5 plus 1
Skepsis gegenüber Medien wächst

Kristian Harpviken
Kristian Harpviken | Foto: ©Andrea Kroner

In unserer Interview-Reihe 5 plus 1 befragen wir Schriftsteller, Musiker, Filmemacher und andere interessante Zeitgenossen rund um ihr Leben. Diesmal:
Kristian Harpviken, Direktor Peace Research Institute Oslo. 
 

Viele Menschen in Europa sehen sich momentan in ihrem Leben bedroht. Wie realistisch ist das aus Ihrer Perspektive, im Kontext der Bedrohung der Demokratie?
 
In einem europäischen Zusammenhang gibt es vor allem zwei Bedrohungsszenarien, die man fürchtet. Eines davon ist der islamistische Terror, der islamistische Extremismus. Die Herausforderung kennen wir seit langer Zeit, seit den 1990er-Jahren. Sie hat mit den Kriegen in Syrien und Irak sowie dem Erstarken des IS, des Islamischen Staates, definitiv an Bedeutung gewonnen. Aber noch immer sind ja total wenige Menschen von islamistischem Terror betroffen. Die große Frage ist, ob eine Ausweitung des Problems in Europa vorstellbar ist, und möglich ist das durchaus. Das hängt aber auch davon ab, wie man das Problem politisch handhabt.

Die andere große Bedrohung ist der Rechtspopulismus, der oft eine prinzipielle Skepsis gegenüber demokratischen Prozessen an den Tag legt und in manchen Fällen Terror als Gestaltungsmittel billigt. Auch hier muss man sagen, dass Terror, der seinen Ursprung im Rechtspopulismus hat, einen noch relativ begrenzten Umfang hat. Allerdings prägt sowohl die Rechtspopulisten als auch die Islamisten ihre Demokratie-Skepsis. Das ist natürlich eine Bedrohung. Wir erleben gegenwärtig in Europa eine Entwicklung, wie wir sie aus unzähligen Bürgerkriegssituationen kennen: eine Form der politischen Polarisierung. Sie manifestiert sich in zwei extremistischen Flügeln: nicht mehr rechts und links, sondern rechts und islamistisch. Und sie wachsen durch gegenseitigen Bezug aufeinander – ein Teufelskreis, bei dem die jeweils extremsten Kräfte gestärkt werden.
 
Es sieht so aus, als würde sich eine Kultur des Hasses, des Neides und der Ignoranz verbreiten. Der amerikanische Präsident versendet täglich fake news, und in den sozialen Medien sind gewaltverherrlichende Postings an der Tagesordnung. In Deutschland ist es möglicherweise noch extremer als hier in Norwegen. Es fragt sich­­, was man machen kann. Ist eine eher wertbasierte Diskussionskultur überhaupt noch zu retten?
 

Meiner Ansicht nach haben die Veränderungen, die wir in der öffentlichen Debatte beobachten können, sehr viel mit der technologischen Entwicklung zu tun. Die wichtigsten Plattformen für das öffentliche Gespräch ändern sich. Vor zwanzig Jahren hatten wir eine gemeinsame nationale Öffentlichkeit. Man bediente sich ganz überwiegend derselben Kanäle, sei es Fernsehen, Radio oder Zeitungen, man sah dieselben Nachrichten, konfrontierte sich mit denselben Fragen, verstand sie auf dieselbe Art und Weise. Man war nicht unbedingt derselben Meinung, aber man stellte sich dieselben Fragen. Seit dem Aufkommen der sozialen Medien und einer vielfältigeren Medienstruktur – die ja schon vor den sozialen Medien ihren Einzug hielt – haben wir keine nationale Öffentlichkeit mehr. Stattdessen haben wir nun eben die sozialen Medien mit ihren Mechanismen, die das entstehen lassen, was wir mit einem Modewort Echokammern nennen. Sobald wir soziale Medien als Informationsquelle benutzen, egal ob es sich dabei um Facebook oder Twitter oder auch um einen der üblichen Webbrowser handelt, werden wir in diese Kammern hineingeführt. Algorithmen sorgen dafür, dass wir mehr vom immer selben bekommen. In sehr hohem Grad bestätigen die Nachrichten dann die Auffassungen, die wir sowieso schon haben. Diese beiden Dinge sind meiner Meinung nach sehr ernst zu nehmen. Parallel wächst die Skepsis gegenüber den Medien und der Rolle der sogenannten Eliten. Und der Begriff Elite umfasst hier Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und alle Menschen mit einer leitenden Funktion in der Gesellschaft. Diese Tendenz verschärft alles noch, und nach meinem Eindruck wird die Diskussion davon geprägt, dass man sich nach der Öffentlichkeitskultur der 1980er-Jahre zurücksehnt. Das ist natürlich total unrealistisch, denn wir leben in einer Gesellschaft und einer technologischen Wirklichkeit, die sich stark verändert hat. Wenn wir uns für einen substantielleren Austausch in der Öffentlichkeit einsetzen wollen, kann dies nur in dem Rahmen geschehen, den die neue Technologie uns bietet.
 
