Irina Matvienko- Gründerin von Nemolchi.uz, Journalistin, Bloggerin und Aktivistin

Irina Matvienko- Gründerin von Nemolchi.uz, Journalistin, Bloggerin und Aktivistin
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Im Jahr 2017 haben Sie nemolchi.uz gegründet. Wie sah ursprünglich diese Plattform aus?
Das war eine Facebook Seite.

Was für ein Ziel verfolgen Sie bei nemolchi.uz? Was möchten Sie damit erreichen?
Die Aufgabe des Projektes ist das Bewusstsein der Menschen in Usbekistan in Bezug auf Frauenrechte zu stärken. Wir identifizieren uns als ein Projekt gegen Gewalt in Usbekistan. Die meisten Geschichten, die uns geschickt werden, stammen von Frauen. Wir kriegen auch persönliche Geschichten von den Männern oder LGBT, aber diese Geschichten sind nicht in der Mehrheit.

Warum heißt das Projekt nemolchi.uz?
Als erstes kam bei mir die Idee mit dem Namen. Ich wusste nicht so genau was für ein Projekt es sein soll, aber ich wollte es unbedingt Nemolchi nennen. Es kamen sehr viele Reformen im Jahr 2017, aber keine Reform gegen Gewalt an Frauen. So wollte ich eine Bewegung gründen, die sich gegen Gewalt an Frauen auseinandersetzt. Ich finde, wenn man über ein Problem redet, ist es leichter dieses Problem zu lösen. In unserem Alltag in Usbekistan stoßen wir gegen Mentalität, die uns nicht erlaubt über Probleme zu Hause zu reden. Und so funktioniert unsere Gesellschaft. Deshalb schweigt man oft über die Gewalt und Gewalterfahrung. Noch ein Grund, warum viele Gewaltopfer schweigen, ist dass die Opfer selbst beschuldigt werden - „Victim blaming“.

Was sehen Sie als Erfolg in Ihrer Arbeit? Und wann sind Sie sehr glücklich, dass Sie in dieser Arbeit sind?
Für mich sind die echten Erfolge meiner Arbeit zu sehen, dass wir etwas verändern können. Zum Beispiel, wenn wir ein Schreiben an den Gesetzgeber zusammenfassen und nach einer Weile sehen, dass dieses Schreiben etwas bewirkt hat. Denn es sind die nachhaltigen Erfolge. Diese Schritte werden langfristig gesehen, Menschen unterstützen unsere Initiative dann auch. Die Änderungen im Gesetzbuch helfen nicht nur einer Frau, sondern schützen alle Frauen.

Hatten Sie Fälle, wenn die Mädchen über Mobbing in der Schule oder eine andere Gewaltform erzählt haben?
Ja, wir bekommen auch solche Geschichten.

Was machen Sie gegen Mobbing?
Wir helfen soweit wir können im Rahmen unseres Projekts. Ich finde, um die Probleme der Jugendlichen zu lösen, sollte eigentlich ein neues Projekt gegründet werden. Nemolchi.uz ist ein Ehrenamtsprojekt. Es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Deshalb können wir uns nicht leisten, uns auch auf die Jugendlichen zu fokussieren. Wir bekommen bei Nemolchi.uz täglich über 10-15 Geschichten von den erwachsenen Frauen. Und aus der Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass die meisten Probleme, die die Jugendlichen haben, Konflikte mit ihren Eltern sind.

Welche Probleme treten in Ihrer Arbeit am meisten auf?
Das sind zwei wichtigsten Probleme: häusliche Gewalt und Belästigung.

Ab wann kommt der Moment, wenn die usbekischen Frauen sagen, dass sie nicht mehr dulden wollen? Ab wann sind sie bereit über ihre Gewalterfahrung zu reden?
Das ist immer unterschiedlich. Es ist sehr, sehr individuell. Manchmal ist es verbale oder finanzielle Gewalt, die sie zum Reden bringt.

