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Bloggerin Kübra Gümüsay
„Ich möchte die Stereotype aufbrechen“

Kübra Gümüsay
Kübra Gümüsay | Foto (Ausschnitt): © Kübra Gümüsay

Das Internet kann denen Gehör verschaffen, die sonst nicht in den Medien vorkommen, sagt die Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüsay im Interview. Manchmal bewege man sich aber im Netz auch nur in seiner eigenen abgeschotteten Community.

Frau Gümüsay, seit wann sind Sie Bloggerin und wie sind Sie es geworden?

Ich habe 2008 angefangen zu bloggen. Ich habe mich damals gefragt: Wie kann es sein, dass jemand, der mich überhaupt nicht kennt, mich auf der Straße als „Schleiereule“ beschimpft? Woher kommen diese Vorurteile? Eine Antwort war für mich: Es gibt ganz viele Parallelgesellschaften, die alle nebeneinanderher leben und kaum miteinander kommunizieren. Damit meine ich nicht nur Migranten auf der einen und die autochthone Mehrheitsgesellschaft auf der anderen Seite, sondern zum Beispiel auch Akademiker und Hartz-IV-Empfänger. Mit meinem Blog möchte ich die Stereotype aufbrechen, die sich über Jahre aufgebaut haben. Was ist einfacher, als per Mausklick in die Welt eines muslimischen Mädchens in Deutschland einzutauchen?

Worüber schreiben Sie?

Anfangs habe ich viel aus meinem Leben geschrieben, damit die Leser anfangen, in der Masse der Kopftücher Individuen zu erkennen. Zunehmend erzähle ich auch Geschichten von Menschen, die sich selbst kein Gehör verschaffen können, weil sie in den Medien nicht auftauchen. Ich habe zum Beispiel über das Leben eines Transvestiten in Istanbul geschrieben. Oder über Frauen in Deutschland, die die deutsche Sprache nicht sprechen und „gar nicht da sind“, weil ihre Kompetenzen überhaupt nicht wahrgenommen werden.

Sie haben die vergangenen Monate im Ausland verbracht. Hat sich dadurch Ihr Blick auf die deutsche Gesellschaft verändert?

In England musste ich noch nie erklären, warum ich das Kopftuch trage. Ich habe hier noch nie bewusst Diskriminierung erfahren. Ich will nichts schönreden, auch hier gibt es rassistische Übergriffe. Aber die Offenheit ist zugleich eine ganz andere: Es gibt viele Kopftuch tragende muslimische Busfahrerinnen, an der Passkontrolle am Flughafen sitzt eine Schwarze neben einem Inder mit Turban. Viele Muslime sind sehr erfolgreich, es gibt bekannte muslimische Professoren, Anwälte und Richter. In England gibt es krasse soziale Probleme, doch gleichzeitig gibt es nicht die „gläserne Decke“ wie in Deutschland. Mir ist erst jetzt bewusst geworden, wie sehr man als muslimischer Zuwanderer in Deutschland dafür kämpfen muss, bis man auf Augenhöhe sprechen kann. Man muss immer zuerst erklären: Ich bin deutsch und ich spreche Deutsch.

Leider sprechen ja tatsächlich nicht alle Kinder aus türkischen Familien gut Deutsch – auch wenn sie in Deutschland geboren sind.

Ja, viele sprechen weder Deutsch noch Türkisch richtig gut. Zu Hause wird ihnen Türkisch nicht gut beigebracht, das bleibt auf die Alltagssprache beschränkt. In der Schule lernen sie dann plötzlich Deutsch, können aber Türkisch noch gar nicht richtig. Eigentlich müsste es zuerst eine muttersprachliche Förderung geben. Wenn man eine Sprache gut beherrscht, ist es viel einfacher, eine zweite zu erlernen. Ich hatte das Glück, dass meine Mutter mich stark gefördert hat. Ich konnte schon vor der Schule Türkisch lesen und schreiben und konnte mich sehr gut ausdrücken. Dadurch lernte ich dann auch besser Deutsch. Wie gut jemand sprachlich zurechtkommt, hängt nicht so sehr damit zusammen, seit wie vielen Generationen seine Familie in Deutschland lebt, sondern vor allem mit der sozialen Schicht und mit Förderung. Auch Deutsche, die aus einem sozialen Brennpunkt kommen, sprechen ja oft nicht gut Deutsch.

Vor Kurzem haben Sie bei Twitter geschrieben: „integration is highly discriminatory“, also „Integration ist hochgradig diskriminierend“. Wie ist das gemeint?

Das ist ein Zitat von einer feministischen Aktivistin hier in England. Es geht um die Frage: Wo ist die Grenze zwischen Integration und Assimilation? Was muss jemand tun, der integriert sein will? Es gibt in Großbritannien eine ähnliche Debatte wie in Deutschland. Ich denke da auch an die Diskussion, die ich mit Thilo Sarrazin in einer BBC-Sendung hatte. Ich habe mich vorgestellt, gesagt, was ich mache, und ihn gefragt: Was wollen Sie von mir? Und er sagte zu mir: „I want you to integrate“. Was soll ich noch tun, damit ich in seinen Augen als integriert gelte? Offenbar ist hier mit Integration Selbstaufgabe gemeint, ein Ablegen der eigenen Identität.

Stört es Sie eigentlich, wenn Sie immer wieder zu den Themen Integration und Islam befragt werden?

Oft wird über den Islam diskutiert und auf dem Podium sitzen gar keine Muslime. Das wird dann schnell polarisierend, populistisch und hetzerisch. Deshalb ist es schon einmal ein wichtiger Schritt, überhaupt eine Muslimin einzuladen und nicht nur über, sondern auch mit Muslimen zu sprechen. Gleichzeitig ist es mir aber wichtig, mich nicht auf diese Rolle reduzieren zu lassen – was zugegebenermaßen schwer ist. Ich habe kürzlich erst mit einer befreundeten Redakteurin, die bei einer prominenten Talkshow arbeitet, darüber diskutiert. Ist unsere Gesellschaft schon bereit, eine Frau mit Kopftuch im Fernsehen zu haben und sie nicht mit einem Wort über das Kopftuch sprechen zu lassen? Sobald ein Kopftuch da ist, hat man das Bedürfnis, es zu thematisieren. Ich hoffe, dass ich irgendwann im Fernsehen zum Beispiel über das Internet sprechen kann, ohne mein Kopftuch erwähnen zu müssen.
 

Kübra Gümüsay

(geb. Yücel) wurde 1988 in Hamburg geboren. Ihr Blog Ein Fremdwörterbuch wurde 2011 für den Grimme Online Award nominiert, das Medium Magazin nahm sie im selben Jahr in die „Top 30 bis 30“ der vielversprechenden journalistischen Nachwuchstalente auf. Für die tageszeitung (taz) schreibt sie die Kolumne Das Tuch. Zurzeit lebt Sie in Oxford, Großbritannien, und arbeitet an einem Sachbuch für Jugendliche.

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