Kunstproduktion
Visit My Tent - Hinter der weißen Leinwand

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Varvara & Mar, Tallinn │ visitmytent.com | Fotos: Stephanie Neumann

Stephanie Neumann lässt uns hinter die Kulissen blicken und miterleben, wie die Kunst entsteht. Im Interview erzählt sie über ihr Projekt „visitmytent“, in dem auch deutsche und estnische Künstler*innen vorgestellt werden.

Was ist visitmytent für ein Projekt?

Hintergrund für das Projekt ist, dass in Ausstellungen oft nur fertige Ergebnisse zu sehen sind und es mich interessiert, wie es hinter der Fassade aussieht – behind the White Wall. Zudem gibt es außerhalb der Kunstszene wenig Gelegenheit, am Schaffensprozess teilzuhaben. Das wollte ich ändern. Mit visitmytent porträtiere und interviewe ich Künstler*innen an den Orten der künstlerischen Produktion, an denen Ideen und Werke entstehen, und gebe einen Einblick in die kreative Arbeit.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, visitmytent zu entwickeln?

Alles begann damit, dass ich im Frühjahr 2017, zusammen mit einem Freund, Holm Friebe, einige befreundete Künstler*innen in ihren Studios besucht habe. Anfangs war es noch gar kein konkretes Projekt – Antrieb war das Interesse für die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Orte. Da mein Schwerpunkt als Fotografin immer schon der der „Spurensucherin“ gewesen ist, habe ich dann begonnen, gezielt Aufnahmen zu machen und wir haben uns sieben Interviewfragen überlegt. Mittlerweile sind im Rahmen dieser freien Arbeit bereits über 100 Studio-Portraits entstanden, die auf der Website visitmytent.com erkundet werden können.

Was ist Ihr Ziel mit visitmytent?

Ziel des Langzeit-Projekts ist es, die vielfältigen Arbeitsumgebungen und -praxen zu zeigen und damit einen Zugang zu Kunst abseits von Ausstellungsräumen zu ermöglichen. Auch der Wandel der Atelier-Situation soll über die Zeit festgehalten werden. Ich möchte Erkenntnisse gewinnen und eine Ethnographie künstlerischer Arbeitsstätten und -praktiken entwickeln unter Berücksichtigung künstlerischer Existenzweisen, oft geprägt durch knappe Ressourcen und prekäre soziale Sicherung. 
 
Im nächsten Schritt sollen die Verknüpfungen der Künstler*innen in einer Netzwerkvisualisierung erfahrbar gemacht werden sowie die Verortung der Studios über die Jahre. Langfristig soll die Plattform zu einem Living Archive werden und mit wachsender Reichhaltigkeit idealerweise zu einem zeithistorischen Dokument. 

  • visitmytent.com: Annekatrin Lemke Fotos: Stephanie Neumann

    Annekatrin Lemke, Erfurt │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Camille Laurelli Fotos: Stephanie Neumann

    Camille Laurelli, Tallinn │visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Carla Chan Fotos: Stephanie Neumann

    Carla Chan, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Jay Gard Fotos: Stephanie Neumann

    Jay Gard, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Jeewi Lee Fotos: Stephanie Neumann

    Jeewi Lee, Florence │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Laura Põld Fotos: Stephanie Neumann

    Laura Põld, Tallinn │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Liisi Eelmaa Fotos: Stephanie Neumann

    Liisi Eelmaa, Tallinn │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Robert Lippok Fotos: Stephanie Neumann

    Robert Lippok, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Sean Derrick Cooper Marquardt Fotos: Stephanie Neumann

    Sean Derrick Cooper Marquardt, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Stefano Bosis Fotos: Stephanie Neumann

    Stefano Bosis, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Tomoyuki Ueno Fotos: Stephanie Neumann

    Tomoyuki Ueno, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Tracey Snelling Fotos: Stephanie Neumann

    Tracey Snelling, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Varvara & Mar Fotos: Stephanie Neumann

    Varvara & Mar, Tallinn │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Viron Erol Vert Fotos: Stephanie Neumann

    Viron Erol Vert, Florence │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

Wie finden Sie die Künstler*innen?

Bei den Studiobesuchen werden mir oftmals weitere Künstler*innen empfohlen. Gleichzeitig recherchiere ich nach spannenden Künstler*innen online und besuche gezielt Ausstellungen sowie Atelierhäuser. Diese Vorgehensweise fördert eine organisch wachsende facettenreiche Plattform. Mit visitmytent möchte ich sowohl aufstrebende als auch etablierte Künstler*innen der vielfältigen Kunstszene darstellen. Der schöne Nebeneffekt ist, dass ich dadurch oft an ungewöhnliche Orte komme, die ich sonst nicht kennenlernen würde, sei es eine abgelegene Glaswerkstatt in Berlin Reinickendorf, ein märchenhafter Olivengarten in Florenz oder eine Zeitreise durch Wohnzimmer und Computerspiele in Tallinn.

Auf visitmytent sind auch einige estnische Künstler*innen vertreten. Wie ist die Verbindung mit Estland zustande gekommen?

