Homöopathie in Deutschland  Zuckerkugeln gegen alles

ein Stethoskop mit Tabletten
Homöopathie © Markus Frieauff via unsplash.com

Kann mich eine Substanz heilen, die in meiner Medizin gar nicht vorhanden ist? Eine gesellschaftliche Betrachtung.

„Als ich damals schwanger war, hatte ich eine Hebamme, die sehr auf Homöopathie ausgerichtet war. Und es hat alles gewirkt, was sie gemacht hat. Das fand ich schon toll“, berichtet eine Frau mit einer 8-jährigen Tochter, nennen wir sie Michaela. „Mittlerweile habe ich eine sehr umfangreiche Hausapotheke aus homöopathischen Mitteln, aber auch homöopathisch behandelnde Ärzte und Heilpraktiker, die meine Tochter und mich behandeln und beraten.“

„Ich finde, das Gute an der Homöopathie ist, dass man seine Beschwerden loswerden kann, ohne dass man Nebenwirkungen bekommt oder Chemie benutzen muss. Bei den ganzen chemischen Sachen habe ich mich immer gefragt, ob die wirklich so heilsam und wirksam sind“, erinnert sie sich. „Außerdem sind viele Erste-Hilfe-Mittel dabei. Wenn ein Kind zum Beispiel hinfällt oder sich den Kopf stößt, kann man erstmal alle 10 Minuten 5 Globuli geben und wenn es besser wird, dann erst 5 Stück jede Stunde, dann alle 2 Stunden, je nachdem wie sich das Symptom bessert.“ Sie erzählt: „Ich benutze bei so ziemlich allen Beschwerden homöopathische Produkte. Ich geh eigentlich zu keinem normalen Arzt mehr.“

Mehr als 200 Jahre zuvor machte sich ein deutscher Arzt namens Samuel Hahnemann Gedanken darüber, wie man Krankheiten heilen könnte. Er lebte in einer Zeit, als man noch nicht viel vom menschlichen Körper wusste und es viele mystische Vorstellungen darüber gab, was in einem Menschen vor sich ginge. Man versuchte, Patienten mit Arzneimitteln aus Kräutern oder anderen Substanzen wie Arsen oder Quecksilber zu helfen, nutzte aber auch Talismane, Amulette, Wunderwässerchen oder religiöse Rituale, um eine Besserung zu bewirken.

In dieser Zeit kam Hahnemann auf die Idee, dass man Ähnliches mit Ähnlichem bekämpfen könne. Wenn also eine Substanz bei einem Gesunden bestimmte Symptome auslösen könnte, könnte diese Substanz auch einen Kranken mit denselben Symptomen heilen. Allerdings waren es vor allem giftige Stoffe, die gängige Symptome auftreten ließen. So entschied er, die Substanzen stufenweise mit einem Gemisch aus Wasser und Alkohol zu verdünnen.

Um 1800 begann er, Patienten nach seiner neuen, homöopathischen Methode zu behandeln. Dabei beobachtete Hahnemann, dass die giftige Substanz umso wirksamer schien, je mehr man sie verdünnte und schüttelte. Daraus schloss er, dass es genau dieses Verdünnen und Schütteln sein musste, das eine besondere Heilkraft seiner Medizin erzeuge. Dieses Verfahren nannte er fortan Potenzierung und untersuchte extrem hohe Verdünnungen bis zu seinem Lebensende im Jahr 1843.

Von der Homöopathie lässt sich heutzutage nicht mehr sprechen.

Seither wurde sein Therapiegedanke fortgeführt. Es entstanden weiterführende Heilmethoden und Schulen, die sich als homöopathisch bezeichneten. Von der Homöopathie lässt sich heutzutage nicht mehr sprechen. Doch welchen Stellenwert hat die klassische Homöopathie nach Hahnemann im 21. Jahrhundert?
Samuel Hahnemann 1831. Stahlstich nach einem Gemälde von Julius Schoppe Samuel Hahnemann 1831. Stahlstich nach einem Gemälde von Julius Schoppe | via Wikimedia Commons In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Herstellern, die eine große Palette von homöopathischen Mitteln anbieten: Tinkturen, Salben, Zäpfchen und vieles mehr. Die bekannteste Form aber bleiben Globuli. Diese kleinen Zuckerkügelchen werden meistens mit pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Substanzen in verschiedenen Verdünnungsgraden angeboten.

In der Werbung betonen die Hersteller, ihre homöopathischen Produkte seien sehr sanft, gut verträglich und würden den Körper nicht belasten. Auf natürliche Weise sollen die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert werden. Es heißt, die Präparate seien sehr wirksam und für die ganze Familie geeignet.

Entsprechend beliebt ist die Homöopathie in Deutschland. Ob in der Kinderheilkunde, der Gynäkologie oder der Sportmedizin – in verschiedensten Bereichen der Medizin werden homöopathische Präparate eingesetzt. Mal als alleinige Therapieform, mal in Kombination mit der Schulmedizin.

