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Bibliotheken als Verleger
Mehr als graue Literatur

Lesesaal in der Universitätsbibliothek der Humboldt Universität zu Berlin
Lesesaal in der Universitätsbibliothek der Humboldt Universität zu Berlin | Foto (Ausschnitt): © K.H.Reichert, Humboldt Bibliothek, via flickr.com, Lizenz CC BY 2.0

Bibliotheken sind längst nicht mehr nur Abnehmer und Bestandswahrer von Publikationen. Zunehmend werden vor allem die wissenschaftlichen Bibliotheken selbst verlegerisch tätig. Dabei eröffnet die fortschreitende Digitalisierung neue Felder für die Herausgeberschaft.

Im anglo-amerikanischen Raum besitzt das Bibliotheks-Verlagswesen eine lang gewachsene Tradition. Prominente Beispiele sind die Editionen von Institutionen wie den Universitäten Oxford oder Cambridge. Eine vergleichbare Geschichte gibt es in Deutschland nicht. Veröffentlichungen von Bibliotheken beschränkten sich hierzulande zumeist auf die sogenannte graue Literatur – auf Bücher und Publikationen also, die nicht über den Buchhandel vertrieben, sondern in der Deutschen Nationalbibliografie veröffentlicht und in Bibliotheksbeständen vorgehalten werden.

„Inzwischen aber wandelt sich die Rolle der Bibliotheken. Sie sind nicht mehr nur kaufende Abnehmer von Publikationen, sondern mit ihrem Know-how an vielen Stellen im Prozess der Veröffentlichung beteiligt“, sagt Regine Schmolling. Sie ist Leiterin des Fachbereichs Kulturwissenschaft an der Universitätsbibliothek Bremen, außerdem Sekretärin des ständigen Ausschusses in der Sektion Erwerb und Bestandsentwicklung bei der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA). Auf dem IFLA-Weltkongress, der im August 2015 in Kapstadt tagte, stand das Thema „Bibliotheken als Verleger“ auf der Agenda.

Neuer Begriff vom Verleger

Mit verlegerischer Tätigkeit ist dabei nicht in erster Linie der traditionelle Vertrieb von Monographien gemeint. Zwar geben sowohl wissenschaftliche als auch öffentliche Bibliotheken immer wieder Fest- oder Jubiläumsschriften heraus, auch als E-Book. Aber das ist eher ein Nischenmarkt. „Man muss den verlegerischen Begriff heute weiter fassen“, so Schmolling. Als ein Beispiel nennt sie Dissertationen, die von Universitätsbibliotheken in digitaler Form auf einem Dokumentenserver aufgelegt und zugänglich gemacht werden. „Hier liegt die Herausgebertätigkeit in der Bewertung eines Dokuments durch den Fachbereich. Die Bibliothek übernimmt verlegerische Arbeit, indem sie Werke dauerhaft speichert.“

Auch auf dem Markt der Fachzeitschriften kommt den Bibliotheken als Verleger eine zunehmend wichtige Rolle zu. Anstoß gab hier die sogenannte Zeitschriftenkrise Ende der Neunzigerjahre. Bestimmte Verlage mit Monopolstellung verteuerten die Abonnement-Preise für ihre Publikationen derart, dass viele Bibliotheken sie nicht mehr bezahlen konnten. In der Folge haben Hochschulen und ihre Bibliotheken vielfach eigene Zeitschriften online aufgelegt. Zwar konnten sich längst nicht alle gegen die renommierten Fachorgane behaupten. Aber eine Publikation wie German Medical Science – herausgegeben von 140 medizinischen Fachverbänden und in der Zentralbibliothek Köln verlegt – hat am Markt Fuß gefasst. „Wo Bibliotheken im Verbund mit Hochschulen eine Forschungsumgebung schaffen, haben sie als Publisher eine Zukunft“, ist Schmolling überzeugt.

Digitalisierung als Kritische Edition

Ein weiteres Feld ist die Digitalisierung des Altbestands, die vielfach auch von Staatsbibliotheken betrieben wird. „Hier liegt die Herausgebertätigkeit in der Auswahl von Titeln, die man für digitalisierungswürdig hält“, erläutert Schmolling. „Das gleicht einer digitalen Neuausgabe als kritische Edition“. Als Beispiele nennt sie die Digitalisierung der Gutenberg-Bibel in Göttingen und der Werke des preußischen Königs Friedrichs II. an der Universitätsbibliothek Trier.

Titel aus dem vorhandenen Altbestand werden aufbereitet und zueinander in Beziehung gesetzt: mithilfe digitaler Werkzeuge, die Links und Verweise ermöglichen. „Wir befinden uns in einer Ära“, betont Schmolling, „in der das Papierdokument längst nur noch eine Variante unter vielen ist“. Selbst die Entwicklung von Apps – die unter anderem die Bayerische Staatsbibliothek auf der Basis von digitalen Beständen betreibt – könne im weitesten Sinne als Herausgebertätigkeit betrachtet werden.

Forschungsdaten speichern

Als ein Beispiel für den Paradigmenwechsel auf dem publizistischen Bibliothekssektor nennt Schmolling die Primärdaten-Dokumentation. Forschungsdaten, die Grundlage von Veröffentlichungen waren, werden dabei auf Servern der Bibliothek gespeichert, damit auch andere darauf zugreifen können. „Hier können die Bibliotheken ihre Erfahrung mit der Normierung und Kategorisierung von Inhalten einbringen“, so Schmolling. „Wir erfassen die Inhalte und machen sie auffindbar“.

Für die mit öffentlichen Geldern geförderten Bibliotheken sind die genannten Modelle keine profitorientierten Geschäftsstrategien. Vielmehr geht es dabei um Open Access, den freien Zugang zu Inhalten. Dabei kann es freilich vorkommen, dass erprobte Modelle von Verlagen oder anderen Unternehmen aufgegriffen werden.Kritisch sieht Schmolling die Aktivitäten des US-amerikanischen Konzerns Google, der weltweit mit Institutionen Verträge über die Digitalisierung ihrer Bestände geschlossen hat. „Unter welchen gewinnmaximierenden Erwägungen Google das kulturelle Erbe der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen will, bleibt ungewiss“, so Schmolling. Gerade vor diesem Hintergrund seien die Bibliotheken aufgefordert, sich zu fragen: „Welche Rolle wollen wir im Prozess des Electronic Publishing spielen? Geben wir ihn aus der Hand – oder nehmen wir aktiv daran teil?“

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