Elektromusik Festival
Stihia

Installation in der Wüste © Feruz Rustamov

Das ausgetrocknete Bett des Aralsees verwandelt sich in eine Szene der elektronischen Musik, Techno, Avantgarde und Tanzmusik. Um die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf diese größte menschenverursachte Tragödie zu lenken, werden tausende Musikliebhaber*innen in die wirtschaftlich ruinierte Stadt angelockt.

 

Zwischen Wüste, Wind und Techno – Eindrücke vom Stihia Festival 2025

20 Uhr abends, 30 Grad im Schatten. Während die Sonne über der Wüste Muynaks untergeht, versammelt sich die tanzlustige Menge auf dem Festivalgelände. Dort, wo einst der Aralsee an die Stadt Muynak grenzte, ist heute nur noch eine trockene Brache. Eine Brache mit Schiffswracks, Sträuchern und Sand. Und dank des Stihia-Festivals: eine Brache mit Kunstinstallationen. Fünf Bühnen sind aufgebaut – drei davon sind auch für Menschen ohne Festivalticket zugänglich. Bei jeder Bewegung wirbelt Staub vom sandigen Boden auf. Trotz der Hitze und der Mischung aus Sand in den Augen und Staub im Mund ist die Stimmung angenehm ausgelassen. Verschiedene Sprachen sind zu hören: Usbekisch, Russisch, Kasachisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch …

Während von abends bis tief in die Nacht getanzt wird, findet tagsüber das Stihia N+1 Forum mit Vorträgen und Workshops zu unterschiedlichen Themen statt: Künstliche Intelligenz in der Bildung, Blogging als neuer Journalismus, Beiträge für Musik- und Kunstschaffende. Außerdem werden Filme gezeigt, die sich mit dem ökologischen Thema des Wassermangels und der Bedeutung des Elements Wasser beschäftigen. Auch für die Jugendlichen Muynaks gibt es spezielle Bildungsangebote – sie dürfen sogar selbst mit einem musikalischen Programm auf der Bühne auftreten.

Am Abend nehmen viele Stadtbewohner*innen am Festival teil: Männer mittleren Alters, Familien mit kleinen Kindern, Jugendliche – alle Generationen sind vertreten. Auf die Frage, was die Einwohner*innen Muynaks über das Festival denken, hört man durchweg positive Rückmeldungen. Es sei gut, dass das Festival stattfindet.

Der Festivalname „Stihia“ stammt vom altgriechischen Wort „Stoicheion“ (στοιχεῖον), das die Grundbausteine der Welt bezeichnet – die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer – die Kräfte der Natur. Und diese lassen sich beim Festival spüren: die Hitze und Dürre, der starke Wind, die unendliche Weite der karakalpakischen Wüste, die das Ausmaß der Umweltkatastrophe sichtbar macht. Gleichzeitig vermittelt sie einem das Gefühl, dass es etwas Größeres gibt als einen selbst – und dass man selbst Teil von etwas Größerem ist. Und irgendwo zwischen trockener Erde und Himmel ist Wasser. Man hat den Eindruck, es schwebt in der Luft. Gerade durch das Wissen um seinen Mangel scheint es allgegenwärtig. Das Element ist durch seine Abwesenheit präsent. Die Erinnerung an die einstige Blütezeit des Aralsees ist in Muynak noch spürbar.

Das Ziel des Festivals wird erreicht: Es macht auf die Umweltkatastrophe rund um den Aralsee aufmerksam. Gleichzeitig kommen gemischte Gefühle auf, wenn man in den Wohnungen der Stadtbewohner*innen lebt und ihre Wasserreserven verbraucht. Doch vielleicht liegt genau in diesem Zwiespalt der entscheidende Punkt: Das Individuum wird nicht nur theoretisch, sondern auch körperlich mit dem Wassermangel konfrontiert.

Das Festival ist längst selbst zu einer Art Naturgewalt geworden – ein Ereignis, das die sonst so stille Stadt Muynak innerhalb weniger Tage wie ein Wirbelsturm durchquert. Doch bekanntlich kehrt nach jedem Sturm wieder Ruhe ein. Bis im nächsten Jahr erneut ein Stihia-Sturm durch Muynak zieht.

Text: Aprelkova Anastasia

Auf dem Festivalgelände © Feruz Rustamov

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