Willkommenskultur
Wohnraum für Flüchtlinge

Willkommenskultur
Foto: © Colourbox

Circa 60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht vor Kriegen, Konflikten und Verfolgung. In vielen europäischen Ländern hat diese Situation bereits auch zu einer Wohnraumkrise geführt, bzw. bestehende Wohnraumkrisen verschärft.

Nicht zuletzt Architekten und Stadtplaner sind gefragt, menschenwürdigere Unterkünfte zu entwerfen und gleichzeitig eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung sicherzustellen.

Wie können Flüchtlinge angemessener unterkommen als in Containern oder Zelten?

Dieser Herausforderung haben sich architektonische Fakultäten in mehreren europäischen Ländern gestellt.
So das Team um Prof. Jörg Friedrich vom Institut für Entwerfen und Architekturtheorie der Leibniz Universität in Hannover. In einem Semesterprojekt entstanden innovative und pragmatische Lösungsansätze rund um Formen des Wohnens für Flüchtlinge, die sowohl auf die Bedürfnisse der Menschen als auch die Eingliederung in das städtebauliche Umfeld eingehen.

Friedrich spricht sich für eine Willkommens-Architektur aus und dafür städtische Potenziale auszuschöpfen, um wohnen – nicht unterbringen – zu ermöglichen. Die Nähe zur Stadt und ihrer Bevölkerung ist für ihn und seine Studenten eines der wichtigsten Kriterien für gute Wohnanlagen und Voraussetzung für eine gelungene Integration.
Vorgeschlagen werden unter anderem Lücken füllende Mietshäuser, Aufstockungen auf größeren innerstädtischen Flachdachgebäuden wie Parkhäusern und Universitäten sowie kleinere stadtnahe Siedlungsstrukturen in Modulbauweise. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei auch das Thema der Nachnutzung, denn in den meisten europäischen Großstädten fehlt es nicht nur an Raum für Flüchtlinge, sondern ebenso an preiswertem Wohnraum für Studenten und geringer Verdienende. Die Ergebnisse des Projekts sind jetzt in einem Buch mit dem Titel Refugees Welcome - Konzepte für eine menschenwürdige Kultur (Jovis Verlagerschienen.

Flüchtlingsunterkünfte Foto: © Colourbox
Auch die Technischen Universitäten in Trondheim und Lillehammer, Norwegen, haben sich mit einem bereits 2012 angelaufenen Studienprojekt „What buildings do“ des Themas „Wohnen für Flüchtlinge“ angenommen.
Anhand von Bestandaufnahmen und Interviews mit Bewohnern und Angestellten bestehender Flüchtlingsheime untersuchte das Hochschulteam die aktuelle Unterbringungssituation und erarbeitete auf dieser Grundlage Empfehlungen für die Einrichtung von Asylantenunterkünften. Gleichzeitig entwickelten Studenten alternative Lösungen als Semester- und Masteraufgaben. 

Architektonische Gestaltung von Flüchtlingsunterkünften

Eine Verlängerung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer, aufgrund der Zunahme von Asylanträgen seit Mitte 2015, von bis zu drei Jahren, stellt aus Sicht der Hochschule erhöhte Anforderungen an die Ausstattung der Unterkünfte. In diesem Zusammenhang wurde innerhalb des Forschungsprojektes auch die Vorgabe der Regierung, Flüchtlingsheime „nüchtern, aber vertretbar“ auszustatten kritisch hinterfragt.
Ein eindeutiges Ergebnis des Forschungsprojektes ist, dass die architektonische Gestaltung von Flüchtlingsunterkünften direkte Auswirkung auf die Akzeptanz ihrer Bewohner in der Gesellschaft hat. Generell führen indessen schlechte Bausubstanz und verwahrloste Außenanlagen zu Ablehnung bei der Lokalbevölkerung, die leicht auch auf die Bewohner des Flüchtlingsheimes übertragen werden kann. Stigmatisierung und Ausgrenzung sind die Folge.
Sich akzeptiert zu fühlen, Kontrolle über das eigenes Leben zu haben und Teilnahme an der Gemeinschaft ist für viele Asylsuchende ebenso wichtig wie das Bedürfnis nach Sicherheit, Schutz und Privatsphäre.
Wie menschenwürdiges Bauen für Flüchtlinge aussehen kann, zeigen die im Rahmen des Projektes eingereichten Studienarbeiten: Flexible Raumlösungen, Sitztreppen als Treffpunkte für Jugendliche, gut organisierte Gemeinschaftsküchen, begrünte Innenhöfe und Räume für Kontemplation und Gebet bieten einen geschützten Rahmen für Rückzug und Gemeinschaft.
Außenräume mit Möglichkeiten zum Spielen, Feiern und zur eigenen Gemüsezucht, können zudem zu lokalen Nachbarschafts-treffpunkten werden, die zur gegenseitigen Verständigung beitragen.

Viele der im Rahmen des Projektes interviewten Bewohner von Flüchtlingswohnheimen berichten, dass sich eigenverantwortliche Mitwirkung und Gestaltung ihrer Umgebung positiv auf ihren Alltag auswirke, der oft als eine Zeit des Wartens und des „zwischen den Welten seins“ empfunden wird.

Mit Architektur allein lässt sich die Krise der Unterbringung sicher nicht lösen, aber Architektur kann, eingebettet in ein Gesamtkonzept, bisher unbeachtete Möglichkeiten aufzeigen.