Iván Fund  „Wir verstehen es, uns zu wehren, und haben keine Angst“

Die Nachricht. Argentinien/Spanien/Uruguay, 2025. Regie: Iván Fund. Auf dem Foto: Anika Bootz. Berlinale Wettbewerb
Die Nachricht. Argentinien/Spanien/Uruguay, 2025. Regie: Iván Fund. Auf dem Foto: Anika Bootz. Berlinale Wettbewerb © Iván Fund, Laura Mara Tablón, Gustavo Schiaffino / Rita Cine, Insomnia Films

Der Regisseur und Drehbuchautor Iván Fund, dessen neuer Film Die Nachricht auf der Berlinale zu sehen ist, spricht über den kreativen Prozess, das Potenzial des Kinos und die gegenwärtige Krise in Argentinien.

Anika ist ein Kind mit einer besonderen Gabe: Sie kann mit Tieren kommunizieren, und sie lebt mit ihren Pflegeeltern Myriam und Roger in einem Wohnmobil. Zusammen fahren sie durch das Landesinnere Argentiniens und bieten Beratungen für vielfältige Arten an, ob Katzen, Hunde, Schildkröten, Stachelschweine oder Pferde. So verdienen sie ihren Lebensunterhalt. Wenn die frühreife Anika mit den Tieren spricht, tröstet sie gleichzeitig die Erwachsenen. Der Schwarz-Weiß-Film mit dichtem Soundtrack vermittelt eine melancholische Stimmung, in der immer auch Magie und Abenteuer mitschwingen.

Könntest du uns etwas über die Entstehung des Films erzählen? Wie kam es zu der Idee mit dem Mädchen, das die Fähigkeit hat, mit Tieren zu sprechen?

Es ist eine Fantasie vieler Kinder. Für Kinder ist es natürlich, sich als Teil der Gemeinschaft aller Lebewesen zu fühlen. Ich fand interessant, wie jemand mit einer außergewöhnlichen Gabe in der heutigen Welt kaum davon leben kann. Wie diese Gabe zur Grundlage weltlicher Geschäftsbeziehungen wird (heutzutage scheint ja alles kommerzialisiert zu werden).

Die Forschungsphase („Forschung“ im weiteren Wortsinn, nicht mit dem Ziel einer Definition, sondern zur Wissenserweiterung) ist sehr bereichernd. Ich habe Medien gestalkt, die im Internet ihren Service anbieten, aber darüber hinaus und obwohl der Film gewissermaßen eine flachere Linie verfolgt, konnte ich mich für die Texte der belgischen Philosophin Vinciane Despret (Was würden Tiere sagen, würden wir die richtigen Fragen stellen?, Autobiografie eines Kraken und Au bonheur de morts – bisher nicht ins Deutsche übersetzt; Anm. der Red.) begeistern, genauso wie für aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen zur Interspezies-Kommunikation.

Der Film ist ein Roadmovie im Landesinneren Argentiniens. Wo wurde er gedreht? Warum hast dich für Schwarz-Weiß entschieden?

Wir haben den Film in der Provinz Entre Ríos gedreht, wo ich aufgewachsen bin und wo ich fast alle meine Filme gedreht habe. Eine Region mit Flüssen und voller wunderbarer staubiger Straßen und kleiner Bauerndörfer – die Landschaft meiner Kindheit.

Schwarz-Weiß ist wohl ein unmittelbares Ergebnis der Handlung selbst. Ich wollte, dass die Geschichte in einer Art „Movieland“ spielt. So wie Peter Bogdanovichs Paper Moon während der Großen Depression in den USA stattfindet, spiegelt Die Nachricht die aktuelle Situation in Argentinien wider: die wirtschaftliche und soziale Krise, die nicht nur die großen urbanen Zentren trifft, sondern sich auch auf kleinere Städte und ländliche Gegenden auswirkt. Ihre Welt hat fast etwas Dystopisches.

Könntest du uns etwas über die Einarbeitung der Schauspieler erzählen? Und wie war es, mit so vielen Tieren zu drehen?

Es war alles sehr fließend, weil wir uns sowohl im Technikteam als auch in der Besetzung schon ziemlich gut kannten. Anika kannte schon Marcelo Subiotto und Marta Bestelli, und Betania, die ihre Mutter spielt, ist auch ihre echte Mutter. Unser Team war sehr klein, was die Dreharbeiten sehr familiär und superdynamisch gemacht hat. Ein wesentlicher Aspekt des gesamten Prozesses war, die Konzentration und Flexibilität sowohl vor als auch hinter der Kamera auf dem gleichen Level zu halten.

