Briefblog
Per Fax in die digitale Revolution

Sag mal, Jaan Tamm, was erzählt ihr den deutschen Staatsgästen über Digitalisierung?
In puncto Digitalisierung ist Estland ja wirklich unglaublich fortschrittlich: Hier gibt es das Grundrecht auf Internet, eines der schnellsten und sichersten Netze weltweit sowie eine gefühlt dreihundertprozentige LTE-Netzabdeckung. Die Kommunikation mit Ämtern, das Checken der Schulnoten und Hausaufgaben und sogar Wählen funktionieren in den Weiten von e-Estonia, der digitalen Infrastruktur Estlands, die noch dazu weniger sumpfig und verregnet ist als die analoge Version. Das ist wahrlich einzigartig.
So überrascht es auch nicht, dass Politikerinnen und Politiker aus anderen Staaten häufiger vorbeischauen, um sich inspirieren zu lassen. So auch aus Deutschland; inzwischen müssten Delegationen aus fast jedem deutschen Landtag (und aus dem Bundestag ohnehin) zu Besuch in Tallinn gewesen sein, um sich im schicken e-Estonia-Showroom über die schier unendlichen Möglichkeiten von e-Governance, e-Citizenship und e-Voting zu informieren.
Wenn die politischen Delegationen aus Deutschland hier zu Besuch sind, sind sie ganz sicher beeindruckt. Aber warum geht es dann in Deutschland nicht auch mal voran mit der Digitalisierung?
Erste Theorie: Ihr zeigt zwar gern euren schicken und bestimmt sauteuren Showroom und prahlt entgegen eurem Naturell ein wenig mit den beachtenswerten Leistungen der estnischen IT- Szene. Wenn es aber um konkrete Fragen zur Umsetzung der Digitalisierung geht, werdet ihr wieder sehr estnisch zurückhaltend und einsilbig.
Zweite Theorie: Eure deutschen Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen hören einfach nicht zu. Das relativ kleine Estland dürfte dem einstigen Wirtschaftswunderland Deutschland in ökonomischen Kernkompetenzen wie Innovation und technologische Erneuerung inzwischen eine gute Dekade enteilt sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass man eure Ratschläge nicht dennoch hochnäsig in den Wind schießen könnte.
Es grüßt herzlich,
Martinus Mancha