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Ein schwindender Euphrat: Öffentlichen Raum für Umweltkunst in Mosul und Anbar schaffen

Mehrere Personen mit Masken aus Abfall bei einer Straßenaktion
© Goethe-Institut e.V. / Youssef Ali Mohamad

In Mosul und der weiteren Region Anbar mit Städten wie Hit, Ramadi und Falluja gibt es eine aktive Zivilgesellschaft, die sich aus künstlerischer Perspektive mit Umweltthemen auseinandersetzt. Sie zeigen Präsenz zum Thema Umwelt in einem Nachkriegskontext, in dem der öffentliche Raum fast ausschließlich von Militär und Sicherheitskräften dominiert ist. Das zeugt von Mut und einem neuen Verantwortungsgefühl für Umwelt und Natur.

Von Schluwa Sama

Von Null beginnen


Ayub Thanun, Gründer der Umweltgruppe Green Art in Mosul, erzählt über die Anfänge seines Aktivismus in Mosul: „Nach dem Krieg gegen den IS und dem Leid, das wir erfahren haben, habe ich mit großem Schmerz realisiert, wie sehr unsere Stadt und ihr kulturelles Erbe zerstört wurden und was für schädliche Folgen dies hatte. Keiner in der Politik hat Verantwortung für Mosul übernommen“. Mit Green Art, einem Projekt, das über das Guan Eden-Programm des Goethe-Instituts Irak unterstützt wird, wird begonnen verschiedene Aktivitäten im öffentlichen Raum Mosuls, darunter auch Musikkonzerte, zu organisieren: „Zunächst war das ungewöhnlich für die Bewohner*innen, aber sie haben es mehr und mehr angenommen. „Über die Konzerte konnten wir auch das Umweltbewusstsein der Menschen in Mosul stärken“, erklärt Ayub. Dabei unterscheiden sich musikalische Auftritte im öffentlichen Raum von den sonst üblichen klassischen Konzerten, die auf ein bestimmtes, geschlossenes Publikum ausgerichtet sind. Die Musikkonzerte im öffentlichen Raum bringen nicht nur Menschen zusammen, die sonst keinen Zugang zu dieser Art von Musik haben, sondern das Publikum kommt darüber hinaus auch mit den Mitgliedern von Green Art ins Gespräch. Über diese Gespräche wird dann Umwelt als zentrales Thema angesprochen.

Mehrere Personen mit Masken aus Abfall bei einer Straßenaktion © Goethe-Institut e.V. / Youssef Ali Mohamad


Auch die Freunde des Euphrats, ein Netzwerk aus Künstler*innen in der Region Anbar, erzählen über ihre künstlerische Herangehensweise an das Thema Umwelt. Nach einem ihrer ersten Guan Eden-Workshops hat sich die Gruppe direkt daran gemacht unterschiedliche Materialien und Gegenstände, die in ihrer Region zunächst als Schrott gesehen wurden, künstlerisch zu verarbeiten und zu recyceln. „Wir haben angefangen aus Ölfässern, Reifen und Palmen Tische herzustellen. Die Leute waren erstaunt, dass wir aus Müll etwas Sinnvolles herstellen können“, erzählt Ahmed von den Freunden des Euphrats.

Die Jugend ansprechen


Eine wichtige Zielgruppe beim Thema künstlerischer Umweltaktivismus sind Jugendliche und vor allem Schüler*innen. Dabei wird vor allem versucht, das Bildungsministerium anzusprechen, um nach deren Unterstützung für die Arbeit an Schulen zu bitten. Dies gelingt laut Mahmud, ebenfalls aktiv bei den Freunden des Euphrats, mittlerweile sehr gut. Es werden Workshops in Schulen gegeben, während derer das Umweltbewusstsein der Schüler*innen gestärkt wird. Dabei geht es zum Beispiel um die umweltschädliche Rolle von Plastik und wie Plastik ökologisch entsorgt werden kann.

