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Arthouse Cinema - Alexander Kluge
Der starke Ferdinand: Nach Einbruch der Dunkelheit kommt der Terror

Der starke Ferdinand: Nach Einbruch der Dunkelheit kommt der Terror
© Goethe-Institut Indonesien

Inmitten der Nacht kriecht ein Mann durch das Gras und betritt einen Hof. Er zerbricht ein Fenster, um in das Haus zu kommen. Kurz darauf sind Schüsse zu hören, und der Mann rennt wieder nach draußen. 

Dieses Verbrechen, das in dem Tod einer Person resultiert, macht den Polizisten Ferdinand Rieche (Heinz Schubert) wütend. Er zögert nicht, seinen Chef zu konfrontieren, weil dieser den Verbrecher nicht fassen konnte. Rieche sagt, dass der Verbrecher hätte gefasst werden müssen, bevor er zur Tat schreitet. Der Chef argumentiert, dass eine Verhaftung erst dann erfolgen könne, wenn eine Straftat stattgefunden habe.
 

Der 50-jährige Ferdinand Rieche, die Hauptfigur in Der starke Ferdinand (Strongman Ferdinand, 1976), nimmt das Thema Sicherheit sehr ernst. Der Film, der 1976 bei den Filmfestspielen von Cannes mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet wurde, zeigt ihn als einen Charakter, der Sicherheit als Hauptmotivation seines Lebens betrachtet, damit er seine Lebensprioritäten auf der Grundlage der Dinge teilt, die am meisten geschützt werden müssen: zuerst „sich selbst“ , zweitens „wo er lebt“, drittens „wo er arbeitet“, viertens „die Polizeiarbeit, in ihrer Gesamtheit“ und schließlich „alles andere in seiner Gesamtheit“.

Das Thema Geschichte aus einer zeitgenössischen Perspektive ansprechen

Der Regisseur Alexander Kluge, der in den Jahren 1962-1982 einer der Initiatoren des Neuen Deutschen Films war, bezeichnete seine Filme häufig als subtile Kritik an den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf das soziale und wirtschaftliche Leben der deutschen Gesellschaft. Anton Kaes sagte in seinem Artikel „In Search of Germany: Alexander Kluge’s the Patriot”, dass Kluges Filme „das Thema Geschichte aus einer zeitgenössischen Perspektive [im Kontext des Films] angesprochen haben.“ Seine Filme versuchen nicht nur, die Vergangenheit zu enthüllen, sondern die Gegenwart als Teil der historischen Dimension zu positionieren. Folglich spricht Kluge im Film nicht wirklich offen über das NS-Regime, die Ereignisse des Holocaust oder die Auswirkungen des Kalten Krieges selbst, sondern zeigt, wie sich Teile dieser Ereignisse immer noch auf das Leben seiner Charaktere heute auswirken.
 
In Strongman Ferdinand wird Rieches Leben in den 1970er Jahren so dargestellt, als wäre er dem Krieg nicht vollständig entkommen. Er, der erst Polizist war und schließlich Sicherheitschef in einer Fabrik wird, trainiert seine Angestellten, als wären sie auf einem Schlachtfeld: von Techniken, um sich vor Feinden zu schützen, bis zu Techniken, um Gegner zu befragen. Es wird gezeigt, dass die Sicherheitsübungen immer mehr eskalieren, vom anfänglichen Theorieunterricht über eine Simulation in einer Fabrik, die Fortsetzung des körperlichen Trainings mitten im Winter bis hin zum Ausspähen und Terrorisieren rivalisierender Fabriken.

Im Namen der Sicherheit

Interessanterweise zeigt Strongman Ferdinand, wie Rieches Prinzipien und seine Art der Durchsetzung der Sicherheit dazu führen, dass er – im Namen der Sicherheit – sich selbst und andere gefährdet. Während des gesamten Films sehen wir, wie Rieche sich im Grunde selbst schützt, auch wenn sich ständig bedroht fühlt. Seine größte Sorge in dem Film ist es, seinen neuen Job zu verlieren – so sieht er seine sechsmonatige Probezeit als Bedrohung an. Deshalb versucht er, seinen Chef zu beeindrucken, indem er die Sicherheit der Fabrik maximiert. Regisseur Kluge spielt viel mit Ironie, um zu zeigen, dass Rieches Verhalten den gegenteiligen Effekt hat als er es selber erwartet.
 
