Berlinale 2025  Fragen von Leben und Tod

„Hora do recreio | Playtime“. Regie: Lucia Murat. Brasilien, 2025. Berlinale Generation.
„Hora do recreio | Playtime“. Regie: Lucia Murat. Brasilien, 2025. Berlinale Generation. Foto: PR.

Filme für unterschiedliche Publikumssparten bearbeiten auf zeitgenössische Art und Weise universelle und zeitlosen Themen wie Identität, Gewalt und Begehren.

Der brasilianische Langfilm A natureza das coisas invisíveis / Das Wesen unsichtbarer Dinge von  Rafaela Camelo eröffnet die Kinderfilmsektion Generation Kplus. Die zehnjährige Glória verbringt mangels Alternativen ihre Sommerferien in dem Krankenhaus, in dem ihre Mutter als Pflegerin arbeitet. Sie unterhält sich mit Patientinnen und Patienten und beobachte ihre Mutter bei der Arbeit. Dann erscheint Sofia, ebenfalls 10 Jahre alt, in einem Krankenwagen mit ihrer Urgroßmutter Francisca, die nach einem Sturz eingeliefert wird. Die beiden freunden sich an in Gesprächen, in denen es aus Kindersicht über Identität, Ängste, Verlust und Wünsche geht, während gleichzeitig ihre Mütter Gemeinsamkeit in der Herausforderung als alleinerziehende Mütter entdecken.
„A natureza das coisas invisíveis | Das Wesen unsichtbarer Dinge“. Regie: Rafaela Camelo. Brasilien/Chile, 2025. Im Bild: Serena, Laura Brandão. Berlinale Generation.

„A natureza das coisas invisíveis | Das Wesen unsichtbarer Dinge“. Regie: Rafaela Camelo. Brasilien/Chile, 2025. Im Bild: Serena, Laura Brandão. Berlinale Generation. | Foto: PR.

Als Francisca entlassen wird, beschließt Glórias Mutter, sie noch für einige Tage als Pflegerin zu unterstützen, und alle vier reisen zum Wohnsitz der Urgroßmutter auf dem Land, wo sie den übrigen Sommer verbringen. Als wohlkonstruierten Geschichte mit wichtigen Details, die in der Erzählung wie selbstverständlich zutage treten, wie etwa Sofias trans Identität, berührt der Film durch seine Tiefe und die Leichtigkeit im Umgang mit Tod und Trauer. Die Geschmeidigkeit und Treffsicherheit der Besetzung, insbesondere der beiden Kinderschauspielerinnen, sind bemerkenswert.

Gewalt und Rassismus

Die einem jungen Publikum gewidmete Sektion Generation 14plus zeigt zwei weitere brasilianische Produktionen. Der Dokumentarfilm Hora do Recreio / Playtime von Lucia Murat interviewt Schülerinnen und Schüler an öffentlichen Grund- und Mittelschulen Schulen von Rio de Janeiro und zeichnet ein Bild der Herausforderungen und Vorurteile, mit denen junge Schwarze in den Randbezirken der Städte Brasiliens konfrontiert sind. Eins seiner Hauptthemen ist die Gewalt in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, mit der die Jugendlichen allein aufgrund ihrer Hautfarbe und sozialer Herkunft konfrontiert sind, einschließlich Geschichten von alkoholabhängigen und übergriffigen Eltern, Frauen als Opfer von häuslicher Gewalt, Teenagerschwangerschaften und regelmäßiger Polizeiübergriffe. Darüber hinaus hinterfragt der Film das öffentliche Bildungswesen und abgebrochene Schullaufbahnen. Der Dokumentarfilm arbeitet mit einer metalinguistischen Ebene, in der das Team im Verlauf des Films sichtbar ist, sowie einer fiktionalen Ebene mit Inszenierungen klassischer Texte durch Jugendliche aus den Peripherien.
„De menor | Underage“. Regie: Caru Alves de Souza. Brasilien, 2025. Im Bild: Grace Orsato, Benjamín. Berlinale Generation.

