Aldona Gustas
Berliner Malerpoeten

Aldona Gustas
Aldona Gustas | Foto: John Colton, Browse Gallery

Die Berliner Malerpoeten sind einzigartig für Berlin und auch international eine ungewöhnliche Künstlergruppierung, denn sie versammelt mehr als ein Dutzend „Doppelbegabungen“: Vierzehn malende Schriftsteller und schreibende Maler. Darunter finden sich weltberühmte Persönlichkeiten. Initiiert und organisiert wurde die Gruppe von ihrem einzigen weiblichen Mitglied, der in Litauen geborenen Malerpoetin Aldona Gustas.
 

Mit ihrer Verbindung von Malerei, Zeichenkunst und Text führten die Malerpoeten wesentliche Momente der avantgardistischen Moderne der Vorkriegszeit fort, die sich im Expressionismus, im Kubismus, Dadaismus und Surrealismus zuerst Bahn schlugen und deren Spuren auch in den Werken der Berliner Malerpoeten deutlich sichtbar werden.

Günter Grass © Browse Gallery Im Juni/Juli 2016 präsentierte die Browse Gallery eine Ausstellung der Berliner Malerpoeten im Rathaus Wiesbaden. Im März 2017 wird eine größere Ausstellung der Berliner Malerpoeten und ihrer Gründerin Aldona Gustas begleitend zur Buchmesse in Leipzig  zu sehen sein. Die Ausstellung soll den Blick öffnen auf die Bildermächtigkeit der „wilden Vierzehn“. Zu sehen sind neben farbenfrohen Ölbildern des „Malers der Liebe“, Kurt Mühlenhaupt, episch großformatigen Aquarellen Karl Oppermanns und meisterlichen Buntstift-Gemälden von Friedrich-Schröder-Sonnenstern vor allem grafische Arbeiten der „Dichter-Künstler“: z.B. Kaltnadelradierungen aus dem umfangreichen zeichnerischen Werk des Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass, Holzschnitte der Kreuzberger Dichter und Gründers der zinke (Berlins erste Künstlergalerie der Nachkriegszeit), Günter Bruno Fuchs und Robert Wolfgang Schnell, fein ziselierte  Miniaturen aus Bildformen und Textversatzstücken des genialen, rumänischen Wortakrobaten Oskar Pastior, traumartig surrealistisch anmutende Zeichnungen von Christoph Meckel, tanzende druckgrafische Abstraktionen des Literaten Joachim Uhlmann, oder mit wenigen geschwungenen Linien entworfene erotische Fantasien der Lyrikerin Aldona Gustas.

Ein Schema für das Zusammenspiel von Bild und Wort im Werk der einzelnen Künstler gibt es nicht. Sie nahmen sich einfach die Freiheit, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Je nach Sujet, Hintergrund, Talent und Temperament der Persönlichkeiten fand dieses ganz unterschiedliche Ausprägungen.

Auch wenn Aldona Gustas sich selbst am liebsten einfach als Kollegin sah, wurde sie nicht ganz zu Unrecht oft als Mutter der Berliner Malerpoeten bezeichnet. Aber Aldona Gustas hat nicht nur ein Herz wie ein Herkules (Titel einer ihrer zahlreichen Lyrikbände), das sie aufs Innigste mit den 13 von ihr zusammengerufenen Künstlern verband und verbindet. Sie war eindeutig auch Dirigentin dieses Orchesters von „Hardcore Individualisten“ oder gar Generalin, die ihre, wie sie sagt, Kunstsoldaten auf Linie brachte - vom exzentrischen Genie Friedrich Schröder-Sonnenstern bis zum Mega-Literaturstar Günter Grass.

Robert Wolfgang Schnell. Fröhlicher Fremder Robert Wolfgang Schnell. Fröhlicher Fremder | Foto: Browse Gallery Jenseits ihres eigenen umfangreichen und noch viel zu wenig bekannten künstlerischen und literarischen Werkes (über 100 Veröffentlichungen), sind die Berliner Malerpoeten das größte Vermächtnis, der heute 84 jährigen Aldona Gustas, die sich Zeit ihres Lebens für Frauen in der Kunst stark machte und deren literarische und zeichnerische Werke häufig um die Themen weiblicher Identität, Liebe und Erotik kreisen.
Mit Hilfe des Goethe-Instituts  machte sie die Berliner Malerpoeten erfolgreich im Ausland bekannt, initiierte Ausstellungen in westeuropäischen und südamerikanischen Städte wie Brüssel, Caracas, Medellin, Buenos Aires, Rom, Nancy, Straßburg, Bordeaux u.a.

Malerei und Literatur zu verbinden lag damals nicht unbedingt im Mainstream des Kunstbetriebs. Auch die Gegenständlichkeit vieler bildnerischer Arbeiten der Malerpoeten stand quer zum damaligen Zeitgeist.

Davon ließen sich weder Aldona Gustas noch die anderen Malerpoeten beirren. Bereits seit Ende der 50er Jahre hatten zahlreiche Mitglieder der späteren Berliner Malerpoeten wie Fuchs, Schnell, Grass, Mühlenhaupt und Schröder-Sonnenstern mit der Gründung der Szenekneipe zinke und ähnlichen Projekten Literatur und Malerei selbstverständlich zusammengebracht, insistierten  konsequent auf ihrer künstlerischen Individualität und Unabhängigkeit, jenseits des Mainstreams.

Dem kruden Diktum des Sozialistischen Realismus ebenso Verachtung schenkend wie den „Nivellierungstendenzen des internationalen Einheitsindividualismus (Eberhard Roters, ehem.Leiter der Berlinischen Galerie), wollten sie eine Art Kunst zeigen... deren Erlebnis ins Phantastische, Realistische, Ironische, Traumhafte, in eine Welt gelebten Friedens führte, fern von äußerlicher Polemik … Wir suchten das Bildhafte und bunt Erzählerische, das auch den ausgestellten Bildern die besondere anti-modische Note gab.“ (Robert Wolfgang Schnell)

Anti-modisch waren sie und modern. Denn „Das Signum der Moderne ist die Vielseitigkeit des Künstlers, auch wenn das heute angesichts vermehrter Kunstmarktkunst gern übersehen wird.“ (Michael Glasmeier in Künstlerpublikationen, Schriftenreihe Band 6, Künstler schreiben)

Entstehung und Ausdruck der Gruppe verdanken sich dem damaligen „Inseldasein West-Berlins“ (Aldona Gustas) und einer demokratischen (Underground-)Kultur der Vielfalt und Toleranz. Diese ließ die Stadt zum Fluchtpunkt für all jene werden, die, wie die Malerpoeten als Generation Kriegs- und Diktaturerfahrung (vor 1945, und im Fall von Pastior und Loewe, auch nach 1945) teilten und in West-Berlin einen besonderen Freiraum für individuellen künstlerischen Ausdruck, literarische Inspiration und gemeinschaftlich frohsinnige Performance fanden.
                                                                                                                                                                       
Zweifellos sind die Berliner Malerpoeten eine Blüte West-Berliner Kultur der Nachkriegszeit.
Diese (neu) zu entdecken und ihr Erbe eines kompromisslos freiheitlichen, modernen Kunstschaffens und vielfältiger grenzüberschreitender Kulturpraxis zu feiern, ist Ziel der Ausstellung in Leipzig.

Kuratiert wird die Ausstellung von John Colton, Browse Gallery. Die Realisierung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Litauen.