Ein weiterer Weg Jugendliche für Umwelt zu begeistern aber auch, sich selbst künstlerisch auszudrücken, sieht Ahmed in der Rap-Musik. Unter seinem Künstlernamen, Mr. Sparky verfasst und dreht er das Musikvideo zum Rap Song „Hela Ya Romane“, wörtlich „Oh Granatapfel“: „Als ich jung war, wusste ich nicht, was Rap ist, aber ich habe viele westliche Kassetten gehört. Später habe ich mehr dazu gelernt und gesehen, dass du im Rap anders als in Gedichten viel freier bist und dich nicht an eine bestimmte Form halten musst. Außerdem kann ich die Sprache der Straße benutzen und das tatsächliche Alltagsleben ansprechen. Rap ist näher an der Jugend und unserer Generation dran.“

Krieg und Folgen für die Umwelt: Falluja und ein schwindender Euphrat


Der Aktivismus von Ayub, Ahmed und Mahmud muss dabei in ihrem besonderen Nachkriegskontext verstanden werden. Die verschiedenen Kriege haben besonders in einer Stadt wie Falluja, die vor allem im Kontext der US-Invasion 2003 mit uraniumhaltiger Munition beschossen wurde, nicht nur katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf die Menschen. Aufgrund einer Strahlenbelastung, die 20-mal höher als der Normwert ist, zeigen Studien, dass die Krebsrate und die Rate von Missbildungen bei Kindern in Städten wie Falluja erhöht sind. 2014 hat die Region in Anbar mit dem Krieg gegen den IS weitere Bombardierungen erleiden müssen.

Zusätzlich zur Strahlenbelastung, erzählt Mahmud, ist auch das biologische Leben im Euphrat fast tot. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Türkei und der Iran über den Bau von Staudämmen nur noch einen Bruchteil des Wassers durchlaufen lassen. Zum anderen gibt es petrochemische Fabriken, deren Müll im Wasser landet, ohne dass es hier eine staatliche Regulierung gibt. Dabei bedeutet Wasser Leben, so Mahmud: „Diese Flüsse waren sehr wichtig und eine Basis für die verschiedensten Zivilisationen der Vergangenheit. Als Zivilgesellschaft haben wir das verstanden und auch mehr erreicht als staatliche Stellen“.

Kinder gießen einen vertikalen Garten aus recycelten Plastikflaschen © Goethe-Institut e.V. / Youssef Ali Mohamad

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So ist die Gruppe Freunde des Euphrats sichtbar im öffentlichen Raum und redet mit den Menschen in Cafés, die am Fluss gelegen sind, darüber, was passiert, wenn mehr und mehr Müll im Wasser landet.

Es geht dabei nicht nur um dieses Wissen zu Umweltschäden, sondern auch um die persönlichen Verbindungen, die hier aufgebaut werden. Diese Verbindungen und der öffentliche Einsatz für die Umwelt wird auch in der Region in Anbar, vor allem in Hit und Ramadi, in Form von Musik und Theaterstücken erreicht. Dabei werden zum einen Menschen angezogen und zum anderen wird durch die künstlerische Behandlung von Umweltthemen ein größeres Bewusstsein geschaffen.

Verantwortung übernehmen


Diese Verantwortung für die eigene Stadt und Region zu übernehmen ist wichtig, besonders in einem Kontext, wo der Staat die öffentlichen Belange der Stadt und Region vernachlässigt. So erzählt Ayub wie schwer es ist, Genehmigungen für ihre Aktivitäten in der Stadt zu bekommen, sei es auch nur für die Reinigung von öffentlichen Plätzen. All diese Fragen sind Verantwortungen, die traditionell der Staat übernimmt. Präsent ist der Staat im öffentlichen Raum jedoch überwiegend in Form verschiedener Sicherheitskräfte und militärischen Personals. Dies hat sich besonders nach dem Krieg gegen den IS verstärkt.

Umso wichtiger ist es also, dass zivilgesellschaftliche Initiativen nicht nur das Umweltbewusstsein über öffentliche, künstlerische Darstellungen stärken, sondern damit auch Beziehungen und Netzwerke des Vertrauens gründen, um gegenseitige Verantwortung für Umweltfragen zu schaffen. Dazu gehört zum Beispiel eine erfolgreiche Kooperation mit Bäckereien in der Region, in denen nun anstatt von Plastiktüten Tüten aus Papier benutzt werden. Der künstlerische Umweltaktivismus erreicht hier zum einen, dass ein breites Publikum über Kunst angezogen wird und zum anderen, dass die Akzeptanz für umweltfreundliche Praktiken in der Gesellschaft steigt und zudem Jugendliche ihre Lebensrealitäten, die stark durch Umweltschädlichkeit beeinträchtig ist, künstlerisch ausdrücken können.

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