Edition II (2025-2027)

Die zweite Ausgabe von ARTEscénicas+digitalidad umfasst Projekte aus den Bereichen Darstellende Kunst und Medienkunst mit Schwerpunkt auf Virtual Reality, künstlicher Intelligenz, immersivem Sound und Creative Coding.
Aus 168 Bewerbungen wurden fünf Gruppen ausgewählt – eine aus jedem Gastgeberland. Ihre Arbeitsprozesse werden von Expert*innen aus Europa und Südamerika begleitet.
 

ARTEscénicas + digitalidad 2025 © Goethe-Institut

Traducción crítica („Kritische Übersetzung“)

Bolivien

Traducción crítica („Kritische Übersetzung“)

Traducción crítica („Kritische Übersetzung“) | @ AE+d Felipe Hurtado

Traducción Crítica ist eine digitale App, die Übersetzungen performativ macht, indem sie in Echtzeit in Diskurse eingreift. Sie beschränkt sich nicht darauf, Wörter von einer Sprache in eine andere zu übertragen, sondern enthüllt und erschließt verschiedene Bedeutungsebenen in Theatertexten und anderen Bereichen. Die App lädt das Publikum dazu ein, in die Texte einzugreifen, wodurch mehrere Versionen entstehen und gezeigt wird, dass jede Sprache einem ständigen Wandel unterliegt.

Das Projekt versteht Übersetzung nicht als einen Prozess der Umwandlung von Wörtern von einer Sprache in eine andere, sondern als eine Enthüllung der Ebenen der Interpretation, Verzerrung und Neubedeutung, die jedem Diskurs zugrunde liegen, wodurch der/die Betrachter*in zu einem/r Mitwirkenden wird, der/die entscheidet, wohin er oder sie die eigene Version eines beliebigen Werks, das er oder sie sieht, durch die Interaktion mit diesem Werkzeug führen möchte.

Die Anwendung ermöglicht es, die Texte eines beliebigen Werks in Echtzeit zu bearbeiten und dabei stets ihre Bedeutungen zu erweitern, da die App die Möglichkeiten einer Botschaft vervielfacht, anstatt sie einzuschränken. Wie in Da Vincis Sfumato, wo Formen keine klaren Grenzen mehr haben, erzeugt Traducción Crítica ein Erlebnis von sich ständig wandelnder Bedeutung.

Wir verstehen Übersetzung als einen Akt der Ermächtigung und der Möglichkeiten. Die Bedeutung ist niemals unveränderlich. Selbst innerhalb derselben Sprache wird die Kommunikation von kulturellen, ideologischen und politischen Spannungen durchzogen, die die Wahrnehmung einer Botschaft verändern. In einer Welt, die von Diskursen – Werbung, Politik, Medien – übersättigt ist, schafft Traducción Crítica einen Raum, in dem Übersetzung nicht mehr nur eine mechanische Entsprechung ist, sondern zu einem politischen, poetischen und performativen Akt von immer aktiver, niemals ganz abgeschlossener Bedeutung wird.

Daher ist die App Traducción Crítica darauf ausgelegt, die kulturelle Bedeutung jedes bearbeiteten Werks und seiner konzeptuellen und erfahrungsbezogenen Beziehungen zu entschlüsseln, wobei Themen wie Selbstbestimmung und kollektiver Sinn erörtert werden. Darüber hinaus wirft sie Fragen zu anderen möglichen Bedeutungen und Zusammenhängen in unterschiedlichen Kontexten auf.

Die Anwendung soll bei verschiedenen Veranstaltungen eingesetzt werden können, um deren verborgene kulturelle und politische Bedeutungen aufzudecken und gleichzeitig die performative Essenz dieser scheinbar alltäglichen Handlungen hervorzuheben. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Bedeutungen hinterfragt werden können und der Konsum von Ideen zu einem bewussten Vorgang wird. Traducción Crítica ist eher ein Emanzipationsprozess und eine Frage der Möglichkeiten als ein einfaches technisches Werkzeug.

Das Projekt wird von Diego Aramburo, Claudia Pacheco Araoz und Ariel Siles durchgeführt, in Zusammenarbeit mit Diego Loza.

Novo Mérìndilogún

Brasilien

Novo Mérìndilogún

Novo Mérìndilogún | @ AE+d Felipe Hurtado

Novo Mérìndilogún ist aus den Erfahrungen entstanden, die die Künstlerinnen bei der Schaffung der künstlerischen Installation SUMIDOURO Nr. 2 für die 35. Biennale von São Paulo gesammelt haben – einem Tanz- und Performance-Raum, der aus Raffiabastvorhängen besteht. Das aktuelle Projekt sieht die Entwicklung eines performativen Orakelraums vor.

