Karl Marx und die Grenzen des Wachstums
„Die Welt steckt in einem Dilemma“

Karl Marx
Karl Marx | Foto: ©pixabay

Karl Marx hat sich für Umweltschutz nicht interessiert. Es wäre übertrieben, ihn als den ersten Naturschützer zu bezeichnen, obwohl er bereits im „Kommunistischen Manifest“ von 1848 beschrieben hat, wie der Kapitalismus alles umwälzt, auch die entferntesten Erdteile und die Natur.  Doch obwohl sich Marx mit Umweltfragen nicht beschäftigt hat, lässt sich von ihm lernen, wenn man über die Grenzen des Wachstums und die Endlichkeit des Kapitalismus nachdenken will.
 

„Kapitalismus“ ist ein schwammiger Begriff, und seine Deutung ist noch immer umstritten. Aber im Kern beschreibt er die heutige Wirtschaftsform sehr präzise: Es geht um den Einsatz von Kapital mit dem Ziel, hinterher noch mehr Kapital zu besitzen, also einen Gewinn zu erzielen. Es handelt sich um einen Prozess, der exponentielles Wachstum erzeugt.
 
Von diesem Reichtum haben wir alle profitiert. Als Marx 1867 sein Hauptwerk „Das Kapital“ publizierte, lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Arbeiter in Liverpool bei ganzen 17 Jahren. Heute werden neugeborene Kinder in Deutschland voraussichtlich 81 Jahre alt.
 
Übrigens hat Marx es immer begrüßt, dass der Kapitalismus Wachstum erzeugt. Er war kein Wachstumskritiker, sondern hat die technischen Errungenschaften hymnisch gefeiert. Im „Kommunistischen Manifest“ beschreibt er begeistert, welche „Wunderwerke“ durch den Kapitalismus entstanden sind: „Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen“.
 
Marx begrüßte den neuen Wohlstand schon deswegen, weil der Sozialismus dann mehr zu verteilen hätte. Wie dieser Sozialismus aussehen sollte – darüber hat sich Marx nie konkret geäußert. Klar ist nur, dass das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft werden sollte. Aber ansonsten hat sich Marx in seinem „Kapital“ darauf konzentriert, den Kapitalismus zu analysieren.
 
Marx war überzeugt, dass der Kapitalismus sich selbst abschaffen und an seinen inneren Widersprüchen scheitern würde. Denn es war ein seltsames Phänomen zu beobachten, wie Marx als Erster erkannte: Ausgerechnet der Wettbewerb führt dazu, dass am Ende kein Wettbewerb mehr übrig bleibt, sondern nur noch wenige Großkonzerne die gesamte Wertschöpfungskette von den Rohstoffen bis zu den Absatzmärkten beherrschen.
 
Auch die Dynamik dieses Prozesses beschrieb Marx richtig: Im Kapitalismus ist die Technik weit mehr als nur ein Hilfsmittel. Sie entfaltet ihre eigene Logik, sobald sie systematisch eingesetzt wird. Für jeden einzelnen Unternehmer ist es attraktiv, neue Maschinen anzuschaffen, die produktiver sind als die Anlagen der Konkurrenz. Denn sobald ein Fabrikant seine Waren billiger herstellt, kann er sie auch billiger verkaufen. Die Wettbewerber müssen daher sofort nachziehen, wenn sie nicht vom Markt verdrängt werden wollen. 

Rohstoffe und Umwelt werden knapp

Doch die meisten Märkte sind irgendwann gesättigt und können die zusätzlichen Waren nicht mehr aufnehmen. Diesen Verdrängungswettbewerb überleben nur jene Firmen, die am billigsten produzieren können. Dies sind meist die Großkonzerne, denn sie profitieren von einem Phänomen, das die Ökonomen heute „steigende Skalenerträge“ nennen: Je größer die Stückzahlen sind, desto billiger wird die eingesetzte Technik pro Stück.
 
Marx‘ Analyse gilt bis heute, wie aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Großkonzerne machen zwar nur ein Prozent der deutschen Firmen aus, aber im Jahr 2015 generierten sie 67 Prozent des gesamten Umsatzes. Gleichzeitig sind 82 Prozent aller Firmen Kleinstbetriebe – aber gemeinsam kamen sie 2015 nur auf 7 Prozent des Umsatzes.
 
Marx sah diese Konzentrationsprozesse mit Freude. Er hoffte, dass der Kapitalismus von selbst untergehen würde – indem sich die Kapitalisten gegenseitig enteigneten, bis nur noch wenige Unternehmer übrig wären. „Je ein Kapitalist schlägt viele tot“, was die Revolution deutlich vereinfachen würde: Am Ende müsste die „Volksmasse“ nur noch „wenige Usurpatoren“ entfernen. „Die Expropriateurs werden expropriiert.“
 
Bekanntlich kam es anders. Der Kapitalismus hat sich als deutlich langlebiger erwiesen, als Marx es je für möglich gehalten hätte. Das Oligopol der Großkonzerne war bemerkenswert stabil. Es kam nicht zur Revolution, sondern zur Reform: Die Macht der Großkonzerne wird heute durch demokratische Parlamente kontrolliert und begrenzt.
 
Trotzdem sind wesentliche Grundgedankten von Marx aktuell. Auch wir kennen das Gefühl, dass der Kapitalismus an seinen eigenen Widersprüchen ersticken könnte. Allerdings ist es ein anderer Widerspruch, als Marx ihn beschrieb. Wir glauben nicht, dass der Kapitalismus im Sozialismus endet, sondern uns beschäftigen die Grenzen des Wachstums. Denn Rohstoffe und Umwelt werden knapp. Schon jetzt verbraucht Deutschland so viele Güter, als gäbe es drei Planeten – und nicht nur einen. Die USA sind bereits bei fünf Planeten angelangt.
 
Die Welt steckt in einem Dilemma, das Marx „dialektisch“ genannt hätte: Der Kapitalismus erzeugt Wachstum, benötigt aber auch Wachstum, um stabil zu sein. Da aber unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist, sind die Tage des Kapitalismus gezählt. Marx hat sich zwar geirrt, als er den Sozialismus kommen sah, aber man kann von ihm lernen, den Kapitalismus von seinem Ende her zu denken. Das ist zwar auch ein Widerspruch, aber um die Widersprüche geht es.