„De menor | Underage“. Regie: Caru Alves de Souza. Brasilien, 2025. Im Bild: Grace Orsato, Benjamín. Berlinale Generation. | © Leonardo Feliciano

Auch die in zwei speziellen Episoden auf der Berlinale gezeigte Serie De menor / Underage beschäftigt sich mit Polizeigewalt und den Ungerechtigkeiten im brasilianischen Rechtssystem gegenüber jungen Schwarzen und Armen. Jede der Episoden behandelt die Anhörung eines Jugendlichen, dem ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Fiktional und nicht realistisch angelegt sind beide Episoden mit jeweils den gleichen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt, die jeweils andere Rollen einnehmen, was vor allem ihre schauspielerische Vielseitigkeit unter Beweis stellt.

Kampf ums Überleben

Gewalt treibt auch die Erzählung des sich eher an ein erwachsenes Publikum richtenden Films  A melhor mãe do mundo / Die beste Mutter der Welt (Berlinale Special) mit Regie und Drehbuch von Anna Muylaert. Es geht um die Müllsammlerin Gal, die der Gewalt ihres Ehemanns ausgesetzt mit ihren zwei Kindern das Haus verlässt, um sie zu schützen. Sie erzählt ihren Kindern, es ginge in ein großes Abenteuer, während sie eigentlich nur versucht, unter Umgehung der Gefahren auf der Straße zum Haus einer Cousine zu gelangen.
„A melhor mãe do mundo | Die beste Mutter der Welt“. Regie: Anna Muylaert. Brasilien/Argentinien, 2025. Im Bild: Rihanna Barbosa, Shirley Cruz, Benin Ayo. Berlinale Special.

„A melhor mãe do mundo | Die beste Mutter der Welt“. Regie: Anna Muylaert. Brasilien/Argentinien, 2025. Im Bild: Rihanna Barbosa, Shirley Cruz, Benin Ayo. Berlinale Special. | © Aline Arruda

Dort wird die Aussicht auf Schutz und Aufnahme zur Falle, und Gal muss sich erneut entscheiden, was zu tun ist, um einen Ausweg zu finden. Der Film zeigt dabei in aller Härte das Leben der Müllsammlerinnen, sich ergebende Partnerschaften und die wenige Solidarität, die sie erfahren, und wird so zum Porträt eines Überlebenskampfs in der Großstadt.

Wunsch und Ehrgeiz

Neu in der Stadt, als deren Bürgermeister er kandidiert, beginnt Rafael eine Affäre mit Matias, einem Theaterschauspieler eines unbekannten Ensembles, der sich bemüht, Hauptdarsteller einer  landesweit ausgestrahlten Serie zu werden. Damit setzt das das Handlungsgeflecht in Ato noturno / Night Stage (Panorama) mit Regie und Drehbuch von Marcio Reolon und Filipe Matzembacher ein, das sich schließlich zu einer Tragödie aus Gewalt und Tod entwickelt.
„Ato noturno| Night Stage“. Regie: Marcio Reolon, Filipe Matzembacher. Brasilien, 2025. Im Bild: Gabriel Faryas, Henrique Barreira. Berlinale Panorama.

„Ato noturno | Night Stage“. Regie: Marcio Reolon, Filipe Matzembacher. Brasilien, 2025. Im Bild: Gabriel Faryas, Henrique Barreira. Berlinale Panorama. | © Avante Films, Vulcana Cinema

Nach und nach entdecken die beiden ihren Fetisch für Sex an öffentlichen Orten. Je näher sie ihren angestrebten Zielen kommen, desto drängender wird ihr Wunsch nach Sex in der Stadt. Doch gleichzeitig ist beiden als Teil einer konservativen und moralistischen Gesellschaft wichtig, ihre Beziehung geheim zu halten. Ein Highlight des Films ist dabei die Körperarbeit der Schauspieler.

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