Film Filmreihe: "Stadt von morgen"

"Stadt von morgen"
Eine Filmreihe des Goethe-Instituts Izmir, kuratiert und präsentiert von Florian Wüst (Berlin)
Zu Gast: Sandra Schäfer (Berlin), Neslihan Demirtas Milz (Izmir)
 
14./15. März 2017
 
Mimarlar Odası İzmir Şubesi
1474 sok. No:9
35220 Alsancak – İZMİR


Alle Filme in Orginalfassung mit englischen Untertiteln.
Filmeinführungen und Publikumsgespräch am 15. März mit Konsekutivübersetzung.
Eintritt frei.


Knapp über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Im Jahr 2050 sollen es Schätzungen nach bis zu Zweidrittel sein, was einen weltweit immens steigenden Bedarf an neuen Wohnungen bedeutet. Auch wenn in manchen Gegenden Europas die Städte weiterhin schrumpfen, auch hier ist das Thema Wohnen zurück im gesellschaftlichen Diskurs. Nicht nur als Stilfrage, sondern als Überlebensfrage. Denn es wird immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden.
 
Im Kapitalismus ist Wohnraum eine handelbare Ware. Und doch unterscheiden sich Haus und Wohnung von anderen Konsumgütern: Wohnen müssen alle. Vor allem die Bodenspekulation wirkt sich unmittelbar auf Wohl und Elend der Menschen aus. Ein wesentliches Anliegen der modernen Reformbewegungen zu Anfang der 20. Jahrhunderts bestand deshalb darin, die Wohn- und Lebensverhältnisse der sich in den Industriezentren ansiedelnden Arbeitsbevölkerung zu verbessern. Öffentlich geförderte Wohnungsbauprogramme wurden im Zusammenspiel mit der Rationalisierung von Architektur und Bauwesen verwirklicht. Ging es einst um die Vision eines sozialen Ausgleichs, die den kapitalistischen Städtebau in die Schranken weisen sollte, bilden heute wieder die Verwertungsinteressen von Investoren und Eigentümern die stärkste Kraft hinter der sozialen Struktur und räumlichen Gestalt der Stadt von morgen.
 
Vor diesem Hintergrund richten die drei künstlerischen und dokumentarischen Filme der Reihe ihren Blick auf konkrete Orte, an denen sich Geschichte und Gegenwart städtischer Erneuerung nachvollziehen lassen: die 1932 erbaute Werkbundsiedlung in Wien, der Dortmunder Stadtteil Hörde sowie die Modellstadt Başakşehir in Istanbul.
 
 
relation_to_life_Parade 14. März 2017, 18:00 Uhr
 
forms in relation to life / Die Wiener Werkbundsiedlung
Heidrun Holzfeind, AT 2014, 60', dt. OF mit engl. UT

 
Mehr als 80 Jahre nach der Errichtung der Wiener Werkbundsiedlung zeigt Heidrun Holzfeind das Leben in den weltberühmten Musterhäusern des Neuen Bauens der frühen 1930er Jahre. Eine Vielzahl österreichischer und internationaler Architekten, u.a. Margarethe Schütte-Lihotzky, Josef Frank, Adolf Loos, Gerrit Rietveld und Richard Neutra, schufen unterschiedliche Typen von Wohnhäusern nach den Grundsätzen von „Funktionalität und Wirtschaftlichkeit auf engstem Raum“. Holzfeinds Film untersucht, wie sich die heutigen Bewohner eingerichtet und die Häuser nach ihren Wünschen adaptiert haben. Wie gehen sie mit dem minimalen Wohnraum und den Restriktionen der denkmalgeschützten Siedlung um, mit der sich urspünglich die soziale Utopie des Zusammenlebens verschiedener Klassen verband? „Architektur erzählt immer ein Stück Kulturgeschichte des Menschen im Spiegel seiner Baustile. Wandert der Blick diesbezüglich in einen Wohnraum, wird diese Erzählung notgedrungen persönlich. So ist es nicht nur das Leben, das die Formen herausfordert, sondern dieselben Formen bedingen in weiterer Folge das Leben in und mit ihnen.“ (Lena Stölzl)
 
 
Göttliche Lage 14. März 2017, 19:30 Uhr
 
Göttliche Lage
Ulrike Franke & Michael Loeken, DE 2014, 104', dt. OF mit engl. UT

 
Über fünf Jahre hinweg wurde inmitten des Dortmunder Arbeiterviertels Hörde gebaut: Das ehemalige Stahlwerk Phoenix-Ost, das einst 18.000 Menschen beschäftigte, ist einem künstlichen See gewichen, dem Phoenix-See. An dessen Ufern sind luxuriöse Wohnungen und Einfamilienhäuser entstanden, es gibt einen Marina und eine Piazza. In den Projektbeschreibungen der Phoenix-See-Entwicklungsgesellschaft wird die Zukunft des Stadtteils nicht mehr mit harter Arbeit, Stahlproduktion und Umweltverschmutzung assoziiert. Die neuen Schlagworte lauten Freizeit, Erholung und mediterranes Flair. Ulrike Franke und Michael Loeken dokumentieren nicht nur den Verlauf der Bauarbeiten, sie lassen auch Investoren und Bauherren, Planer und Anwohner zu Wort kommen. So entsteht ein komplexes und hochaktuelles Bild der Gentrifizierung und des sich vertiefenden sozialen Zwiespalts in der post-industriellen Dienstleistungsgesellschaft. Denn in den Nachbarstraßen des Phoenix-Sees herrscht Arbeitslosigkeit. Aber auch das versprochene neue Wohnparadies hat bereits erste Risse: Der See ist mit einem Badeverbot belegt, die Stadtvillen erscheinen zu eng aneinander gebaut, vom Himmel dröhnt Fluglärm.
 
 
Basaksehir 15. März 2017, 18:00 Uhr
 
Başakşehir: An Urban Model
Sandra Schäfer mit Ayşe Çavdar, DE/TR 2014, 100', türk./engl. OF mit türk. UT
 
Im Anschluss: Publikumsgespräch mit Sandra Schäfer und Neslihan Demirtas Milz, Izmir Katip Celebi Universität

 
Seit Ende der 1990er Jahre entsteht weitab vom historischen Zentrum Istanbuls der neue Stadtbezirk Başakşehir. Obwohl als Siedlung des sozialen Wohnungsbaus begonnen, wurden zahlreiche Gated-Community-Komplexe errichtet, die heute hauptsächlich neoliberale religiöse Mittelschichtsfamilien beherbergen. Başakşehir ist zugleich Teil eines umfassenderen Transformationsprozesses, der neben der physischen auch die soziale Umstrukturierung der Stadt beinhaltet. Mit dem geplanten Großflughafen und einem zweiten Bosporuskanal bildet sich hier ein zukünftiges Zentrum heraus. „Başakşehir wird die Altstadt dieser neuen Bosporusstadt sein“, beschreibt die Journalistin Ayşe Çavdar diese Entwicklung. Als Videoinstallation für den Ausstellungsraum und in Zusammenarbeit mit Çavdar konzipiert, dokumentiert Sandra Schäfers Film die von kapitalistischen Interessen geleitete Modellstadt anhand verschiedener räumlicher Narrative und verwebt diese mit den subjektiven Perspektiven von Bewohnern, Arbeitern und Verkaufsmanagern, die Aufschluss über die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der urbanen Veränderungen geben.
 

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