Kluge verwendet trockenen Humor, um diese Ironie kritisch darzustellen: Rieche versucht sich zu retten, indem er falschen Urintest vorlegt – die Laborergebnisse werden später von seinem Arzt gleichgültig kommentiert: „Der Urin ist sehr frisch“ und „Wenn Sie kein Mann sind, vermute ich, dass Sie im dritten Monat schwanger sind.“ Rieches gefasster Gesichtsausdruck scheint zu zeigen, dass er sein Verhalten nicht als problematisch empfindet – etwas, das er von Anfang an betont hat, dass er „alles weiß und nicht versteht, warum die anderen Menschen um ihn herum es nicht tun.“
 
Wir sehen auch, dass Rieche eine starke Bindung zu seinen persönlichen Gegenständen hat, aber Kluge scheint diese Gegenstände absichtlich zu entfernen oder keine persönlichen Beziehungen zu Rieche zu haben. Das Schlafzimmer, der privateste Raum, ist überfüllt mit Gegenständen. Er hat aber auch keine persönlichen Fotos oder Dekorationen außer der Uhr, die neben seinem Bett an der Wand hängt – aus praktischen Gründen, damit er nach dem Aufwachen schnell die Zeit überprüfen kann.

Ein Leben ohne emotionale Bindung

Darüber hinaus zeigt Kluge Rieches Leben, das frei von emotionalen Bindungen ist. Natürlich hat er ein Privatleben, er hat eine Freundin, die auch Mitarbeiterin in der Fabrik ist und bei ihm lebt. Die Beziehung scheint jedoch langweilig zu sein. Sie führen gemeinsam eine Reihe von Ritualen durch, wie es normalerweise bei Paaren üblich ist, z. B. Geburtstage feiern und gemeinsam Urlaub machen. Diese Dinge stellt Kluge jedoch nur als Formalität dar: Rieche rezitiert ein Gedicht, das besser als Einkaufsliste bezeichnet werden sollte („Verwenden Sie Pebeko für Ihre Zähne, Nivea für Ihre Haut, Hermeta für Ihre Füße, Jawohl zum Kämmen Ihrer Haare, Aspirin für Fieber…“) und bezeichnet dann Weihnachten als eine Bedrohung, die es erforderlich macht, lange davor eine Feiertagssimulation durchzuführen.

Anstatt Wärme in sein Leben zu bringen, ist die Anwesenheit anderer Menschen für Rieche beengend. Strongman Ferdinand veranschaulicht dies, indem er Rieches Schlafzimmer hervorhebt: er hat nur ein Einzelbett, und das Paar hat Schwierigkeiten, eine bequeme Schlafposition auf der schmalen Matratze zu finden.
 
Bei verschiedenen Gelegenheiten zeigt Strongman Ferdinand, dass Rieche versucht, seine Unsicherheit zu überspielen, indem er gegenüber externen Parteien aggressiv wird. Wie ein Blinder sieht er alles als Bedrohung an – von der kommunistischen Partei, den Gewerkschaften und der DDR bis hin zu seinem eigenen Chef.
 
So wie ein Krieg, der darauf abzielt, die Sicherheit eines Landes oder einer Einheit zu gewährleisten, Menschen wie Rieche hervorbringt, die sich ständig bedroht fühlen, wird Rieches Figur selbst der Terror. Er geht zu weit, um gegen das Verbrechen vorzugehen – was wiederum in der Gefährdung seiner eigenen Fabrik gipfelt, weil er heimlich Rauch verursacht und den Feueralarm auslöst, und einen Ministerialbeamten erschießt, um zu beweisen, dass es eine Lücke im Sicherheitssystem gibt.
 
Alexander Kluge beschreibt dieses Phänomen in Strongman Ferdinand als sich immer wiederholende Schleife, solange die paranoide Haltung nicht entschlüsselt wird: Kluge eröffnet den Film mit Rieche, der wegen seiner rechtswidrigen Haltung von der Polizei ausgeschlossen wird, und endet damit, dass Rieche anderen Schaden zufügt um „dem Terror vorzubeugen“.
 
So wie der Terror anderen schadet, schadet dieses Phänomen der Person auch auf persönlicher Ebene. Kluge veranschaulicht das, indem er Rieche zeigt, der keine emotionalen Bindungen und persönlichen Beziehungen hat, die ihn menschlich gemacht haben. In einer subtileren Form versucht Kluge auch, dies aufzuheben, indem er zeigt, dass Rieche, der von der Aufrechterhaltung der Sicherheit besessen ist, von der Polizei gefasst wird.
 
Warum hat er das schlussendlich alles getan? „Für nichts“, sagt Rieche selbst. „Das Leben ist bedeutungslos“, resümiert er am Ende des Films. Kluge bietet keine Lösung für dieses Phänomen, sondern zeigt die Konsequenzen auf, die teuer bezahlt werden müssen.
 

autorin

Permata Adinda © Permata Adinda Permata Adinda nahm an einem Workshop über Filmkritiken beim Festival Film Dokumenter (FFD) in Yogyakarta und beim Yamagata International Film Festival im Jahr 2018 teil. Dinda schreibt unter anderem für Assumption.co, Jurnal Ruang, Cinema Poetica zu finden und Magdalene.co.

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