Mérìndilogún ist ein Orakel aus 16 Muscheln (buzios) mit afrikanischen Wurzeln, das in Brasilien, insbesondere in Bahia, bekannt ist. Inspiriert von der algorithmischen Logik eines Orakels ist Novo Mérìndilogún eine Untersuchung von Performance-Kunst und Technologie mit dem Ziel, ein zeitgenössisches Orakelgerät zu entwickeln, das von dieser afro-brasilianischen Tradition inspiriert ist.  Wie im traditionellen Spiel, in dem der Wurf der Muscheln Wege und Bedeutungen offenbart, untersucht das Projekt, wie psychophysische und mentale Zustände in Klänge umgewandelt und als Beratung innerhalb einer szenisch-performativen Veranstaltung gehört werden können – eine Vorhersage der Handlung vor der Handlung. Die Untersuchung geht vom Körper der Performerin aus und weitet sich auf das Publikum aus, das eingeladen wird, die Performance als einen Orakelraum zu erleben, in dem die Gegenwart gelesen wird.

Das Projekt zielt darauf ab, Emotionen, Spannungen und Empfindungen mithilfe eines hybriden Geräts, das Gehirn- und Körpersignale erfasst und übersetzt und so Handlungen vorhersagt, in Live-Klanglandschaften umzuwandeln. Die Performerin fungiert als Ritualisiererin in einer Orakel-Performance. Schließlich kombiniert die Methodik des Novo Mérìndilogún Neurofeedback (EEG), um Gehirnströme in orakelhafte „Fälle“ umzuwandeln, die Methode der physischen Handlungen (Stanilawski/Grotowski), um einen Flow-Zustand herbeizuführen und dramaturgische Daten zu generieren, und die Vertonung mit Live-Coding, um in Echtzeit zu verarbeiten und zu improvisieren, wodurch Texturen und Klangfarben entstehen, die auf die physischen und mentalen Zustände auf der Bühne reagieren.

Das Projekt wird in hybrider Form durchgeführt und kombiniert Online-Treffen in der Anfangsphase der Forschung mit einer Präsenzphase, um die direkte Interaktion zwischen Künstler*innen, Raum und Publikum zu fördern.

Grasa („Fett“)

Chile

GRASA ist eine szenische und transdisziplinäre Recherche, die Körperfett als ästhetischen und politischen Schwerpunkt in den Mittelpunkt stellt und die Beziehungen zwischen Körper, Technologie und sozialer Wahrnehmung untersucht. Mithilfe von szenischen, akustischen und audiovisuellen Mitteln macht das Projekt Fett in seinen physischen, symbolischen und sensorischen Dimensionen sichtbar und regt zum Nachdenken über die vielfältigen Formen des Körperbewusstseins an.

Die Arbeit entsteht als Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen Valladares, Errada und C. Guevara, in Anlehnung an frühere Werke wie Fisura (2020) und Práctica de culos (2024). In letzterem wurde eine Kamera unter einem Acrylstuhl platziert, um den Körper von unten zu projizieren, zusammen mit einem Kontaktmikrofon, das die tiefen Frequenzen der Bewegung aufnahm. Die Verformung des Fettes beim Kontakt mit der Oberfläche des Stuhls, seine Falten und Verschiebungen wurden in Bild- und Tonmaterial umgewandelt. Dieser ästhetische Vorgang ermöglichte es, das, was kulturell marginalisiert oder verschwiegen wird, sichtbar zu machen und aufzuwerten.

GRASA greift diese Untersuchungen wieder auf und erweitert sie, indem es Fett als ein Gewebe betrachtet, das historisch mit Vorurteilen behaftet ist. In Kontexten, in denen körperliche Normen vorherrschen, wird Fett oft als Übermaß, Nachlässigkeit oder Krankheit interpretiert. Das Projekt schlägt jedoch eine alternative Sichtweise vor: Fett als Energiereserve, als Schutz für Organe, als Wärmeregulator und auch als empfindliche Oberfläche, die vibriert, klingt und sich verwandelt.

Weit davon entfernt, eine traditionelle Darstellung des Körpers zu bieten, entfaltet das Projekt eine immersive Erfahrung, die die Sinne und sozialen Konstruktionen der Betrachter*innen anspricht. Durch die Verbindung technologischer Werkzeuge mit performativen Praktiken schafft GRASA eine Poetik der Vibration, des Drucks und der Dichte und lädt dazu ein, die Affekte und Diskurse, die sich an den Körper und sein Volumen heften, neu zu konfigurieren.

Diese Arbeit zielt nicht darauf ab, „über“ Fett zu sprechen, sondern es sichtbar zu machen, es als ästhetisches und affektives Phänomen zu entfalten, als Ort, von dem aus die Beziehung zwischen Körpermaterie und sozialem Blick neu überdacht werden kann. In diesem Sinne ist GRASA auch eine politische Aktion: Es bricht normative Vorstellungswelten auf, destabilisiert Normen und eröffnet einen Raum der Sichtbarkeit für nicht-hegemoniale Körperlichkeit.

GRASA verwandelt Fett in ein Forschungsgebiet, in dem es um Widerstand und Kreativität geht, und schlägt verschiedene Formen vor, um den Körper zu hören, zu sehen und zu fühlen.