Neulich haben Sie an einer Podiumsdiskussion teilgenommen: „Why Nations Fail“. Was war das Fazit der Teilnehmer? Was muss anders gemacht werden als zuletzt?
 
Ja, diese Frage stellen sich sehr viele Menschen, die sich mit internationaler Politik auseinandersetzen. Wir sehen, dass immer mehr Staaten scheitern, was sich nicht nur darin zeigt, dass sie ihre Bürger nicht mehr mit den grundlegendsten Sozialleistungen versorgen können, sondern auch bezüglich der Kontrolle der Machtmittel.
 
Wie kann man in der aktuellen Situation die Demokratie am besten verteidigen?
 
Das ist eine gute Frage. Zunächst einmal sehen wir, dass der Wille und der Wunsch, die Demokratie zu schützen, an Kraft gewinnen. Das hat einfach damit zu tun, dass wir sie nicht mehr für eine Selbstverständlichkeit halten. Nun ist die Demokratie auch in Europa bedroht. Viele Menschen in Westeuropa haben in den letzten fünfzig Jahren eine solche Gefahr nicht ernst genommen.
 
Hierzulande gibt es eine enge Verbindung zwischen Demokratie, Toleranz und Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Verzicht auf Gewalt auf der anderen Seite. Die Demokratie muss sich bei dem Teil der Bevölkerung durchsetzen, der nicht davon überzeugt ist, dass sie eine souveräne Herrschaftsform ist. Aus der Praxis heraus muss klar werden, dass die Demokratie viele Vorteile hat. Der Wert der Toleranz ist vielleicht offensichtlich, aber es ist nicht so leicht zu sagen, ob die Toleranz auch Gruppierungen miteinschließen soll, die grundlegend intolerant sind. Dasselbe gilt für die Meinungsfreiheit. Es ist nicht leicht zu sagen, ob die Meinungsfreiheit auch einem Denken zugestanden werden darf, das darauf abzielt, die Meinungsfreiheit anderer zu begrenzen.

Zu Ihren wichtigsten Forschungsgebieten zählen Methoden der Krisen- und Konfliktlösung. Können Sie uns ganz allgemein sagen, mit welchen Mitteln man Konflikten am besten begegnet?

Die Frage ist schwierig zu beantworten. Konflikte sind ja sehr verschieden, und entsprechend sind auch die Maßnahmen zu ihrer Bewältigung sehr verschieden. Aber vereinfacht gesagt ist die Voraussetzung für die Beilegung eines Konfliktes, dass es Akteure gibt, die an eine Konfliktlösung glauben und sich mit dieser Auffassung durchsetzen können.
 
Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihre Karriere ganz von vorne beginnen. Würden Sie dann Wissenschaftler werden oder sich für eine andere Laufbahn entscheiden, für einen Plan B sozusagen?

Ich würde mich für die Wissenschaft entscheiden.