Grußwort
GoetheFEST 2025
Dieses Jahr stellt eine Ausnahme dar, und zwar in jeder Hinsicht. In einer Zeit, in der unser Leben vom äußeren Lärm und von innerer Unruhe geprägt wird, war es eine schwierige, aber notwendige Entscheidung, unser Festival vom Herbst in den Winter zu verlegen. Kurzgefasst: Es ging um Treue.
Wir haben uns gefragt, was Lärm in der heutigen Zeit eigentlich bedeutet. Ist es in erster Linie der äußere Lärm der politischen Spannungen, der gesellschaftlichen Spaltung, der Repression, der Manipulation, der Hetze des Alltags, oder ist es eher der innere Lärm unserer Zweifel, unseres Wunsches nach einer gerechteren Gesellschaft und unserer inneren Unruhen?
Unter dem Motto „Innere Turbulenzen – äußerer Lärm“ geht das 14. GoetheFEST mit sieben aktuellen Filmen den Spannungen zwischen inneren Impulsen und äußeren Botschaften nach. Die Filme auf dem diesjährigen Programm beleuchten persönliche Kämpfe, gesellschaftliche Konflikte und leise Rebellionen, die in der Gegenwart nachhallen. Filme über historische Wendepunkte und intime Dramen, Komödien und Psychothriller stellen die gleiche Frage: Ist es möglich, in Ruhe zu leben in einer Welt, in dem ein betäubender Lärm herrscht?
Im Mittelpunkt der meisten Filme des diesjährigen GoetheFESTs stehen junge Protagonist*innen. Sie sind rebellisch und sie sind mit Gewalt und mit herrschenden Machtstrukturen konfrontiert, aber auch mit ihren eigenen Ängsten. Gemeinsam mit ihnen können wir uns die Abgestumpftheit abgewöhnen, sie abschütteln und uns an das erinnern, was wir einmal wussten und inzwischen vergessen haben.
„KÖLN 75“ erzählt über die Vorgeschichte des legendären Konzerts von Keith Jarrett in Köln 1975, eines musikalischen Ereignisses, das neue Maßstäbe für die freie solistischen Jazz-Improvisation aufgestellt hat. Das bei diesem Konzert aufgenommene Live-Album verkaufte sich über vier Millionen Mal und wurde somit zu einem der meistverkauften Jazzalben aller Zeiten.
Dieser hervorragend geschriebene und klug inszenierte Film mit tollen Darsteller*innen ist jedoch nicht über ihn, Keith Jarrett, sondern über sie, über Vera Brandes.
Der Film bietet keine einfachen Antworten. Stattdessen öffnet er durch authentische emotionale Momente, das dynamische Spiel eines jungen Ensembles und eine frische Erzählweise einige wichtige Fragen: Was heißt es zu gewinnen? Wer sind die Sieger*innen, wenn die gleichen Regeln nicht für alle gelten?
„Sieger sein“ erzählt nicht von Pokalen, sondern von inneren Siegen. Von der leisen Kraft, durchzuhalten und dazuzugehören.
Der Film zeigt keine Held*innen. Er legt die Fallen von Macht, unerfüllten Erwartungen, Mitleid und unausgesprochenen Gefühlen offen. Dieses starke Drama, das sich im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch zu helfen, und dem Impuls zu fliehen abspielt, wurde mit drei Max-Ophüls-Preisen ausgezeichnet: für den besten Film, die beste Hauptdarstellerin und den besten Hauptdarsteller.
Mit begrenztem Budget als Abschlussfilm gedreht, zeichnet sich der Film durch eine außergewöhnliche Nähe der Kamera aus und stellt dabei die Details komplexer zwischenmenschlicher Beziehungen dar. In diesem Mikrokosmos wird „Ungeduld des Herzens“ zu einer Studie über die Stille, über Blicke, über Hände, die nicht wissen, ob sie berühren dürfen.
Ein herausragender Film über die Kluft zwischen inneren Turbulenzen und äußerer Verhaltensnormen.
In einer Zeit, in der sich die demografische Pyramide umgedreht hat, in der die Gesellschaft immer älter wird und die Pflegesysteme immer dünner, entführt uns der Film in eine Welt, in der Empathie die wichtigste Währung und Zeit die kostbarste Ressource ist. Umgeben von Menschen in Not, mit ganz unterschiedlichen Charakteren und Schicksalen, steht die Heldin unter dem Druck der tickenden Uhr; sie hat nicht genug Zeit für alle, die auf sie und ihre Hilfe angewiesen sind.
„Heldin“ ist ein Film über Augen und Hände. Über Blicke, die Trost suchen, und geübte Bewegungen, die Erleichterung bringen. Über Prioritäten, die sich von Sekunde zu Sekunde verschieben. Über absolute Disziplin und unermüdliche Hingabe.
