Samische Kunst auf der Documenta
Auf vielen Saiten spielen

Maret Anne Sara
Maret Anne Sara | Foto: ©Matti Aikio

Zum 14. Mal findet die Documenta in Kassel statt. Auch Norwegen ist auf der Veranstaltung vertreten, die gerne als größte Kunstausstellung der Welt bezeichnet wird.

 

Und groß ist sie in der Tat: In den drei Tagen, in denen ich die Documenta besuchte, konnte ich nicht annähernd alle Kunstwerke sehen, die dort ausgestellt sind. Genau 219 Künstler sind in Kassel repräsentiert, wie Die Welt ausgerechnet hat – Lebende wie Tote mitgezählt.
Aber für an Kunst und Gesellschaft interessierte Deutsche erschöpft sich die Documenta nicht in Zahlen und Größenordnungen. Für sie ist die Ausstellung, die alle fünf Jahre stattfindet und 100 Tage andauert, eine Begebenheit, die im Kalender rot angestrichen ist.
Hier gibt es für jeden etwas. Gigantische Installationen wie der vielfach diskutierte Parthenon-Tempel aus verbotenen Büchern, himmlisch schöne Musik in einem Videowerk, das griechisch-orthodoxe und russisch-orthodoxe Mönche beim Gesang der „Agni Parthene“ vereint, oder einen Vorhang aus Rentierschädeln.

 

Tritt für die Rechte ihres Volkes ein
Maret Anne Sara Maret Anne Sara | Foto: ©Matti Aikio
Letzteren hat die samisch-norwegische Künstlerin Máret Ánne Sara beigesteuert. Die samische Kunst ist auf der diesjährigen Documenta stark vertreten, und Sara kann berichten, dass die Reaktionen auf ihr Werk alle Erwartungen weit übertroffen haben.

 

„Meine Kunst ist in Medien vieler verschiedener Länder behandelt worden. Das hatte ich nicht einmal zu hoffen gewagt. Ich bin noch immer damit beschäftigt, zu begreifen, wie groß diese Sache ist“, sagt sie am Telefon.

Sara war drei Wochen in Kassel, um ihre Werke zu installieren. Abgesehen von ihrem aus 400 Rentierschädeln bestehenden Vorhang präsentiert sie weitere Arbeiten, die in Zusammenhang mit ihrem Projekt „Pile o´Sápmi“ stehen. Sara stammt aus einer Familie von Rentierzüchtern. Ihr Bruder klagte gegen den norwegischen Staat, nachdem er gezwungen worden war, seine Herde auf 75 Rentiere zu reduzieren und alle andren Tiere zu töten. Die norwegischen Rechtsvorschriften zur Rentierhaltung und die Akten des sich über zwei Instanzen hinziehenden Prozesses, den Saras Bruder gewann, werden in einem acht Meter langen Schaukasten ausgestellt. „Obwohl dem norwegischen Staat in zwei Urteilen bescheinigt wurde, europäische Menschenrechte und die Rechte indigener Völker gebrochen zu haben, hat er beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt“, sagt Sara. Sie und ihre Familie warten nun auf die Entscheidung des Gerichtshofs.

Beharrliche staatliche Norwegisierung der Samen

 

Das Projekt „Pile o´Sápmi“ nimmt seinen Ausgangspunkt in einer Rechtsangelegenheit, berührt aber auch übergeordnete Problemstellungen, die nach Auffassung der Künstlerin die gesamte globale Gemeinschaft betreffen. „Wir sehen, wie koloniale Macht heutzutage ausgeübt wird, mit den Mitteln von Gesetz und Demokratie. Dass sich das Symptom so deutlich in Norwegen zeigt, in der am besten entwickelten Demokratie und dem gerechtesten Land der Welt, sollte eine globale Warnflagge sein“, meint Sara.
Máret Ánne Sara tritt für die Rechte ihres Volkes ein und findet, dass Debatten dieser Art in Norwegen viel zu selten geführt werden. Mit ihrer Kunst versucht sie, gegenwärtige Konflikte im Spiegelbild der Vergangenheit zu verhandeln.

„Um unseren Kampf heute zu verstehen, muss man die Vorgeschichte der brutalen Kolonialisierung und der beharrlichen staatlichen Norwegisierung der Samen kennen. Viele Haltungen der glücklichsten Menschen der Welt sind sehr zweifelhaft, und die Geschichte der nicht so Glücklichen wird nicht erzählt“, führt sie aus.

Sara ist ausgebildete Journalistin. Der Prozess ihres Bruders und ihre eigene Kunst hält sie für zwei Seiten desselben Kampfes. „Mit der Kunst kann man auf unterschiedliche Weise appellieren und auf vielen Saiten spielen, sowohl Gefühle, Instinkte als auch Fakten einbringen.“

 

Angesichts der sehr vielen unterschiedlichen Künstler, die an der Documenta teilnehmen, ist es nicht leicht, Trends oder Verbindendes auszumachen. Die diesjährige Ausstellung ist aber nach dem Eindruck einzelner Beobachter die politischste seit den siebziger Jahren. Schon der Rahmen hat dies begünstigt: zum ersten Mal überhaupt wurde die Documenta in einer anderen Stadt eröffnet, nämlich in Athen. Alle Informationen auf dem Gelände sind deshalb dreisprachig: Deutsch, Englisch und Griechisch.

 

Die Geschichte von der verlorenen Sprache

 

Armut, soziale Ungleichheit und nicht zuletzt Migration sind deutlich sichtbare Themen der Ausstellung. Dass die Documenta politisch ist, ist jedoch keine Neuheit. Als sie 1955 vom Künstler Arnold Bode ins Leben gerufen wurde, gehörte zu seinen wichtigsten Beweggründen, den Abstand zum Nationalsozialismus zu betonen und die Wiederannäherung an die moderne Kunst einzuleiten.
Im größten Raum der Documenta-Halle hängen Reste von Flüchtlingsbooten unter der Decke, die in Griechenland an Land getrieben wurden. Gleich daneben befindet sich eine Installation der Chilenin Cecilia Vicuña aus meterlangen, dicken Fäden, die aus purpurroter Wolle mit eingearbeiteten Knoten hergestellt wurden.
Dieses Werk machte großen Eindruck auf Máret Ánne Sara. „Die Künstlerin gehört einem Volk an, das sich früher in einer Art Knotensprache verständigte – vor der Kolonialisierung. Ich habe sie gefragt, ob sie die Sprache selbst beherrscht, aber sie antwortete: Nein, sie haben alle getötet, die das konnten. Das hat mir zu denken gegeben. Indem sie die Geschichte von der verlorenen Sprache erzählt, erzählt sie auch die Geschichte ihres Volkes, einem Teil der vorkolonialen Weltgeschichte.“

Außer Máret Ánne Sara nehmen aus Norwegen unter anderem Joar Nango und Hans Ragnar Mathisen teil. Auch der griechisch-norwegische Künstler Andreas Angelidakis ist repräsentiert. Erwähnenswert ist daneben, dass eine 24 Meter lange Stickerei über die Geschichte der Samen, die normalerweise in Tromsø hängt, nun in der Documenta-Halle ausgestellt ist. Sie ist von der schwedisch-samischen Künstlerin Britta Marakatt-Labba ausgearbeitet worden. Die Documenta 14 ist noch bis zum 17. September in Kassel zu sehen.