Film & Diskussion Holocaust Memorial Day: Peter Nestler 'Unrecht und Widerstand'

junge menschen mit gedenkbanner Rainer Komers | © strandfilm

Fr, 27.01.2023

19:00 Uhr

Goethe-Institut London

Am diesjährigen Holocaust-Gedenktag richten wir unser Augenmerk auf den Völkermord an den Sinti und Roma während des NS-Regimes, ihren Kampf um die Anerkennung der an ihnen begangenen Verbrechen und ihren Widerstand gegen die anhaltende Diskriminierung, der sie in Deutschland ausgesetzt sind. Gemeinsam mit dem Essay Film Festival zeigen wir Unrecht und Widerstand, den ersten von zwei neuen Filmen von Peter Nestler, mit einer Einführung von Professor Emeritus Rainer Schulze, der nach dem Film eine Diskussion mit Mania Petrovic führen wird, die seit vielen Jahren aktiv dafür arbeitet, das Bewusstsein für die Geschichte, Kultur und Sprache der Roma in Großbritannien zu schärfen.
Dieser Veranstaltung werden weitere im Rahmen des diesjährigen Essay Film Festivals (24.-30. März 2023) folgen, u.a. eine Präsentation des zweiten neuen Films von Peter Nestler, Der offene Blick - Künstlerinnen und Künstler der Sinti und Roma.

Der jahrhundertealte Rassismus gegen Sinti und Roma eskalierte unter dem NS-Regime in systematische Verfolgung und Völkermord. Schätzungen zufolge wurden zwischen 220.000 und 500.000 Sinti und Roma Opfer der Nazis und ihrer Kollaborateure; darunter waren über 25.000 Sinti und Roma aus Österreich und Deutschland. Auch das Ende des Dritten Reiches bedeutete nicht das Ende von Rassismus und Diskriminierung für die Überlebenden. Symptomatisch dafür ist die Tatsache, dass der der rassistisch motivierte Völkermord an den Sinti und Roma erst im März 1982 offiziell anerkannt wurde.

Anhand von Archivmaterial und ausführlichen Interviews zeichnet Peter Nestlers sorgfältig recherchierte Dokumentation die andauernde Demütigung und Ungerechtigkeit nach, die Sinti und Roma in Deutschland und Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg erfahren haben, sowie ihren kontinuierlichen Widerstand und Kampf um Anerkennung.

Im Zentrum seines Films stehen die Aussagen und Kommentare des langjährigen Bürgerrechtlers Romani Rose, der seit 1982 Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma ist. Rose verlor 13 nahe Angehörige in den NS-Lagern. Aus dem, was er über seinen Vater und seinen Onkel erzählt, erfahren wir vom Versagen der katholischen Kirche beim Schutz der Sinti und Roma und von den medizinischen Experimenten, denen sie im KZ Neckarelz unterzogen wurden. Seit den 1970er Jahren engagiert sich Rose intensiv im Bürgerrechtskampf für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung der Sinti und Roma in Deutschland. Der Film behandelt beispielsweise einen Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau im Jahr 1980, an dem Rose teilnahm – ein Protest gegen die Entscheidung der bayerischen Behörden, der Sinti- und Roma-Gemeinschaft den Zugang zu wichtigen Dokumenten über ihre Unterdrückung zu verweigern. Dieser international viel beachtete Streik wurde zu einem wichtigen Katalysator im Kampf um die Anerkennung der Bürgerrechte von Sinti und Roma.

Deutschland, Österreich 2022, Farbe u. s/w, 115 Min. Mit englischen Untertiteln.
Regie: Peter Nestler, Kamera: Rainer Komers, Schnitt: Dieter Reifarth, Ton: Michael Busch, Produktionsfirmen: Strandfilm GmbH (Frankfurt am Main) in Koproduktion mit Navigator Film Produktion (Wien) in Kooperation mit Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) / 3sat (Mainz), Produzent: Dieter Reifarth, Herstellungsleitung: Monika Lendl.


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Sprecher*innen

Prof. em. Rainer Schulze 

Rainer Schulze ist emeritierter Professor für Neuere Europäische Geschichte und Menschenrechte an der University of Essex. In den Jahren 2000-2007 war er an der Entwicklung einer neuen Dauerausstellung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen beteiligt und ist darüber hinaus Mitglied des internationalen Beirats. Er arbeitete als historischer Berater für Ausstellungen und Dokumentarfilme zum Thema Holocaust/Bergen-Belsen und war zuletzt an einer Dokumentation über 50 Jahre Pride-Märsche in London beteiligt. Von 2007 bis 2016 koordinierte er die jährliche Holocaust-Gedenkwoche an der Universität von Essex. 2012 rief er den Dora Love Prize für Schulen in Essex und Suffolk (und darüber hinaus) ins Leben, der derzeit im elften Jahr läuft. Seine Forschungsinteressen gelten dem Holocaust, insbesondere den nicht-jüdischen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung, der Geschichte und aktuellen Situation der Roma und Sinti in Europa sowie der Geschichte und den Rechten der LGBTQ+-Gemeinschaft. Er ist Mitglied in mehreren Beiräten und Kuratorien.

