Tomas Espedal
Ein Spaziergang durch Bergen mit dem Schriftsteller

Schon von weitem sieht man ihn mit großen, energischen Schritten auf das Café Opera zulaufen. Er trägt wuchtige Gummistiefel, darüber einen dunkelblauen Regenmantel und eine olivgrüne Wollmütze. Es ist ein intensives Gehen.

Schon von weitem sieht man ihn mit großen, energischen Schritten auf das Café Opera zulaufen. Er trägt wuchtige Gummistiefel, darüber einen dunkelblauen Regenmantel und eine olivgrüne Wollmütze. Es ist ein intensives Gehen.
Wie wird Tomas Espedal wohl sein? Wer seine Bücher liest, weiß, dass der 53-jährige Norweger autobiographische Romane schreibt, in denen er auch, oder sollte man sagen vor allem, seine Krisen intensiv und packend beschreibt. Im aktuellen Roman „Wider die Kunst“ thematisiert er den Verlust zweier wichtiger Menschen – seiner Mutter und seiner Ex-Frau, der Mutter seiner Tochter. Um mit dem Schicksal irgendwie klar zu kommen, macht er sich unter anderem auf die Spurensuche seiner Ahnen; sie lebten wie Espedal in Bergen. Als der Schriftsteller beim Café ankommt, wirkt er nachdenklich. Die Begrüßung fällt herzlich aus, spontan umarmt er den Besuch aus Deutschland. Er strahlt. Da es nicht wie befürchtet regnet, in Bergen soll es bis zu 200 Regentage im Jahr geben, starten wir direkt den Spaziergang durch seine Heimatstadt. Die Wolken schweben dunkel und schwer über uns, noch sind sie gnädig.

Dialog mit Dichtern wie Rousseau

Nur zwei Querstraßen vom Nationaltheater entfernt bleibt er vor einem hellgrauen Gründerzeithaus stehen. „Hier bin ich zeitweise aufgewachsen“, sagt Espedal. „In der ersten Etage wohnte ein Schriftsteller. Es war ein gut bürgerliches Haus, selbst wenn wir aus einer Arbeiterfamilie stammten.“ Die alte Werft ist von dort nur zehn Minuten Fußweg entfernt. Einige Schritte den Hügel hinauf passieren wir die Kirche, in der er getauft wurde, laufen am Universitätsgelände vorbei. In einer der schmalen, kopfsteingepflasterten Gassen trifft er einen Freund, der Heidegger-Experte ist. Espedal beschäftigte sich ebenfalls ausführlich mit Heidegger – etwa in seinem Roman „Gehen“, bei dem er seine damals noch lebende Frau und die Tochter verlässt, und wie besessen durch Norwegen, aber auch Deutschland, Frankreich und Griechenland läuft, um zu sich selbst zu finden. Währenddessen tritt er in einen Dialog mit Dichtern wie Rousseau und eben Heidegger. Gehen bedeutet für Espedal auch Glück. Als wäre es verabredet, treffen wir auf dem Spaziergang weitere Wegbegleiter im wahren Leben: einen Schulfreund, eine Schriftstellerin, einen Maler und die Opernsängerin Tora Augestad, die eigentlich in Berlin lebt. Berlin gilt als „Arm, aber sexy“. Kreative aus der ganzen Welt toben sich dort aus. Norwegen ist dagegen eines der teuersten und reichsten Länder. Hat das einen Einfluss auf die Kreativität? Espedal bleibt abrupt stehen. „Ich kann das nicht mehr hören mit dem Reichtum. Als ich groß geworden bin, war Norwegen kein wohlhabendes Land.“ Heute könnten die Nachwuchsschriftsteller immerhin auf eine Akademie gehen, und ihr Handwerk erlernen. „Ich musste es alleine herausfinden.“ Der Reichtum des Landes fördere eher die Kreativität, glaubt er. Der Spaziergang endet bei USF Verftet. In der ehemals größten Konservenfabrik des Landes, entstand direkt am Meer ein Kulturkomplex, der zahlreiche Ateliers, Studios und Konzerträume beheimatet.

Schreibt seine Romane mit der Hand

Vom Kafe Kippers aus hat man einen guten Blick auf die gegenüberliegende Werft, in der einst die Männer seiner Familie schufteten. „Sie waren harte Arbeiter“, sagt er. Das Schreiben ist ebenfalls eine fast körperlich zehrende Leistung: „Der erste Satz, er muss hart sein wie Stahl. Man arbeitet ihn heraus, schleift und bürstet, schneidet und feilt, es ist Handwerk“, formuliert es Espedal in „Wider die Kunst“. Bis heute schreibt der 53-Jährige seine Romane nur mit der Hand, die linke Seite des Papiers lässt er dabei frei für Anmerkungen. Wie er in seinem Haus im Viertel Sandviken arbeitet, erinnert an einen Bühnenauftritt: Espedal sitzt stets im fensterlosen Keller. Sein schwach beleuchteter Schreibtisch ist gefüllt mit anderen Büchern, Fotos und einem Aschenbecher. Dann zieht er an seiner ersten Zigaretten, atmet ein und bringt die ersten Zeilen aufs Papier. „Es ist fast wie ein Ritual.“ Vielleicht ist es in einer Stadt wie Bergen, wo viele sich kennen, sogar einfacher, autobiografische Romane zu schreiben. Und dennoch geht er nicht so weit wie sein Freund Karl Ove Knausgård, der in seiner gewaltigen „Min Kamp“-Reihe selbst vor den Geheimnissen seines Bruders nicht Halt macht. „Ich könnte das nicht, finde es aber mutig, dass Karl Ove es wagt. Einer muss es tun.“

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