Jeder Arzt kann nach eigenem Ermessen homöopathische Mittel verschreiben. Jedoch versteht sich die Methode nach Hahnemann als ganzheitliche Therapie. Ein kranker Körper sei demnach ein Körper, der aus dem Gleichgewicht geraten sei. Möchte man also klassisch homöopathisch behandelt werden, muss man entweder einen Heilpraktiker aufsuchen oder einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung „Homöopathie“. In beiden Fällen wird zunächst ein langes Gespräch geführt, in dem der Patient ausführlich alle Beschwerden des gesamten Körpers beschreibt. Nach homöopathischen Glauben wird so die Art des inneren Gleichgewichts bestimmt und ein Präparat verordnet. Allerdings sind alle homöopathischen Produkte auch rezeptfrei in der Apotheke zu kaufen, sodass der Weg für eine Selbstbehandlung auch ohne ärztliche Rücksprache offen bleibt.

Homöopathische Globuli, größtenteils aus Saccharose oder Xylit bestehende Kügelchen Homöopathische Globuli, größtenteils aus Saccharose oder Xylit bestehende Kügelchen | via Wikimedia Commons In Online-Apotheken sind homöopathische Mittel leicht zu bestellen. Eine Vielzahl von Substanzen ist erhältlich: Von Eisenhut und Tollkirsche zu Arsen und Opium. Auch Produkte aus Honigbienen oder Erdkrötensekret, Kupfer oder Organen wie Schilddrüse. Dabei fällt auf, dass starke Verdünnungen meistens teurer sind als schwache Verdünnungen. Auf einigen Produkten steht zudem eine Indikation, auf anderen nicht.

Vor dem Gesetz wirksam

Im Jahre 1976 trat die Neubearbeitung des deutschen Arzneimittelgesetzes in Kraft. Seither dürfen in Deutschland nur Medikamente zugelassen werden, deren Sicherheit pharmakologisch-toxikologisch überprüft und deren Wirksamkeit in klinischen Studien bestätigt wurden. Vor Verabschiedung des Gesetzes sahen sich die Anhänger der Homöopathie jedoch mit dem Problem konfrontiert, dass die Wirkung ihres Therapieverfahrens bislang nicht in klinischen Studien nachgewiesen werden konnte. Letztlich setzten sie sich so vehement für die Homöopathie ein, dass homöopathischen Produkten Sonderregelungen zugestanden wurden, die bis heute gelten.

Dadurch eröffnen sich für homöopathische Produkte zwei Wege, um in Deutschland verkauft zu werden: Die Präparate können zum einen registriert werden. In diesem Fall darf deren Verpackung allerdings keine Indikation enthalten. Zum anderen kann deren Wirkung durch ein eigenes Beurteilungsverfahren nachgewiesen und auf diese Weise mit Angabe einer Indikation zugelassen werden.

Rechtlich basiert dieser Wirkungsnachweis auf dem sogenannten Binnenkonsens. Dieser besagt in Bezug auf die Homöopathie: Wenn sich in Deutschland als einem geschlossenen Raum genug Experten über die Wirksamkeit eines Präparats einig sind, dann ist dieses Produkt unabhängig von medizinischen Gesichtspunkten vor dem Gesetz wirksam.

1 Gramm Substanz in der gemeinsamen Wassermenge des Pazifischen und des Indischen Ozeans

Aus diesem Grund wird die Homöopathie in Deutschland stark kritisiert. Ihre Gegner argumentieren, dass die Substanzen in homöopathischen Produkten so stark verdünnt würden, dass eine Wirkung unmöglich sei. Nach den chemisch-physikalischen Naturgesetzen könne sich in einer Lösung bei einer Verdünnung ab einem Verhältnis von 1:10^26 kein einziges Molekül der ursprünglichen Substanz befinden. Allerdings sind homöopathische Produkte in Deutschland bis zu einer Verdünnung im Verhältnis von 1:10^2000 erhältlich.

Um sich die gängigen Verdünnungen zu vergegenwärtigen, könnte man sich beispielsweise 400 große Schwimmbecken vorstellen, die für olympische Wettkämpfe geeignet sind. Diese haben zusammen ein Wasservolumen von 1 Million Tonnen Wasser. Würde man 1 Gramm Substanz in diesen 1000000000 Litern Wasser auflösen, umrühren und das Wasser anschließend in Fläschchen füllen, hätte man ein homöopathisches Produkt mit einer Verdünnung in einem Verhältnis von 1:10^12. Für eine Verdünnung in einem Verhältnis von 1:10^24 wäre es nötig, 1 Gramm Substanz in der gemeinsamen Wassermenge des Pazifischen und des Indischen Ozeans aufzulösen. Aus diesem Grund weisen Kritiker darauf hin, dass Homöopathie nicht mit Naturheilkunde verwechselt werden dürfe. Denn pflanzliche Arzneimittel würden demgegenüber tatsächlich einen Wirkstoff enthalten.

Homöopathen verteidigen jedoch ihre Therapie und betonen, dass trotz der hohen Verdünnung eine heilende Information der Substanz in das Lösungsmittel übergegangen sei, die einen Reiz zur Selbstregulation des Körpers enthalte. Nach homöopathischem Glauben werde der Lösung außerdem durch das rituelle Schütteln eine spezielle, nicht fassbare Energie hinzugeführt, die Samuel Hahnemann schon im frühen 19. Jahrhundert beschrieben habe.