Mania Petrovic

Mania Petrovic lebt seit 30 Jahren im Vereinigten Königreich, nachdem sie regelmäßig zwischen unterschiedlichen europäischen Ländern hin- und herzog und eine längere Zeit in Schweden verbrachte. Derzeit arbeitet sie bei der Wohnungslosen-Wohltätigkeitsorganisation St. Mungo's und koordiniert die Unterstützung für Wohnungslose Rom*nja.
Ihre Familie verlor viele Angehörige in dem Porajamos, dem von den Nazis an den Rom*nja und Sinti*zze verübten Völkermord. Mania Petrovic klärt zusammen mit ihrer Familie und als Teil von politischen Organisationen sowohl politische Autoritäten als auch und die breite Öffentlichkeit über den Pojarmos auf.
Sie und ihre Familie nahmen an vielen jährlichen Protesten, vom Nationalen Roma-Tag bis hin zu Anti-Rassismus-Märschen und den jüngsten Protesten gegen den Entertainer Jimmy Carr bei seinen Auftritten in London teil. Der Protest führte dazu, dass Jimmy Carr‘s vielfach verurteilter rassistischer Witz gegen die Gemeinschaften der Sinti*zze und Rom*nja aus seiner Show entfernt wurde.
Weiterhin beteiligte sich Mania Petrovic am Schreiben, Produzieren und Aufführen des Theaterstücks Me For the World der Theatergruppe The Young Vic im Jahr 2020. Sie spielte zusammen mit ihren beiden Kindern und anderen Laienschauspielern aus den Gemeinschaften der Rom*nja und irischen Traveller an einer Show, welche die Form einer Mahlzeit annahm und viele Stereotypen in Frage stellte.
Mania Petrovic war auch als Dolmetscherin und Anwältin für einige der größten und ältesten Organisationen im Vereinigten Königreich tätig, die Rom*nja unterstützen. Ferner unterrichtete sie Romanes, die Sprache der Roma, um die Sprache am Leben zu erhalten.

 

 

Biografie peter nestler 

Der deutsche Filmemacher Peter Nestler gehört zu den ganz großen Dokumentaristen unserer Zeit. Sein einflussreiches Werk, das zunehmend auch außerhalb des deutschsprachigen Raums gewürdigt wird, umfasst mittlerweile mehr als 60 Filme – über sechs Jahrzehnte hinweg entstanden, stehen Nestlers Filme exemplarisch für ein dokumentarisches Arbeiten, das sich durch politischen und künstlerischen Eigensinn auszeichnet.

Peter Nestler, 1937 in Freiburg geboren, beginnt 1962 seine Arbeit als Dokumentarfilmregisseur, zunächst noch in der BRD, ab 1966 in Schweden, wo er bis heute lebt. Bis in die 1990er Jahre ist er für das schwedische Fernsehen tätig und realisiert nahezu jedes Jahr einen Film, oft in Zusammenarbeit mit seiner Frau Zsóka Nestler (1944–2016). Bis heute führt der nun 85-jährige Nestler seine herausragende Arbeit fort, die sich in den unterschiedlichsten filmischen Formen manifestiert und in deren Zentrum eine hellsichtige Analyse der Zusammenhänge von Politik und Ökonomie steht. "Im Grunde", so ein Wegbegleiter Nestlers, "dreht er einen langen, großen Film, wie ein Erzähler, der seine Geschichte ewig fortspinnt. Die einzelnen Filme sind deshalb lediglich Kapitel oder Abschnitte dieser Lebensarbeit."
Dies gilt mit Sicherheit für seinen aktuellen, aus zwei Teilen bestehenden deutsch-österreichischen Film Unrecht und Widerstand und Der offene Blick, mit dem Nestler in beeindruckender Weise seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Sinti und Roma in Deutschland und Österreich fortführt: ein großes intensives Epos über ein immenses Unrecht, erzählt als Geschichte zwischen Trauma und Selbstbehauptung. (Constantin Wulff; mit Dank an das Österreichische Filmmuseum 

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