Körperkult  Das Bizarre als Symptom

 “Água de imbuzeiro” (Wasser vom Umbubaum), 2024. Akryl und Permanentmarker auf Leinen.
“Água de imbuzeiro” (Wasser vom Umbubaum), 2024. Akryl und Permanentmarker auf Leinen. © Aislan Pankararu. Foto: Ricardo Prado

Soziale Netzwerke erneuern im Minutentakt die Obsession eines „idealen“ Aussehens, das fast immer nur auf Kosten ästhetischer Eingriffe zu erreichen ist. Was zuvor absurd wirkte, wird zur Norm. Und die Norm wiederum verschiebt sich weiter in Richtung des Bizarren, das zugleich Abwehr und Faszination auslöst.

Symbolisch aufgeladen spiegelt die kollektive Konzeption von Schönheit Ideale und Kennzeichen von Zugehörigkeit. Diese Ideale orientieren sich an Codes und Wünschen, die sich mit der Zeit verändern und uns in gewisser Weise dabei helfen, die Art und Weise, wie wir uns in der Gesellschaft positionieren, zu stützen. Die Vorstellung von Schönheit verdichtet sich schließlich zur Vorgabe und zu etwas, das über Pflege und Wohlbefinden hinaus ins Zwielichtige übergeht, bis hin zum Bizarren.

Jugend und ein „schöner“ Körper werden als Wert angesehen, Synonym für Wertschätzung, Zugehörigkeit und Erfolg, insbesondere bei Frauen. Und auch wenn es als Pflege daherkommt, ist dieses Handeln „im Dienste der Schönheit“ nur innerhalb streng umrissener Regeln gestattet. Die Abweichung von diesen Regeln wird nur im Rahmen erwünschter, „natürlich“ weiblicher Eitelkeit erlaubt – solange alles der Logik männlicher, angeblich rationaler und kapitalisierter Kontrolle unterworfen bleibt.

Laut einem Bericht der Internationalen Gesellschaft für Ästhetische Plastische Chirurgie (ISAPS) von 2023 werden 85% der ästhetischen Eingriffe weltweit an Frauen vorgenommen. Hier richtet sich alles auf sie, aufgeladen mit Erwartungen, die das Unvermeidliche vorgibt: der Lauf der Zeit. Altern bedeutet für viele den Verlust von Raum auf dem Gebiet der Sichtbarkeit; nicht mehr gesehen zu werden bis hin zum sich nicht mehr sehen zu lassen. Soziale Netzwerke, so wie früher das Fernsehen und Zeitschriften, befeuern die Obsession für das Aussehen, das sich mal still aktualisiert, mal mit Getöse.

Missverständlicherweise erwünschte Illusion


Nach ästhetischen Eingriffen ist das menschliche Antlitz noch da, aber faltenlos, ohne Poren und Ausdruck. Ein glattes Gesicht, fast wie eingefroren, das andererseits Jugend verspricht und ein Paradoxon offenlegt: Ewige Vitalität ist eine missverständlicherweise erwünschte Illusion. Der Körper hat – oder sollte es haben – das Recht aufs Altern, ein Schutzraum zu sein, ein Ort des Wohlfühlens. Doch unter diesen Bedingungen wird er zum feindlichen Territorium.

Zwischen optischen Filtern, chirurgischen Eingriffen und millimetergenau geplanten Posen inszeniert dieser Körper unrealistische Erwartungen und nähert sich auf den diversen Bildschirmen und auch außerhalb derer dem Absurden. Die sich jede Saison erneuernde Vorstellung von Schönheit ist erschreckend und anziehend zugleich. Und darin liegt wohl die Spannung: Das Bizarre, das manchen ästhetischen Verfahren bisweilen anhaftet, löst Abwehr aus, aber auch eine gewisse Faszination – die Fremdheit eines inneren Abgrunds, der uns nicht mehr wegsehen lässt, wenn wir es einmal wagen, hineinzuschauen. Etwas außerhalb der gewohnten Ausmaße, das uns entgleitet und sogar mit Entsetzen erfüllt.

