Diaspora und Exil  4 min In alle Himmelsrichtungen verstreut

Farbiger Linolschnitt, man sieht einen Mann von hinten, der in einer Wüstenlandschaft läuft, man sieht den blauen Himmel im Hintergrund. Rechts ein Baum, in der Mitte ein großer, runder, blauer Kreis.
"Der Weg" Linolschnitt von Moussa Mbarek ©Moussa Mbarek

In Deutschland schließen sich viele Türen, bevor ein Fenster aufgeht. Das Leben hier sehe ich als einen Abschnitt in meinem Leben. Er hat einen klaren Anfang und ein unbestimmtes Ende. Ein persönliches Essay des Künstlers Moussa Mbarek, Angehöriger des Volks der Tuareg.

“Wirf es hinter dich, du wirst es vor dir sehen." Deutsche Übertragungen treffen selten kongenial die Bedeutung der Sprichworte einer anderen Sprache. In der Sprache der Tuareg bedeutet es etwa – hilf jetzt jemandem, dann wird er es später für dich tun.

Und nein, ich habe das Gefühl, so denkt hier niemand. Ich spreche Tamascheque. In dieser Sprache liegt meine Identität, diese Sprache verbindet uns, das Volk der Tuareg - wie stark, habe ich erst in der Diaspora entdeckt. Wenn ich Menschen in Deutschland unsere Kultur erkläre, spüre ich es mehr denn je. Stets bin ich auf der Suche nach Menschen, die meine Sprache sprechen. Auch das Arabische kann die Sehnsucht nicht lindern. Es gibt oft keine Worte für Dinge aus meiner Kultur. Und wo Worte fehlen, greift Kunst. In meiner alten Heimat Libyen unterstütze ich daher mit künstlerischen Beiträgen die Freiheitsbewegungen unseres Volkes.

Meine Wurzeln sind gekappt

Vor fast zehn Jahren bin ich aus Libyen geflüchtet und lebe seither zufällig in Deutschland. Es gab die Wahl zwischen dem Sterben im Krieg im Süden und dem Ertrinken im Meer, im Norden. Ich habe mich, wie viele andere Menschen, auf den Weg gemacht, übers Meer, nach Italien. Italien wollte mich nicht, ich sollte innerhalb von 10 Tagen das Land verlassen.

Wie ein Paket – Unerwünschte Sendung. Und so brachte mich meine Reise nach Deutschland. Ich komme aus Ubari. Das liegt im Südwesten Libyens.

Geboren bin ich als Sohn einer Nomadenfamilie der Tuareg und somit ohne Staatsbürgerschaft. In den 60er Jahren hat Gaddafi den Tuareg eine Staatsbürgerschaft angeboten, wenn man die arabische Nationalität annahm. Meine Familie hat sich dem nicht unterworfen. Das Verlieren der eigenen Identität als Tuareg, kulturell wie politisch vereinnahmt zu werden, war unerträglich für sie. Diese Entscheidung prägt mein Leben bis zum heutigen Tag. Keine Staatsbürgerschaft, kein Pass, keine Identität. Mein Ziel war es immer zu studieren. Zwischen meinem Wunsch Ingenieur zu werden oder Kunst zu studieren, stand meine Herkunft. Mit der Entscheidung meiner Eltern verschlossen sich viele Türen. Man besitzt keinen Pass, wird ein Leben lang als Mensch zweiter Klasse behandelt, auch im eigenen Land. So war es auch mir nicht möglich, zu studieren oder zu reisen. So konnte ich nach der Schule immer nur als Ungelernter arbeiten, egal ob in Autowerkstätten oder in der Logistik.

Als die Konflikte in Libyen ein normales Leben unerträglich machten, weil man jederzeit von den rivalisierenden Milizen erschossen werden konnte und der Lohn nicht zum Überleben reichte, wurden die Bilder in meinem Kopf düsterer. Nach meiner Inhaftierung gab es den Tag, an dem ich wusste, dass ich mein Land verlassen muss. Das Land welches mir keine Zukunft schenkt. Ich hatte kein Ziel, nur den Wunsch, Hoffnung zu haben.

In Deutschland angekommen, besaß ich keine Identität, da ich keinen Pass hatte. Somit verschlossen sich noch mehr Türen. Fast alle Gesetze, die für uns Flüchtlinge gelten, brauchen als Grundlage der Wirksamkeit eine geklärte Identität der Person. Ohne diese, kannst du auch in Deutschland kein Konto eröffnen, keine Arbeit annehmen oder heiraten. Und Identität bedeutet Besitz eines Passes.

Ohne Pass ist man staatenlos. Jeder Mensch, der einen Pass hat, sollte ihn sorgfältig bewahren, er macht dich zum Menschen in den Gesetzen der Welt und er schützt dich.

Ein jahrelanger, steiniger Weg zum Pass

Die größten Probleme hier begründen sich in meiner rechtlichen Situation und der deutschen Bürokratie. Ich kann nur jedem raten, der sich mit dem Gedanken trägt zu fliehen, nehmt alle Papiere mit auf eure Reise und versucht schon etwas die Sprache zu lernen. In einem Land wie Deutschland zu leben ist sicher, und die Menschen haben alle die gleichen Rechte, aber nur, wenn du anerkannt bist.

