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Bosporuskino
Literarische Betrachtungen von David Wagner

In unserer neuen Serie "Bosporuskino" unternimmt der Berliner Schriftsteller David Wagner literarische Streifzüge durch Istanbul. David Wagner, 1971 geboren, debütierte im Jahr 2000 mit dem Roman «Meine nachtblaue Hose» und veröffentlichte in der Folge den Erzählungsband «Was alles fehlt», das Prosabuch «Spricht das Kind», die Essaysammlung «Welche Farbe hat Berlin» sowie den Roman «Vier Äpfel», der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand. Für sein Buch «Leben» wurde ihm 2013 der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. 2014 erhielt er den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster Friedrich-Dürrenmatt-Professor für Weltliteratur an der Universität Bern. David Wagner lebt in Berlin. Er war von Januar bis Juni 2015 als Stipendiat der Kulturakademie Tarabya in Istanbul.

Der Minibus hält um viertel nach sieben in Istinye, um zwanzig nach ist die Fähre schon da, ich springe an Bord und bin auf dem Wasser. Sitze nur kurz unter Deck, heute ist es ein anderes, kleineres Schiff, nicht das, das ich kenne. Bestelle Tee und gehe bald hinauf in die Sonne, der Wind ist warm. Sitze auf dem Sonnendeck, schaue aufs Blau, trinke Tee und träume. Ich schlafe ja noch halb, ein Wunder, daß ich aus dem Bett gekommen bin. Das Schiffchen tuckert am anatolischen Ufer entlang, dicht an den Häusern vorbei, in einem Garten stehen drei griechische Säulen, korinthische Kapitelle. Großartige Häuser sind zu sehen, neuere Protzbauten und ältere aus Holz, eines wird gerade abgerissen. Bevor wir nach Bebek übersetzen kreuzt ein U-Boot unseren Kurs, schon wieder, gestern erst fuhr eines vorbei. Von beiden Bosporusbrücken wehen riesige Galatasaray-Fahnen, sie hängen da wie Vorhänge senkrecht herab, als wären die Brücken Vorhangstangen zwischen Europa und Asien. Hängen sie da, weil Galatasaray gerade die Meisterschaft gewonnen hat? Darf das Wappen des Fußballmeisters sich dann unter beiden Brücken zeigen?

Vom Anleger in Eminönü schlendere ich heute nicht Richtung Sultanahmet, sondern über die Galatabrücke, das Geländer wurde gerade gestrichen. Grau ist es nun, sieht besser aus als vorher. War es vorher nicht grün? Oder türkis? Ich weiß es schon nicht mehr genau. Nicht wenig Farbe wurde verkleckert, hechtgraue Farbspritzer überall auf dem Boden, dicke Lacknasen sind an den Pfosten eingetrocknet. Gerade denke ich daran, dass ich nicht nur vom Schiff, sondern auch von der Galatabrücke aus schon Delphine gesehen habe – da springen zwei zwischen zwei Fähren in die Höhe, mitten in der Durchfahrt. Bleibe stehen, bleibe länger stehen, und sehe sie, ich zähle mit, zwölfmal zusammen aus dem Wasser springen, der Schiffsverkehr scheint sie nicht zu stören, an die Schiffe haben sie sich wohl gewöhnt. Sie schießen immer paarweise in die Höhe, schöne, große Tiere. So feucht, so glänzend. Ich staune. Sieht so aus, als ob sie hier vor der Brücke ausgiebig frühstückten – das denke ich mir zumindest, als ich die Angler jenseits der Durchfahrt eine Sardine nach der anderen aus dem Wasser ziehen sehe. Ein größerer Schwarm muss ins Goldene Horn geschwommen sein, Frühstück für Delphine. Ich habe dann auch Hunger, gehe zu Namlı Gurme, finde einen guten Platz, freue mich, bestelle Kaffee und Frühstück (keine Sardinen) und fange an zu schreiben...

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