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Bauhaus: Meisterhäuser in Dessau
Wonniges Wohnen im Kubus: Lyonel Feiningers Meisterhaus in Dessau

Dessau. Haus Moholy-Nagy/Feininger, Meisterhaussiedlung, Ebertallee, Dessau, Sachsen-Anhalt, Deutschland
Dessau. Haus Moholy-Nagy/Feininger, Meisterhaussiedlung, Ebertallee, Dessau, Sachsen-Anhalt, Deutschland | Foto (Detail): Schoening; © picture alliance / imageBROKER

„Ich sitze auf unserer Terrasse, die einfach wonnig ist.“ So schrieb Lyonel Feininger 1926 an seine Frau Julia, kurz nach dem Einzug in eine Doppelhaushälfte, die zum Inbegriff der modernen, kubistischen und funktionalen Bauhaus-Architektur wurde. Der Maler, Grafiker und Bauhausmeister fand hier zwischen Licht, Geometrie und Natur ein Refugium, das seine Kunst und sein Familienleben prägte.

Von Nadine Berghausen

Nachdem das Bauhaus 1926 seinen Gründungsort Weimar verlassen und nach Dessau umsiedelte, verhandelte Bauhausdirektor und Gründer Walter Gropius mit der Stadt nicht nur die Finanzierung eines Schulgebäudes, sondern auch eine Reihe von Wohnhäusern für die Bauhausmeister – die sogenannten Meisterhäuser. Diese setzten sich zusammen aus einem Einzelhaus für Gropius und drei Doppelhäusern, die sich jeweils László Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, Georg Muche und Oskar Schlemmer sowie Paul Klee und Wassily Kandinsky teilten. In unmittelbarer Nähe befand sich eine Trinkhalle, entworfen vom Bauhausarchitekten Ludwig Mies van der Rohe.

Die weiße, kubistische Architektur knüpfte an die Idee eines Baukastens an. Eine Hälfte eines jeden Meisterhauses war das um 90 Grad gedrehte Spiegelbild der anderen, wobei jeweils eine Hälfte etwas größer war. So konnten gleiche Bauteile verwendet werden, ohne Monotonie zu erzeugen. Zwischen hohen Kiefern gelegen, wirkt die Anlage wie eine moderne Waldsiedlung – naturverbunden und zugleich klar strukturiert.

Eine dieser Doppelhaushälften in der damaligen Burgkühnauer Allee 3, heute Ebertallee, bezog der deutsch-amerikanische Maler und Grafiker Feininger mit seiner Familie. Sowohl seine Frau Julia als auch seine Söhne waren in unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen aktiv. Die Söhne Theodor Lux und Andreas widmeten sich der Fotografie und Malerei, Ehefrau Julia arbeitete als Malerin und entwarf unter anderem Puppen für die Bühnenwerkstatt des Bauhauses. Fotografien der Söhne vom Leben der Familie im Haus dokumentieren eine herzliche, lebendige Atmosphäre – familiär, lebensfroh, aber stets vom künstlerischen Arbeiten geprägt. Neben dem Atelier spielte auch das Musikzimmer eine wichtige Rolle: Der leidenschaftliche Klavierspieler Feininger verbrachte dort viele Stunden am Flügel.

Schaufenster modernen Wohnens

Seine anfängliche Skepsis gegenüber der kubistischen Architektur mit ihrer strengen Symmetrie legte Feininger schon bald ab. In einem weiteren Brief schrieb er begeistert:
„Es ist zu schön hier! Zu jeder Tageszeit ist ein anderes Erlebnis mit dem Licht, dem Stand der Sonne draußen auf den Terrassen […]. Auf dem langen Balkon des Südzimmers kann man in der Frühsonne spazieren gehen wie auf dem Promenadendeck eines Ozeandampfers.“

Feininger verkörperte das romantische Bild des zurückgezogenen Künstlers. Obwohl er die lichtdurchflutete Architektur mit ihren großflächigen Fenstern und Glasbändern entlang des Treppenhauses schätzte, sah er auch die Schattenseiten. Der wachsende Ruhm der Bauhaussiedlung zog immer mehr Besucher an – sehr zum Ärger des Künstlers:
„Der Sonntag ist mir ein gefürchteter Tag schon ohnehin, aber diese Menschen, die unablässig von früh bis spät vorbeischlendern und vor unseren Häusern glotzend stehen bleiben!“

Dem ordnungsliebenden Künstler, der als einziger seiner Nachbarn nicht mehr aktiv am Bauhaus lehrte, gefiel der Stil des Hauses mit seinen, wie er sagte, nur noch „lockeren, eher atmosphärisch zu bestimmenden Relationen“ zum Bauhaus. Feininger nahm die reduzierte Architektur an, ergänzte sie aber durch persönliche Akzente, die nicht immer dem Bauhaus-Ideal entsprachen. Erhaltene Fotografien zeigen opulente Sessel und Perserteppiche, kombiniert mit Möbeln, die Bauhaus-Kollegen entworfen hatten.

Im Vergleich zu seinen Nachbarn war Feiningers Individualität jedoch zurückhaltender ausgeprägt. Das Feininger-Haus wirkte trotz eigenwilliger Details als Prototyp des Neuen Bauens – ruhig, fast abstrakt. Verspielter, vor allem im Umgang mit Farbe, waren dagegen die Häuser von Kandinsky und Klee. Klee mischte Pigmente für seine Wandfarben selbst, während Kandinsky Farben nach musikalischen Prinzipien auswählte. So nutzten die Meister ihre Räume auf individuelle Weise und prägten damit den Charakter der Häuser im Inneren.

Künstlerkommune im Widerspruch zum Bauhausstil

Obwohl Gropius betonte, die Meisterhäuser seien keine Paläste, sondern Lebensräume, offenbart die Anlage doch einen Widerspruch: zwischen der Idee einer unprätentiösen, schmucklosen Architektur und der künstlerisch geprägten, teils luxuriösen Inneneinrichtung ihrer Bewohner. 

Die Meisterhäuser verkörpern weniger das Konzept des Reihenhauses als vielmehr den Typus einer modernen Villa – mit großzügigen Ateliers und Räumen für Dienstmädchen oder Hausmeister. Typische Bauelemente nach den Grundsätzen von Gropius fanden sich eher in der zeitgleich errichteten Siedlung Dessau-Törten.

Nur sechs Jahre lang – von 1926 bis 1932 – lebte die Familie Feininger in Dessau. Danach wurde das Haus wie viele andere Meisterhäuser zweckentfremdet, im Krieg beschädigt und erst Jahrzehnte später restauriert. Heute gilt es als Musterbeispiel des modernen Wohnens im Geist des Bauhauses – und zugleich als Ausdruck persönlicher Freiheit innerhalb eines klaren Systems.

Feiningers Haus bleibt in seiner stillen Strenge und zugleich wohnlichen Wärme ein Symbol für das Spannungsfeld zwischen Funktion und Gefühl, zwischen Konstruktivität und künstlerischer Individualität – ein Ort, an dem die Idee des Bauhauses menschliche Gestalt annahm.
 

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