Es gab kein „Action!“ oder „Cut!“. Die Besetzung und das Team waren immer aufmerksam und bereit, etwas zu ändern oder zu improvisieren, wenn sich etwas ergab und vielversprechend sein konnte. Es ist eine Arbeitsweise, bei der viel ausprobiert wird, statt eine Szene strikt umzusetzen. Mit den Tieren war es genauso: Bei jeder Begegnung waren wir offen. Nachdem ich schon mehrere Filme mit Tieren gedreht hatte, wusste ich, dass die Kamera und das Team während der Szene keine Trennung zwischen „Film“ und „Leben“ erzwingen dürfen, damit alles fließt und das Material zustande kommt.
Die Nachricht. Argentinien/Spanien/Uruguay, 2025. Regie: Iván Fund. Auf dem Foto: Anika Bootz, Mara Bestelli. Berlinale Wettbewerb.

Die Nachricht. Argentinien/Spanien/Uruguay, 2025. Regie: Iván Fund. Auf dem Foto: Anika Bootz, Mara Bestelli. Berlinale Wettbewerb. | © Iván Fund, Laura Mara Tablón, Gustavo Schiaffino / Rita Cine, Insomnia Films

Durch die langen Einstellungen, die Musik und die Art, wie die Figuren miteinander in Beziehung treten, vermittelt der Film eine tiefe Melancholie. Um welchen Verlust geht es?

Mono no aware heißt bei den Japanern dieser Zustand der Empathie mit dem Flüchtigen, eine Mischung aus Erschütterung und Melancholie angesichts der Vergänglichkeit. In unserem Film ist es ein bisschen ähnlich, mehr als ein Zeichen von Sehnsucht ist er eine Einladung zur Entzifferung, Betrachtung und Empfindsamkeit für die rätselhafte Form, in der Realität und Kino Gestalt annehmen.

Die Botschaften, die das Mädchen von den Tieren empfängt, spiegeln manchmal offenbar das Leben der Protagonisten und ihr Schweigen wider. Wurde damit eine zweite Erzählebene geschaffen?

Genau so stelle ich mir das Kino und seine Erzählweise gern vor, fast geologisch, mit jeder Schicht, die ihre Geschichte erzählt, und alle zusammen bilden den fruchtbaren Boden, auf den der Film seinen Fuß setzt. Mich sprechen Erzählungen an, die sich ablagern. Die im Laufe der Handlung die geheimen Verbindungen ihrer Elemente preisgeben, die wiederum zunehmend im Dialog stehen und ein gegenseitiges Echo finden, je mehr Schichten der Lektüre oder Wahrnehmung hinzukommen (oder entdeckt werden). Damit meine ich nicht das Ergebnis genau überlegter und steril übereinandergelegter Ideen, sondern im Gegenteil: die unvermeidliche Anhäufung der schwersten Partikel, die sich absetzen und Zeugnis von dem liefern, was sich an dieser Stelle ereignet hat. Einen Film drehen heißt für mich vor allem Beziehungsarbeit und Entdecken.

Wieso wolltest du Tieren eine Stimme geben? Glaubst du, dass es sich um eine Tendenz im zeitgenössischen Kino handelt, genauso wie in der Literatur?

Mir gefiel die Idee, dass Die Nachricht wie die Geschichte einer Disney-Prinzessin ist, die die natürliche Gabe besitzt, mit Tieren zu sprechen und im Einklang mit der Natur zu sein, nur dass sie sich hier in einer Realität der Wirtschaftskrise und staubiger Straßen bewegt. Ohne böse Hexen, aber mit wenig zum Essen (obwohl es vielleicht doch Hexen gibt). Ihnen eine Stimme und ein eigenes Wesen zu geben war die natürliche Art, dem Geheimnis der subjektiven Erfahrung des Gegenübers näherzukommen. Es wird durch nichts offensichtlicher als durch die Distanz zwischen den Spezies. Ich weiß nicht, ob es sich dabei um eine Tendenz handelt, aber hoffentlich. Die Geschichte beweist, dass große Veränderungen dann vorkommen, wenn diejenigen, die zuvor keine Stimme hatten, sie finden.

Wie nimmst du die momentane Lage der Filmproduktion in Argentinien wahr?

Seit ich denken kann, war es noch nie so schlimm. Nicht nur wegen der Zwecklosigkeit und Verachtung, mit der das INCAA (Abk. für das Nationale Institut für Kino und audiovisuelle Künste; Anm. der Red.) aufgelöst wird, sondern wegen des ideologischen Angriffs auf die Kultur im Allgemeinen und auf das Kino im Besonderen. Es ist traurig, dass Gewalt und Hassreden gefördert werden, dass man Selbstverständliches wieder verteidigen muss, dass die menschliche Existenz auf einen Rentabilitätsalgorithmus reduziert und der Wirtschaftskraft unterstellt wird. Aber das argentinische Kino war schon immer vielfältig und einfallsreich. Und wird es auch bleiben. Wir verstehen es, uns zu wehren, und haben keine Angst.

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