Nicht über den Placebo-Effekt hinaus

Besonders in den letzten Jahren werden kritische Stimmen zur Homöopathie lauter: In verschiedensten Medien bemühen sich Informationsnetzwerke, Wissenschaftssendungen oder Autoren, über homöopathische Präparate aufzuklären. Auf Twitter erregte 2017 besonders der Hashtag #Globukalypse Aufsehen. Diesen rief der Hals-Nasen-Ohrenarzt Christian Lübbers ins Leben, der zuvor eine große Menge Globuli aus dem Gehörgang eines Kindes entnahm und seither regelmäßig kritische Posts zu homöopathischen Heilversprechen verfasst. Allerdings berichtet ein Großteil derer, die sich für eine wissenschaftliche Betrachtung der Homöopathie engagieren, von heftigen, verbalen Angriffen.

Nachdem die Ärztin Natalie Grams und der Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske mehrfach öffentlich äußerten, dass Homöopathie „nicht über den Placebo-Effekt hinaus“ wirke, reagierte die Firma Hevert. Als Hersteller von homöopathischen Präparaten schickte sie im Jahr 2019 Unterlassungsforderungen an beide Personen und forderte 5100 Euro für jedes Mal, bei dem diese Äußerung wiederholt werde.

Befürworter der Homöopathie wie die Firma Hevert berufen sich auf zahlreiche Studien, in denen eine Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln bewiesen worden sei. Diese Studien werden von den Kritikern jedoch als mangelhaft empfunden und nicht anerkannt. Daher führte das Vorgehen der Firma Hevert dazu, dass sich 2019 der Satiriker Jan Böhmermann auf dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDFneo dem Thema annahm. In seiner Sendung Neo Magazin Royale verwendete er die zu unterlassende Äußerung zwölf Mal und zeigte unter anderem auf, dass Ärzte und Apotheken durch homöopathische Behandlungen und Präparate deutlich mehr Geld verdienen könnten als durch schulmedizinische Dienstleistungen und Produkte. Besondere Bekanntheit erlangte der Slogan „Verdünnen, Schütteln, Scheiße labern“, mit dem Böhmermann erläuterte, wie aus seiner Sicht eine Wirkung von homöopathischen Produkten erzeugt werde.

Befeuert wird die öffentliche Debatte durch einige Heilversprechen, die Kritiker besonders problematisch sehen. Eine Behandlung mit Globuli soll beispielsweise bei einem Trauma nach sexuellem Missbrauch helfen. Außerdem erlangte die Homöopathie negative Aufmerksamkeit, als ein katholischer Arzt aus Bayern die Homöopathie als eine Heilung von Homosexualität empfahl oder eine Apotheke in Koblenz den neuen Impfstoff von Pfizer/BioNTech homöopathisch verdünnt und als Globuli verkauft hatte.

Es bleibt offen, wie sich der Umgang der Deutschen mit der Homöopathie […] entwickeln wird.

Die Einstellung der Deutschen zur Homöopathie scheint sich langsam aber merklich zu ändern. Von 2017 bis 2020 ging der Umsatz von homöopathischen Produkten in Apotheken deutschlandweit von 392 Mio Euro auf 325 Mio Euro (ohne Mehrwertsteuer) zurück. Mittlerweile haben mehr als die Hälfte der siebzehn Landesärztekammern die Weiterbildung zur Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ gestrichen. Eine Gynäkologin versucht diese Zusatzbezeichnung derzeit einzuklagen. Es bleibt offen, wie sich der Umgang der Deutschen mit der Homöopathie in den nächsten Jahren tatsächlich entwickeln wird.

Aber wenn nichts drin sein soll, schadet es ja nicht, oder? – Ein mittelgroßer Mann mit Brille erzählt: „Als mein Vater an Blasenkrebs erkrankte, war ich erstaunt, dass plötzlich Leute kamen und ihm von einer Chemotherapie abrieten. Sie wollten ihm verschiedenste alternative Heilmethoden andrehen, die er glücklicherweise ablehnte. Ich informierte mich dann darüber und begann in meinem Blog darüber aufzuklären.“

Dann spricht er über das neue Coronavirus: „Dass Homöopathen nun während der Pandemie mit Therapieerfahrungen bei Covid-19 werben, halte ich für sehr gefährlich. Eine vielleicht dringende evidenzbasierte Behandlung wird so nur herausgezögert und dann liegen sie plötzlich im Krankenhaus mit ‘nem Schläuchlein im Hals.“  Sein Gesicht zeigt Unbehagen.

„Solang der Binnenkonsens nicht fällt und man homöopathische Mittel noch immer in Apotheken kaufen kann, als wären sie richtige Medikamente, sehe ich vorerst keinen Grund, die Homöopathiekritik auf meinen Blog einzustellen. Denn wenn ich auch nur einen verzweifelt kranken Menschen davor bewahren kann auf dubiose Heilversprechen hereinzufallen, hat sich die Arbeit gelohnt.“
 

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