Im Rahmen einer Fotografie-Ausstellung für die Tallinn Architecture Biennale 2019 konnte ich die Zeit neben dem Ausstellungsaufbau dafür nutzen, einige Künstler*innen in Tallinn kennenzulernen. Mein Eindruck war, dass es, wie in Berlin, sehr viele spannende Künstler*innen gibt, die sich gegenseitig unterstützen und fördern. Auffallend war, dass mir besonders viele Künstlerinnen empfohlen wurden. In Berlin muss ich häufig gezielt nach Künstlerinnen fragen, da mir bei den Studiobesuchen überwiegend männliche Künstler vorgeschlagen werden. In Tallinn war es umgekehrt. Das fand ich bemerkenswert und ich frage mich, ob es in Estland Strukturen gibt, die dies fördern. Womöglich eine interessante Frage für einen nächsten Besuch. 

Was würden Sie zu den Arbeitsbedingungen der Künstler*innen sagen?

In Berlin wird von vielen Künstler*innen zunehmend das Problem steigender Mieten angesprochen oder die Kündigung von Räumlichkeiten. Die derzeitige Lage, in Zeiten von Corona, verschärft für viele zudem die eh schon prekäre Situation. Ich denke, dass sich hinter den Kulissen der Kunst Trends abzeichnen, beispielsweise, dass die Schere immer weiter auseinander geht und sich viele immer mehr auf den Platz in ihrer Wohnung konzentrieren (müssen), weil – wie gerade in Zeiten von Corona – Ausstellungen/Aufträge wegbrechen und das Geld nicht mehr für die Studiomiete ausreicht. 

Unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen der Künstler*innen stark zwischen Estland und Deutschland?

Um das beurteilen zu können, war ich zu kurz in Estland. Mein erster Eindruck war, dass die Künstler*innen beiderorts ihrer Arbeit nachgehen – trotz steigender Mietpreise, Kampf um Räumlichkeiten und den häufig knappen Ressourcen.

Gab es für Sie etwas Überraschendes in den „Künstlertents“?

Überraschend fand ich, dass ich bei einem Studiobesuch tatsächlich auf ein Zelt stieß, das ein Künstler für seine Ruhephasen im Raum stehen hatte. Auch, dass einige bewusst kaum persönliche Dinge und auch keinen festen Ort haben, so dass sie jederzeit los können. Dass viele Arbeitsweisen anders als ursprünglich vermutet ablaufen. Oder, wie systematisch einige das von der Arbeit Abfallende aufheben, kategorisieren und weiterverwenden. 
  • visitmytent.com: Michelle Jezierski Fotos: Stephanie Neumann

    Michelle Jezierski, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Michelle Jezierski Fotos: Stephanie Neumann

    Michelle Jezierski, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Tomoyuki Ueno Fotos: Stephanie Neumann

    Tomoyuki Ueno, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Paul Frick Fotos: Stephanie Neumann

    Paul Frick, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Stefanie Gutheil Fotos: Stephanie Neumann

    Stefanie Gutheil, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Zora Kreuzer Fotos: Stephanie Neumann

    Zora Kreuzer, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Kitty Solaris Fotos: Stephanie Neumann

    Kitty Solaris, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Katia Kelm Fotos: Stephanie Neumann

    Katia Kelm, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Philip Grözinger Fotos: Stephanie Neumann

    Philip Grözinger, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Robert Henke Fotos: Stephanie Neumann

    Robert Henke, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

  • visitmytent.com: Uferhallen Fotos: Stephanie Neumann

    Uferhallen, Berlin │ visitmytent.com, Fotos: Stephanie Neumann

Wer ist für Sie ein*e Künstler*in?

Eine Person, die Kunst schafft. 

Welche Rolle spielt ein*e Künstler*in in der Gesellschaft?

Künstler*innen können neue Sichtweisen aufzeigen, experimentieren, auf Missstände hinweisen, Diskussionen anregen, Positionen überzeichnen, mit Denkmustern brechen, forschend Fragen nachgehen, neue Paradigmen entwickeln oder die Aufmerksamkeit auf Themen lenken, die keine Lobby haben. Eine eigentlich große Rolle also, im Vergleich zu ihrem geläufigen Image vom “urbanen Penner”. 

Sollte man die Kunst unterstützen?

Unbedingt.

Welche Fähigkeiten benötigen Künstler*innen außer ihrer Kunst noch im Kunstbetrieb, um erfolgreich zu sein?

Das hängt davon ab, wie Künstler*innen für sich den Begriff Erfolg definieren. Ist es die Möglichkeit, das tun zu können, was man will oder bedeutet es, ein großes Publikum zu erreichen. Bei den Künstler*innen, die ich bisher getroffen habe, konnte ich sehr unterschiedliche Vorstellungen von Erfolg und, damit verbunden, sehr verschiedene Herangehensweisen beobachten. Beispielsweise die Fähigkeit, einschätzen zu können, in welchen Phasen es wichtig ist, Kritik anzunehmen (und von wem) – und wann man sich nicht beirren lassen und den ungestörten Fokus auf den Arbeitsprozess legen sollte. Daneben ist es oftmals hilfreich, Netzwerke bilden und nutzen zu können. Einen Überblick über die Buchhaltung zu haben oder jemanden einzubeziehen, der diesen hat, ist ebenfalls essenziell. Oder ein Gespür für Potentiale und Gelegenheiten sowie ein langer Atem. Wenn man Erfolg mit finanziellem Erfolg gleichsetzt, sind natürlich auch betriebswirtschaftliche Fähigkeiten wichtig – der Fallstrick der meisten Künstler*innen, die trotz hoher Qualität von anderen überholt werden.
 

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