Wichtig ist, dass du arbeiten gehst und Deutsch sprichst. Der Rassismus ist spürbar, aber noch nicht lebensbedrohlich. Um dem etwas entgegenzusetzen, arbeite ich auch in dem Verein “Zeugen der Flucht”. Es ist ein Verein, indem wir antirassistische Bildungsarbeit leisten. Dazu organisieren wir Unterrichtsbesuche an Schulen sowie Projekttage, um mit jungen Menschen direkt in Kontakt zu kommen. Vereine sind in Deutschland ein guter Ort, um Menschen kennenzulernen. Auch das musste ich erst lernen, weil es sowas in Libyen nicht gab bzw. gibt. In Vereinen trifft man Menschen, die die gleichen Probleme haben, man fühlt sich verstanden, kann vergessen und etwas bewegen.

Trotzdem kann ich nicht sagen, mir schon ein Netzwerk geschaffen zu haben. Es gibt eine große Anzahl Menschen, an die ich mich wenden kann und die mir helfen, wenn es nötig ist. Ich hatte das Glück viele Menschen in Dresden kennenzulernen. Sie haben mir das Gefühl gegeben, dass ich dazugehören kann. Wenn man fremd ist in einem neuen Land, braucht man Unterstützung und Hilfe der Menschen, die hier leben.

Aber ein wirkliches Netzwerk ist es eben nicht. Dafür fehlt mir meine Sprache. Leider haben viele meiner Landsleute Deutschland wieder verlassen, da sie an den bürokratischen Hürden gescheitert sind. Aber ich brauche auch Leute aus meinem Volk, um mich zu Hause zu fühlen.

Doch es ist wichtig, nicht in der Vergangenheit zu leben. Also habe ich die deutsche Sprache gelernt und möchte auch irgendwie irgendwo ankommen. Als Flüchtling wurde ich nicht anerkannt, aber nach Jahren des Kampfes als Staatenloser Mensch.

Ich kann nicht sagen, ob ich nach fast zehn Jahren hier, Wurzeln schlagen werde, noch ist der Boden trocken. Aber vielleicht kommt der Regen und ich bleibe hier und entwickle Äste, Blätter und Blüten.

Mehr als tausend Worte

Dafür gehe ich meinen Weg weiter und möchte anderen dieses Schicksal ersparen. So fing ich an, meine Gedanken und die Bilder aus meinem Kopf aufs Papier zu bringen. Die Sprache der Bilder versteht man ohne Worte. Sie waren mein Instrument, mich mitzuteilen und mit Menschen in Kontakt zu treten.

Im Frühling 2019 hatte ich das große Glück, als Gaststudent an der HfBK Dresden im Bereich Theaterplastik studieren zu dürfen.

Ich habe hier die Chancen genutzt, neue künstlerische Techniken zu lernen, mit Tusche zu zeichnen, Plastiken zu modellieren oder die Klarheit des Holz- und Linolschnitts für mich zu nutzen. Ich habe Bilder erschaffen, die jenseits der Grenzen verstanden werden können. Natürlich habe ich immer noch Sorgen und Ängste, aber die Kunst hat mir geholfen sie zu minimieren. Und die Erfahrung, was man mit Bildern alles sagen kann, wenn einem noch die Worte fehlen, ist unbezahlbar. Kleine Kinder oder alte Menschen, sie sehen Dinge, die für sie vorher unbekannt waren.
Die Kunst war ein ständiger Begleiter in meinem Leben. Aber niemals hätte ich geglaubt, dass Kunst so viel bewirken kann. Sie hat mir hier Türen geöffnet und ist ein Mittel, um politische Missstände aufzuzeigen und verständlich zu machen.

Endlich habe ich eine Sprache, die jeder verstehen kann. Es gibt den Schmerz und die Ungerechtigkeit, die mir manchmal keine Ruhe lassen. Aber es gibt auch die Wüste. Das Gelb der Dünen, das Blau des Himmels und das Weiß der Sonne am Morgen. All das ist in meinen bunten Bildern. Eine Hommage an unsere Kultur, an das, was schon lange war und an das, was die aktuelle Politik überleben wird.

Besser mit Bildung und Empathie

Am meisten verwundert mich immer wieder die Unwissenheit der Menschen hier. Sie hören, du kommst aus Afrika, und sie fragen, ob du Giraffen und Löwen gesehen hast. Afrika ist ein vielfältiger, diverser Kontinent mit 54 Ländern, über 2000 Sprachen und über 3000 ethnischen Gruppen. Aber hier kennen sie nur einen realitätsfernen Stereotypen. Und die Überheblichkeit uns gegenüber verstehe ich auch nicht. Wir sind doch alle Menschen. Alle Menschen sind gleich wertvoll.

Generell gibt es hier kein wirkliches Verständnis dafür, warum wir unsere Heimat verlassen haben. Und für mich bleibt die Frage:

Was macht den Wert des Menschen aus?
Für mich, dass wonach er sucht.