Jetzt ist in Europa durch den Lockdown die Gewalt gegen Frauen (vor allem finanzielle Gewalt) gestiegen. Was denken Sie, ist es auch so in Usbekistan?
Ich denke ja. Die Zahlen sind in der ganzen Welt gestiegen und Usbekistan kann keine Ausnahme sein. Während der Quarantäne steigen die Zahlen allein deshalb, weil die Menschen zusammen in einem engeren Raum zusammen sind.
Wegen der finanziellen Gewalt wollte ich auch noch etwas sagen: Es ist einfach durch die Erziehung unserer Töchter so, dass sie von den frühen Jahren als künftige Hausfrauen erzogen werden. Dadurch wird automatisch das ganze Geld bei den Männern sein, weil sie die Hauptverdiener sind. Deshalb entscheiden die Männer, was sie mit diesem Geld machen.

Welche rechtliche Form hat nemolchi.uz? Ist es eine NGO?
Nein, nemolchi.uz ist nicht als eine NGO registriert. In Usbekistan ist es nicht einfach eine NGO zu registrieren und dazu kommt noch, dass die Arbeit der NGOs  stark kontrolliert wird. Nemolchi.uz ist als eine Presseredaktion registriert.

Wie viele Ehrenamtliche arbeiten bei nemolchi.uz?
Es sind 10 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen.

Sie sind als Gesicht von nemolchi.uz ziemlich bekannt. Wurden Sie als Nemolchi- Mitarbeiterin schon mal bedroht?
Menschen nehmen unsere Arbeit im Ganzen positiv wahr. Wir helfen Menschen und sie sind dankbar dafür. Zum Beispiel, wir haben vielen Frauen geholfen toxische Beziehungen zu verlassen. Aber ich hatte auch Bedrohungen bekommen. Ein Teil der Gesellschaft sieht unsere Arbeit sehr kritisch. Sie denken, dass wir ihre Werte, ihre Familien zerstören wollen. Nach der Publikation eines Beitrags über das Leben der LGBT-Community habe ich ganz viele negative Kommentare, einige Nachrichten mit Bedrohungen bekommen. Und jemand hat mich sogar „für die Zerstörung der traditionellen Werte der Gesellschaft“ angezeigt.

Wie sehen ihre Familie und ihre Freunde ihre Arbeit?
Meine Familie unterstützt mich sehr. Aber zu Hause reden wir nicht die ganze Zeit über Nemolchi.uz und über die Probleme der Frauen. Aber ich muss sagen, dass ich immer die Unterstützung meiner Familie fühle.

Welche Zukunftspläne haben Sie in Bezug auf Arbeit von nemolchi.uz?
Mein Hauptziel ist weiterhin die Arbeit von Nemolchi.uz fortzusetzen, weiterhin die Gesellschaft über die Probleme der Frauen in Usbekistan zu informieren. Ich finde es sehr wichtig. Außerdem würde ich uns wünschen, dass die usbekische Version von Nemolchi.uz noch mehr Abonnenten bekommt. Es ist aber ziemlich schwer.

Was denken Sie, was für eine Zukunft erwartet Usbekistan in Bezug auf die Gleichberechtigung der Menschen in der Gesellschaft? Wird Usbekistan bald gleichberechtigt?
Usbekistan wird nicht bald gleichberechtigt. Unser Land wird erst dann frei, wenn die Generation von den Menschen, die die Gewalt in der Gesellschaft als etwas Normales betrachten, ausstirbt. Heutzutage sieht unsere Gesellschaft Gewalt an Frauen sowie Belästigungen als etwas Normales. Bei uns ist deshalb "Victim Blaming" auch sehr weitverbreitet. Die stark geprägte Altershierarchie stört unsere jungen Menschen frei denken zu dürfen. Unsere jüngere Generation ist flexibel, sie denken über Frauen- und Menschenrechte nach. Jedoch sie werden von den älteren Menschen, die anders denken, bedrückt. Die Gleichberechtigung in Usbekistan ist die Frage von einigen Generationen. Unsere Arbeit z.B. wird für unsere Enkel oder Kinder von den Enkeln gemacht.

Die Texte geben wir authentisch wieder und bedanken uns herzlichst bei allen Beteiligten für die Mitwirkung bei diesem Projekt.
 

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