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Volkslied-Pop nach der Stunde Null

Juliet Prowse und Elvis Presley in „G.I. Blues”
Juliet Prowse und Elvis Presley in „G.I. Blues” | Foto (Detail): © Mauritius images / Masheter Movie Archive / Alamy

1960 ist Elvis Presley der international berühmteste Popstar – und singt in einem Film ein deutsches Volkslied, das sich danach millionenfach verkauft.

Von Sonja Eismann

Im Film G.I. Blues (1960) spielt Elvis Presley einen amerikanischen Soldaten, der in Deutschland stationiert ist – wie er selbst die zwei Jahre zuvor. In einer Szene macht er mit seinem Love Interest, Tänzerin Lili aus dem Frankfurter Nachtclub Café Europa – so auch der deutsche Titel des Films – eine romantische Schiffsfahrt auf dem Rhein. Zufällig geraten die beiden danach in eine Kasperletheatervorführung für Kinder. Als dort ein Lied vorgespielt werden soll, versagt das Grammophon. Elvis alias Panzersoldat Tulsa McLean springt beherzt ein und singt, mit der weiblichen Kasperle-Figur flirtend und feixend, eine halb englische, halb deutsche Version des alten schwäbischen Volkslieds Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus.

 
Das von ihm als gefühliger Schmachtfetzen intonierte Stück erreicht im Jahr 1961 als Wooden Heart Platz 1 der britischen Single-Charts, im selben Jahr schafft Joe Dowell dasselbe mit einer Coverversion des Liedes in Elvis‘ Heimat USA und Tonio Areta mit der übersetzten Variante Corazón de Madera in Spanien. In Deutschland werden binnen kürzester Zeit über 400.000 Platten von Wooden Heart verkauft – sehr zum Missfallen traditionsbewusster Radiosender wie dem Bayerischen Rundfunk. Der spielt die Version nicht, da für ihn nur eine „ernsthafte Pflege“ statt einer „Verschnulzung deutscher Volkslieder“ in Frage kommt. Das ändert nichts daran, dass Muss i denn... zum deutschlandweit und auch international bekanntesten deutschen Volkslied wird, das in den folgenden Jahrzehnten immer wieder von deutsch singenden Schlager- und Chansongrößen wie Heino, Mireille Mathieu, Nana Mouskouri, Roy Black, Karel Gott oder Hannes Wader interpretiert wird. Über 40 Coverversionen sollen von dem Stück existieren – sogar Chubby Checker lieferte 1962 eine sehr getragene Adaptation als Twist doch mal mit mir, die nichts vom mitreißenden Tanzflächenfeuer seiner üblichen Twist-Hits hatte.

Allerdings mit gutem Grund, geht es im Original von Muss i denn... doch um einen traurigen Abschied, bei dem ein junger Mann seine Geliebte verlässt. Mit dem großzügigen Versprechen, sie nach seiner Rückkehr nach einem Jahr zu heiraten, obwohl es durchaus „drauß der Mädele viel“ gebe. 1827 wurde das von Friedrich Silcher nach einer schwäbischen Volksweise geschaffene Stück erstmals veröffentlicht und war als Wander- und Soldatenlied nicht nur in Deutschland, sondern auch bald international populär, wie die frühe englische Übersetzung Must I, then? Must I, then? From the town must I, then? von Henry William Dulcken aus dem Jahr 1856 beweist.

Sei mir gut, sei mir gut
Sei mir wie du wirklich sollst
'Cause I don't have a wooden heart


Die Nutzung und Rezeption des Stückes war dabei durchaus wechselvoll und symbolhaft für die deutsche Geschichte: 1914 wurde es, aufgrund seiner Beliebtheit bei der Wandervogelbewegung, in das Liederbuch des Jüdischen Wanderbundes Blau Weiss aufgenommen. Das ab 1928 aktive Berliner A-capella-Sextett Comedian Harmonists sang bis zur Vertreibung der drei jüdischen Mitglieder aus Nazi-Deutschland das Lied gemeinsam – und ging mit den ersten verbrieften Plattenaufnahmen des Volksliedes in die Geschichte ein. Doch zeitgleich hat man das Lied, das seit dem Ersten Weltkrieg und bis heute beim Ausrücken von Soldaten oder Marinebooten gespielt wird, zur zynischen Verhöhnung jüdischer Menschen und Regimegegner eingesetzt. In der süddeutschen Stadt Offenburg wurden im Jahr 1938 beispielsweise Jüdinnen*Juden bei ihrem Abtransport ins KZ Dachau gezwungen, auf der Strecke zum Bahnhof die abgewandelten Zeilen „Wenn i komm, wenn i komm, wenn i nie wieder komm" zu intonieren.

Ob den Machern von G.I. Blues diese historischen Zusammenhänge bewusst waren, als sie den im österreichischen Burgenland geborenen und in die USA geflohenen jüdischen Schauspieler Ludwig Stössel für die Rolle als Puppenspieler in der eingangs geschilderten Szene engagierten? Vielleicht nicht – aber dass Stössel hier in seinem allerletzten Filmauftritt mit seinem Quetschkasten den Takt für das Lied eines (schauspielernden und echten) US-Soldaten und Superstars vorgibt, ist in jedem Fall ein klares Signal dafür, wer von nun an die Deutungshoheit über den Titel haben sollte.
 

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