Casi materia („Fast Materie“)

Uruguay

Casi materia

Casi materia | @ AE+d Felipe Hurtado

Was geschieht, wenn wir darüber nachdenken, Mutter zu werden? Welche Probleme bringt das Muttersein in dieser verlorenen Welt mit sich? Ein holografisches Kind könnte die Lösung sein, um uns das Gefühl der Mutterschaft und Vaterschaft ohne die materielle, finanzielle und emotionale Belastung der Erziehung eines menschlichen Kindes zu ermöglichen.

Das Projekt Casi materia befasst sich mit der Erforschung und Schaffung einer hybriden Inszenierung, die Mutterschaft in einem meta-zeitgenössischen Kontext untersucht. Durch die Entwicklung von Hologrammen soll ein virtuelles Kind geschaffen werden, das die Protagonistin bis zu ihrem Tod auf der Bühne begleitet. Wir möchten die Beziehung zwischen Gerät - Einsamkeit - Mutterschaft untersuchen, da wir davon ausgehen, dass die neuen Medien emotionale Bindungen neu definieren.

Ausgehend von dieser Arbeit fragen wir uns: Wie verändert sich die menschliche Erfahrung, wenn die körperliche Präsenz durch eine digitale Simulation ersetzt wird?

In Anlehnung an die US-amerikanische Denkerin Sandy Stone betrachten wir Identität als einen performativen und nicht als einen feststehenden Prozess, in dem es möglich wäre, das Künstliche zu vermenschlichen. Um die Grenzen des Biologischen zu hinterfragen, beziehen wir uns auf die Cyborg-Theorie der Philosophin Donna Haraway, die sich mit technologievermittelten Körpern auseinandersetzt und mit der konservativen Vorstellung davon, was es bedeutet, „Mensch zu sein“, bricht.

Was bedeutet es, Mensch zu sein?

Das Projekt stellt ein hybrides Arbeitsformat vor, das die Interaktion zwischen dem physischen Körper der Performerin Ximena Echevarría und der Präsenz eines virtuellen Sohnes ermöglicht, der von der audiovisuellen Produzentin María Victoria Parada entwickelt wurde, die mit interaktiven Projektionstechnologien arbeitet und forscht. Diese transmediale Erzählung wird von Ximena Echevarría und Bruno Acevedo Quevedo gemeinsam inszeniert. Die drei Künstler*innen entwickeln die gesamte Dramaturgie des Projekts unter Einbeziehung von KI. Das Ergebnis ist ein immersives Erlebnis, das sowohl in Theaterräumen als auch in unkonventionellen Räumen aufgeführt werden kann, in denen die Theaterschule Implosivo Artes Escénicas, die für die Produktion des Projekts verantwortlich ist, arbeitet.

              „Unsere Maschinen sind beunruhigend lebendig und wir sind schrecklich träge.“
                                                 Donna Haraway, Cyborg-Manifest.
 

Entre la vigilia y el sueño („Zwischen Wachsein und Schlaf“).

Kolumbien

Transkodierungen zwischen Bühne und Digitaltechnik

Ein szenisch-digitales Projekt, das die Grenze zwischen Traum und Wachzustand anhand von visuellen, akustischen und virtuellen Palimpsesten erforscht.

Dieses Projekt befasst sich mit der Beziehung zwischen Traum und Wachzustand als poetischer und kollektiver Erfahrung und verbindet sie mit künstlerischem Schaffen in Kontexten der Gefangenschaft. Es verbindet szenische Sprachen und immersive Technologien, um neue Formen der Dramaturgie und Partizipation zu schaffen, und versorgt gleichzeitig ein lebendiges Archiv mit Träumen, die zu kreativem und narrativem Material werden. Dank seiner Flexibilität lässt es sich an verschiedene Räume und Kontexte anpassen und problematisiert das Soziale aus ästhetischer und digitaler Sicht anhand von drei transversalen Dimensionen:

Das Ästhetische: Traum und Wachzustand werden als untrennbare Konzepte verstanden, die als poetische Form des Verständnisses der kollektiven „Traumwelt” erforscht werden. Dazu werden schriftliche und mündliche Erzählungen von Menschen in Gefangenschaft verwendet und in kreative Materialien mit vielfältigen Bedeutungen umgewandelt.

Das Szenisch-Digitale: Es wird mit Shared Mixed Reality experimentiert, bei der die Zuschauer*innen aus verschiedenen Perspektiven aktiv teilnehmen. Das Werk wird zwischen dem Intimen und dem Kollektiven, in simultanen oder zeitversetzten Momenten erlebt.

Das Archiv: Die gesammelten Träume bilden ein offenes und ständig wachsendes Tonarchiv. Die Träume sind mehr als nur eine Aufzeichnung, sie sind Material, um soziale Problemstellungen zu erschaffen und zu erzählen, wobei sie sich von fertigen Versionen durch Transmedia entfernen.

Plastizität: Das Projekt basiert auf der Anpassungsfähigkeit seiner Materialien und Räume. Mit einer einfachen, aber flexiblen Bühnenausstattung kann es in Theatern, Ausstellungsräumen oder Gefängnisräumen aufgeführt werden.

Expert*innen

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