„Ein zu bekämpfendes Übel“


Die Popkultur hat diese verstörende Faszination aufgegriffen, etwa in The Substance (2024) der Französin Coralie Faregat. In dem Spielfilm entsteht nach einer Wunderformel eine „perfektionierte“ Version der Protagonistin Elisabeth Sparkle (Demi Moore), einer von Konflikten mit ihrer Selbstwahrnehmung und dem Alter gezeichneten früheren Berühmtheit.    Es entsteht Sue (Margaret Qualley), die daraufhin das Leben mit ihrem Vorbild teilt. Das Erneuerungsversprechen verdichtet in Schönheit und Jugend die Illusion des Erfolgs auf persönlicher und beruflicher Ebene, allerdings zu einem hohen Preis.

Die neue Version der Protagonistin ist jung und schön, aber auch selbstbezogen und leicht inhuman. Der freudsche Doppelgänger in Person, die Kopie, in der das Verborgenste von uns sichtbar wird. Der Wunsch, Schönheit um jeden Preis zu erhalten, prallt auf das Groteske, Bizarre, vor allem, wenn Altern zu einer Art zu bekämpfendem Übel wird und der Körper zum zu unterwerfenden Feind. Ihn zu beherrschen bedeutet also auch die Beherrschung der Zeit und damit des eigenen Lebens. Doch das Versprechen bleibt unerfüllt, denn es gibt immer noch einen weiteren Schritt, eine neue Anpassung, einen Wunsch, der uns weiter in Richtung des Äußersten treibt. Aber wo liegt dieses Äußerste? Wer definiert es? Und wo finden wir festen Grund für unsere derart beweglichen Wünsche und Frustrationen?

Vom Absurden zur Norm


Ästhetische Eingriffe machen sich als (nicht einmal) stille Bewegung bemerkbar: Auf einmal erscheinen uns beinahe alle um uns herum auf die ein oder andere Weise bearbeitet – durch Eingriffe, Filter oder beides. Was früher absurd wirkte, wird allmählich zur Norm. Und die Norm wiederum verschiebt sich weiter in Richtung des Außergewöhnlichen. Das Seltsame verführt und verwirrt zugleich. Die Eingriffe werden zu einem Paradoxon: surreale Anomalie für die einen, für andere schlichte Routine.

In Die Errettung des Schönen sagt der südkoreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han, dass in der digitalen Welt der Kult um die Schönheit diese letztendlich entleert: Zum Produkt gemacht, verliert sie ihre Tiefe und erliegt dem schnelllebigen Konsum der „likes“. Ästhetische Erfahrung löst sich auf in der Banalität des Augenblicks, der mit Hunderten oder Millionen geteilten Performance. Das Bizarre ist dann nicht mehr Unfall, sondern Konsequenz – sichtbares Symptom einer erkrankten Gesellschaft.

Wunsch nach Zugehörigkeit


Das Bizarre macht sich also am Körper bemerkbar, kündigt sich aber davor schon im Wunsch an. Es ist außerdem der verzweifelte Drang nach Zugehörigkeit, nach Beständigkeit, danach, begehrt zu werden, der die (ab)Wege des Willens bestimmt und auf ein Territorium drängt, wo Faszination und Abwehr Hand in Hand gehen. Das Bizarre berührt uns vielleicht deshalb so sehr, weil es uns beim Blick nach innen etwas darbietet, das immer schon da war.

Oder es fasziniert genau deshalb, weil es die Logik der Perfektion herausfordert und unsere Vorstellung von Schönheit als Sicherheit erschüttert. Das Bizarre entlarvt die falsche Bequemlichkeit einer künstlich geschaffenen Natürlichkeit und erinnert uns daran, dass der Wunsch, dieser unermüdliche Motor, von Natur aus unzufrieden ist. Was uns antreibt, ist die Leere, die uns gleichzeitig bremst.

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