausgefahrenen Arm – beliebt zum Beispiel beim Frühstück, um nach der herrlichen Nora Erdbeermarmelade zu greifen. Als weitere Beispiele nehme man wahlweise das erstaunlich rüde Gedrängel beim Einsteigen in die Tram oder in der Schlange im Supermarkt.

Die Schauspielerin Marian Saastad Ottesen Die Schauspielerin Marian Saastad Ottesen | Foto: ©Øyvind Eide  

11. August 2016
 
Dann doch so einiges Misstrauen gegenüber Fremden? Als meine Nachbarn im 2. Stock (ein gutaussehendes Mittdreißiger Männerpärchen) mich eines Tages im Treppenhaus stellen und fragen, bei wem ich eigentlich wohne, antworte ich höflich und frage nett zurück, wo man eigentlich Leergut einwerfen kann - sie erklären mir sehr sachlich, es gebe einen Container nur hundert Meter die Straße hinauf - woraufhin ich sie zwei Minuten später beim Warten auf die Tram beobachte, wie sie ihre Flaschen in einen Container direkt an der Ecke werfen.
 
Dennoch an allen Ecken und Enden, im Theater wie in der Gesellschaft, dieses hohe soziale Bewusstsein, die flachen Hierarchien, das genussvoll-ernst und überausführlich zelebrierte Ausdiskutieren aller Themen in zahllosen meetings - zugleich aber dieses tiefe Bedürfnis, einfach nur in Ruhe gelassen zu werden, einfach nur in seiner Hütte am Fjord zu sitzen und zu fischen.
 
13. August 2016

 
Am Anfang erzählte ich den Schauspielern, dass mein Bild von Norwegen und seinen Bewohnern hauptsächlich aus der Serie "Lilyhammer" stammt. Sie lachten und beteuerten, dass das ja sehr lustig sei, aber wirklich NICHTS
mit der Realität zu tun hätte. Nach zwei Monaten in Oslo und einer herrlich schrägen Premiere von Ibsen's "Borkman" muss ich sagen: doch! Die Serie ist gar keine Satire, sondern völlig realistisch! Als ich das wiederum den Schauspielern am Premierenabend erzähle, lachen sie nur umso mehr.
Es sind also doch alles verkappte Trolle, diese Norweger.
 
14. August 2016

 
Eins ist klar: Ich muss unbedingt wieder kommen, um all diese norwegischen Rätsel endlich zu lösen.