Briefblog
Faschingsfasten

Sag mal, Jaan ... ein Briefblog5
© Goethe-Institut Estland

Sag mal, Jaan Tamm, wie haltet ihr es mit dem Karneval? Und mit dem Fasten?

Um mich gleich zu Beginn zu outen: Ich persönlich kann dem deutschen Karneval rein gar nichts abgewinnen. Mich in ein »superlustiges« oder mindestens vieldeutiges Kostüm zu zwängen, um auf Kommando Spaß zu haben, liegt mir einfach nicht. Schon im Kindergarten und in der Schule dachten die Lehrerinnen und Lehrer, dass sie uns damit eine Freude machen würden. Die meisten von uns hat der Fasching, wie er in meiner Heimat heißt, einfach nur genervt. Das kannst du als typischer Este vielleicht nachvollziehen, lieber Jaan.

In Deutschland sind die Meinungen dazu allerdings genauso vielfältig wie die regionalen Namen und Ausformungen: Fasching, Fastnacht, Fasnet, Fasnacht, Faslam, Fastelovend oder eben Karneval. Egal, wie genau das Fest heißt, immer geht es mehr oder weniger darum, vor der anstehenden Zeit des Fastens nochmal die Sau rauszulassen. Eigentlich beginnt die Faschingszeit schon am 11. November. Der Höhepunkt des Karnevals ist aber seine letzte Woche, wenn an Weiberfastnacht und Rosenmontag vor allem die Menschen im Rhein-Main-Gebiet kollektiv durchdrehen.

Im Grunde ist der Karneval ein Relikt. Im Februar hatten die Menschen früher oft kaum noch etwas von der letzten Ernte übrig und mussten daher erzwungenermaßen fasten/hungern und zuvor wollte man sich ein letztes Mal etwas gönnen. Sehr verständlich. Die christliche Kirche gab der Zwangsdiät dann einen ideologischen Überbau. Denn mit vierzig Fastentagen sollte man sich auf das heilige Osterfest vorbereiten und das Hungern wurde zur religiösen Tat. Sehr clever.

Heutzutage wird der Beginn der Fastenzeit, der Aschermittwoch, von den meisten eher dazu genutzt, den Rausch der Vortage auszuschlafen. Doch noch immer gibt es viele Menschen in Deutschland, die nach dem Faschingsexzess irgendetwas fasten, vierzig Tage lang auf irgendetwas verzichten: Alkohol, Schokolade oder Zigaretten zum Beispiel.

Vastlakuklid überall am Fastentag, auch im Café Narva
Vastlakuklid überall am Fastentag, auch im Café Narva | © Martinus Mancha
Die große Party und die anschließende, reuige Askese gehören im deutschen Karneval also eng zusammen. Wie ist das in Estland? Ostern als christliches Fest ist den allermeisten Estinnen und Esten ja genauso herzlich egal wie die Kirche allgemein. Aber harte Winter und leere Vorratskammern gab es im alten Estland doch sicher zur Genüge. Wird in Estland heute ausschließlich für die Bikinifigur gefastet, die dann in der einen Woche Sommer (die manchmal auch ausfällt) stolz am Strand präsentiert wird, oder gibt es auch hier noch solche alten Traditionen des Fastens?

Von kleineren, eher privaten Faschingsfeiern habe ich auch hier schon gehört. Vor allem aber gibt es einen Karnevalsbrauch in Estland, der mir sehr sympathisch ist: Am Vastlapäev, dem »Fastentag«, quellen die Auslagen der Konditoreien über vor den irreführend so genannten Vastlakuklid, sündhaft leckeren »Fastenbrötchen« mit Sahnecreme-Füllung, die es glücklicherweise nur ein Mal im Jahr gibt (siehe Bikinifigur). Und dann? Beginnt dann auch in Estland die Fastenzeit? Oder sind die Vastlakuklid eine Sünde ohne Reue?

Auf jeden Fall ist Tallinn ein gutes Pflaster, um vom Karneval weitgehend verschont zu bleiben. Hier kann ich weiterhin ganz ungestört Fasching fasten und dazu leckere Vastlakuklid mampfen. Ich freue mich schon sehr auf den 13. Februar! Du Dich auch, lieber Jaan?
 
Es grüßt herzlich,
Martinus Mancha
 

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