Leonie Benesch, die wir aus dem Film „Das Lehrerzimmer“ kennen, brilliert erneut in einer Rolle, die kein Spektakel, sondern Wahrhaftigkeit verlangt. In 90 Minuten, meisterhaft verdichtet wie eine einzige Schicht, entsteht der Eindruck, dass wir die Heldin in Echtzeit verfolgen. Es eröffnet sich die Frage: Wie viel Kapazität haben wir, um uns zu kümmern, und zwar nicht nur um andere, sondern auch um uns selbst?
Der Film setzt nicht auf Ausdrücklichkeit, sondern auf genaue Beobachtung, psychologische Tiefe und Symbolik. Das Justizsystem wird nicht als Feind dargestellt, sondern als ein Apparat, der überfordert ist angesichts eines Traumas, das er nicht zu verarbeiten weiß. Rainer Bock spielt einen Richter, der weder Held noch Monster ist, sondern ein Mensch, der versucht, sich in einer Situation zurechtzufinden, mit der er trotz seiner enormen Erfahrung zum ersten Mal konfrontiert wird.
Die zwölfjährige Elise Krieps trägt den Film in der Rolle der Karla ohne große Gesten, aber mit Wut, Angst und Entschlossenheit in jedem Blick. Die Kamera ist fast dokumentarisch und dort, wo Worte verstummen, übermittelt der Ton die Gefühle.
Zwei parallele Welten, die Welt des Traumas und die Welt der Träume, werden mithilfe von psychologischen Flashbacks miteinander verwoben. Das Licht, das irgendwo immer brennt, die Spiegel und das Summen einer Fliege als Leitmotiv werden zu Metaphern des Sich-Auseinandersetzens und des Zeugnisablegens.
„Karla“ ist kein Film, der schwer auf der Seele liegt, sondern einer, der die Zuschauer*innen auf bestimmte Dinge aufmerksam macht. Ein Film, der mit filmischen Mitteln das Unsagbare ausspricht, indem er es spürbar macht. Eine starke Autor*innenstimme, die das unterstreicht, was schon seit der klaren Formulierung von Gisèle Pelicot nachhallt: „Die Scham muss die Seite wechseln“.
Auf wahren Begebenheiten beruhend, kombiniert der Film Familien-Drama, Komödie, Thriller und sogar Elemente kabarettistischer Absurdität. Die Entdeckung, dass in einem Tunnel alte DDR-Geldbestände lagern, wirft Fragen auf: Macht Geld glücklich? Hat Zugehörigkeit einen Preis? Kommt der Kapitalismus als Rettung, oder als das nächste System, das gestürzt werden muss?
Natja Brunckhorst, bekannt geworden durch ihre Rolle als Christiane F. in „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, versammelt diesmal als Regisseurin ein Ensemble, das in der DDR aufgewachsen ist - Sandra Hüller, Peter Kurth, Ronald Zehrfeld, Max Riemelt - und erschafft eine Welt, in der die Geschichte über die Einführung der D-Mark in Ostdeutschland zu einem sommerlichen Märchen wird. Zu einem Soundtrack aus kanadischem Country und Folk wird über Kapitalismus, Gemeinschaft und Werte philosophiert.
„Zwei zu eins“ ist ein Film über den Blick in die Zukunft und über Moral, der frech, aber schmerzfrei, mit der Leichtigkeit eines französischen Films und mit dem Humor eines britischen, eine zeitlose Frage stellt: Woran wollen wir festhalten?
Radlmaier bleibt seinem Stil treu: präzise stilisiert, ironisch, aber emotional resonant, nutzt sein Film den Humor als Werkzeug, um gesellschaftliche Paradoxien offenzulegen. Die Sehnsucht zieht sich durch Dialoge und visuelle Symbole – als ambivalentes Konzept, von der „blauen Blume“ Novalis’ bis zu heutigen Migrationserfahrungen. Auf 16 mm gedreht, bietet der Film poetische Bilder und eine Atmosphäre, die zwischen Realem und Utopischem balanciert.
„Sehnsucht in Sangerhausen“ ist zugleich Komödie und politische Fabel. Dieser Film erinnert uns daran, dass Schönheit und Ironie auch in einer von Rissen durchzogenen Welt koexistieren können.
GoetheFEST ist ein Festival für das Publikum. Ein Ort der Begegnung, des Austauschs und des gemeinsamen Kinoerlebens. Wir laden Sie ein, gemeinsam beim Filmeschauen die inneren und äußeren Drücke und Geräusche für einen Moment verstummen zu lassen. Vielleicht erkennen wir uns in den anderen wieder. Vielleicht hören wir danach aufmerksamer zu. Und erinnern uns immer wieder daran, dass Kunst ein Raum ist, in dem man nicht schweigen darf.
Wie in den vergangenen Jahren enden die Filme beim GoetheFEST nicht mit dem Abspann. Sie setzen sich in Gesprächen mit sich selbst und/oder mit anderen vor dem Kino fort.
Seien Sie uns herzlich willkommen.
Koordinatorin Kulturprogramm
Goethe-Institut Belgrad