Transgendersein in China   Geboren im falschen Körper

Laternen © Dominik Vanyi

Es ist eine leise Bewegung und noch ein langer Weg, bis die Gesellschaft in China ein Anderssein wie Transgender oder Homosexualität akzeptiert. Artikel 33 der Chinesischen Verfassung garantiert zwar, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, doch bleibt vieles auch weiterhin rechtlich in der Grauzone.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Gesetzeslage für LGBTIQ (lesbian, gay, bisexual, transgender, intersex und queer/questioning) in China stetig verbessert. Homosexualität gilt seit 2001 nicht mehr als psychische Erkrankung. Ebenso können Personen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben, ihr neues Geschlecht in persönlichen Dokumenten wie Führerschein oder Pass eintragen lassen, was vorher undenkbar war. Trotzdem fehlt es noch weiterhin an der nötigen gesellschaftlichen Akzeptanz, auch wenn sich die Gesetzeslage verbessert haben mag.
 
Verlässliche Statistiken darüber, wie viele LGBTIQ es in China gibt, lassen sich nicht finden. Basierend auf internationalen Durchschnittswerten gelten laut dem Aibai Culture & Education Center 3 bis 5 Prozent der Menschen einer Nation als homosexuell oder bisexuell. 0,2 bis 2 Prozent gelten als Transgender und 1,5 Prozent der Neugeborenen sind statistisch intersexuell. Nimmt man diese Werte als Basis, so müsste davon ausgegangen werden, dass 42 bis 70 Millionen Homosexuelle und 7 bis 28 Millionen Transgender in China leben. Etwa 210.000 Chinesen würden demnach als intersexuell auf die Welt kommen.

Mobbing und Ausgrenzung – Suizid als letzter Ausweg

Menschen, die sich mit ihrem gebürtigen Geschlecht nicht identifizieren können, werden weiterhin in vielen Teilen der Erde gesellschaftlich geächtet und verfolgt. Besonders dramatisch ist die Situation für Menschen männlichen biologischen Geschlechts, die sich als Frau fühlen und identifizieren. Die Suizidrate ist hier dreimal so hoch wie bei Menschen weiblichen biologischen Geschlechts, weiß Wenxi Lu vom Beijing LGBT-Center zu berichten. Das Zentrum ist für einige der einzige Zufluchtsort, um ihre wahre Identität ausleben zu können. Obwohl sich manches zum Besseren gewandelt hat und der Artikel 33 der Chinesischen Verfassung alle Individuen als gleich vor dem Gesetz schützen soll, stellt sich die Realität in vielen Fällen anders dar. Einen ausdrücklichen Schutz von LGBTIQ per Gesetz gibt es nicht. Sie leben in einer Grauzone und werden im Alltag, z.B. an Schulen und am Arbeitsplatz, häufig diskriminiert. Die Angst, der Willkür ausgesetzt zu sein, bleibt ein ständiger Begleiter.
 
Das Beijing LGBT-Center existiert bereits seit zehn Jahren und es bleibt weiterhin noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Veranstaltungen wie „Gaymaizing“, ein LGBTIQ Poker-Turnier, sind klein aber wichtig, um der Community auch nach außen ein Gesicht zu geben. Hauptaufgabe des Zentrums bleibt es jedoch, eine Anlaufstelle und ein Zufluchtsort zu sein. Für Menschen, wie die 17-jährige Izumi zum Beispiel, die als Junge zur Welt kam und in ihrer Jugend schon viel erleben musste. Das Comingout gegenüber dem Vater wurde mit Schlägen beantwortet. Izumi hatte niemanden zum Reden, weshalb sie sich lange keinem zu erkennen gegeben hat. Erst an der Uni fand sie den Mut, es einem ihrer Dozenten zu sagen. Sie trägt jetzt Frauenkleidung und kann endlich ihre wahre Identität ausleben, was ihr früher verwehrt blieb.
 
Andere wie Fu scheuen nicht davor zurück Hormone über unbestimmte Quellen aus dem Internet zu bestellen. Sie sehen in China kaum eine Möglichkeit, über legale Wege an ihre benötigten Medikamente zu kommen. Für den legalen Weg wäre ein psychiatrisches Gutachten notwendig, welches jedoch nur sehr schwer zu bekommen ist. Lieber riskiert sie ihre Gesundheit, als weiter in einem falschen Körper leben zu müssen.

Schulen ohne Verständnis

Insbesondere Schulen, so Wenxi Lu, seien nicht auf den Umgang mit Transgender vorbereitet. Mobbing und Ausgrenzung gehören dort zur Tagesordnung. Weder Lehrer noch Schulleitung nehmen sich in der Regel des Themas an, noch haben sie die nötigen Weiterbildungen. Über Jahre müssen die Kinder ihre Identität verstecken, ohne die notwendige Unterstützung zu erhalten. Regelmäßig erreichen die Community Nachrichten über landesweite Suizidfälle. Wohlmöglich nur die Spitze des Eisbergs.
 
Laut einer Recherche des Beijing LGBT-Centers (Research of LGBT People’s Mental Health in China, 2014) haben insbesondere Jugendliche mit Transgenderhintergrund ein dreimal so hohes Risiko an einer Depression zu erkranken wie andere Jugendliche ihren Alters.
 
Sam konnte zumindest seine Schulzeit unbeschwerte verbringen. Er kam als Mädchen auf die Welt und verließ die Schule als Junge. Die Transformation erfolgte langsam und behutsam. Nach und nach wurden Mitschüler, Lehrer und das Rektorat der internationalen Schule in Beijing eingeweiht. Nach und nach vollzog sich mithilfe von Hormonen auch die körperliche Veränderung, von einem Mädchen zu einem Jungen. Das letzte, was noch fehlte, war der richtige Passeintrag. „Im Alltag ist einem selbst oft gar nicht mehr bewusst, dass man Transgender ist“, sagt Sam. Es gibt jedoch immer wieder unangenehme Situation, die einem das Gefühl geben, anders zu sein. Passkontrollen zum Beispiel. Für Sam war das jedes Mal die unangenehmste Situation, wenn das Personal Passeintrag und Realität nicht im Einklang sah und Fragen dazu stellte. „Man muss laut bestätigen eine Frau zu sein, weil es so im Pass steht, auch wenn sich alles in einem dagegen sträubt“, erinnert sich Sam. Seitdem er endlich den für ihn richtigen Passeintrag bekommen hat, ist sein Leben ein bisschen einfacher geworden.
 
Internationale Schulen wie die von Sam in Beijing haben eine Vorbildfunktion und gehen bereits anders mit dem Thema um. Die Western Academy Beijing (WAB) zum Beispiel hat eine eigene Richtlinie für das Miteinander mit Transgenderkindern an der Schule entwickelt. Anna wird deshalb auch auf diese Schule wechseln und dort als Junge mit einem von ihm gewählten Jungennamen neu beginnen und endlich so leben können, wie es sich für ihn richtig anfühlt.
 
Alle Namen im Text wurden anonymisiert.
 

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