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Künstliche Intelligenz
Kunst und KI – eine Künstlerin über ihre Arbeitsbeziehung zu Künstlicher Intelligenz

Vorschau aus The Martian Word for World is Mother, HD-Video, Werk in Arbeit, Bild mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.
© Alice Bucknell

Im September 2021 verbrachte Alice Bucknell einige Wochen in Riga und begann dort die Arbeit an ihrem Projekt The Martian Word for World is Mother. Die Besonderheit an ihrer Residenz: Sie arbeitete mit einer künstlichen Intelligenz zusammen.

Von Pauline Lantermann

An welchem Projekt hast du während deiner Residenz in Riga gearbeitet?

Derzeit arbeite ich an The Martian Word for World is Mother, ein Filmprojekt das Methoden aus der Science-Fiction, spekulativer Biologie, 3D Worldbuilding, textgenerierender KI und zeitgenössische, architektonische Visionen für die Besiedlung des Planeten Mars verbindet.

 

Ist dies das erste Projekt, bei dem du textgenerierende Künstliche Intelligenz verwendest? Was hat zu der Entscheidung geführt, die Technologie auszuprobieren?

Tatsächlich erhielt ich Beta-Zugriff auf GPT-3 – ein sehr leistungsstarkes „Neutral Net“, welches von Open AI entwickelt wurde, einer Firma, die aus dem Silicon Valley stammt. Die KI wurde mit sämtlichen digitalisierten Büchern und Texten trainiert, die bis 2017 im Internet verfügbar waren, und ist somit die leistungsstärkste KI, die bis jetzt entwickelt wurde -  damit arbeite ich auch an meinem laufenden Projekt New Mystics.

Bei New Mystics handelt es sich um ein Experiment für das gemeinsame Schreiben mit einer KI, das aus einer Kollaboration von 12 Künstler*innen entstanden ist, deren Tätigkeiten Magie und Technologie miteinander verbinden.
Es setzt Künstliche Intelligenz als eine Art Orakel ein und ist auch von der surrealen Logik der Autopoesie inspiriert.
Es war wirklich aufschlussreich so eng mit GPT-3 zusammenzuarbeiten und die KI als einen kreativen Mitschöpfer zu sehen, statt eines Arbeitsgerätes. Ich habe mit einem Python-Guru zusammengearbeitet um die Kreativität der KI zu erweitern und habe außerdem ein paar Regeln in Bezug auf die Textlänge der Antworten gebrochen – gelegentlich überdehnte ich das empfohlene Wortlimit von 200 Wörtern zu über 2000 – und da wurde es dann magisch.

Mein Interesse an der Arbeit mit textgenerierender KI begann mit dem Lesen des großartigen Pharmako-KI-Texts von K. Allado-McDowell, welcher Anfang 2021 von Ignota Books veröffentlicht wurde. Dabei handelt es sich um das erste Experiment, an dem GPT-3 mitgeschrieben hat. Ich war fasziniert von der Beziehung zwischen Autor*in und der Technologie, aber auch davon wie die KI Allado-McDowells Denken und den Einsatz der Technik beeinflusste. Diese symbiotische Beziehung hat mich definitiv dazu inspiriert, selber ein wenig herumzuprobieren und zu erforschen.

Ich benutze GPT-3 auch in The Martian Word for World is Mother, aber ich werde noch einen Schritt weitergehen und eine eigene Sprache für den Mars entwickeln, indem ich einen Natural Language Processor (Natürlichen Sprach-Prozessor) programmiere. Die Basis dafür bilden schottisches Gälisch, ein marsianisches Alphabet, welches im 19. Jahrhundert von einem französischen Mystiker entwickelt wurde, und Laute, die von GPT-3 produziert wurden, um sich vorzustellen wie die marsianische Sprache klingen würde. Unter anderem soll das Projekt die unerwartete (aber jahrhundertealte) Verbindung zwischen Schottland und dem Mars zu Tage bringen.
 

Wie würdest du sagen ist die Arbeitsbeziehung zwischen dir und dem Algorithmus, den du nutzt? Ist der Algorithmus ein Werkzeug, das du schwingst, oder ein gleichberechtigter Partner, der dich deine eigenen Herangehensweisen überdenken lässt und neue Einflüsse einbringt?

Definitiv eine Zusammenarbeit – meine Grundhaltung zum Thema KI ist vor allem daran interessiert, Künstliche Intelligenz und die Arbeit mit der Technologie auf horizontaler Ebene zu betrachten. Was können wir Seite an Seite kreieren, wenn wir KIs nicht dazu nutzen, eine menschenorientierte Aufgabe zu erfüllen, sondern stattdessen ein alternatives Bewusstsein dafür entwickeln, diese Welt – und die kommenden Welten – zu betrachten?
 

Die Diskussion über die Rolle der KI in der Kunst taucht immer wieder auf, vor allem da die beiden Bereiche immer enger miteinander verknüpft werden. Es gibt Leute, die sagen, dass die Werke von einer KI niemals als Kunst zählen können, da die Seele und das Bewusstsein hinter der Kreation fehlen. Wie siehst du das? Handelt es sich dabei um Ausrufe menschlicher Eitelkeit, die mit der Angst davor zusammenhängen, von einer Maschine ersetzt zu werden?

Ich glaube fest daran, dass KI eine zentrale Rolle in den aufkommenden künstlerischen Praktiken spielen muss; ich glaube allerdings nicht an ein antagonistisches oder polarisiertes Verständnis davon, was Künstliche Intelligenz ist und was sie tun kann. Für mich sind gerade die Projekte am ergiebigsten, bei denen KI als ein Mitarbeiter und nicht etwa als alleiniger Erzeuger eingesetzt wird. Meiner persönlichen Ansicht nach ist beispielsweise ein Gemälde, das von einer KI erschaffen wurde, weniger ideologisch wertvoll als eine Welt, die aus der Fusion von KI und menschlicher Einbildungskraft entstanden ist. Ich glaube Künstler*innen wie Jenna Sutela, Zach Blas, Ian Cheng und Rashaad Newsome, die auf ähnlich gleichberechtigte Weise mit KI zusammenarbeiten, haben bereits viel dafür getan, ein solches Arbeitsverhältnis zu etablieren; eine Praxis, die nicht auf einer „Wir gegen Die“-Mentalität aufbaut, sondern stattdessen die Räume zwischen Mensch und Maschine als eine Chance auf eine Zusammenarbeit in völlig neuen Formen wahrnimmt.
In früheren Projekten, so wie Swamp City, hast du menschliche Dekadenz mit den apokalyptischen Konsequenzen des Klimawandels kontrastiert – ist das noch spekulative Fiktion oder ziehst du deine Inspiration bereits aus der Gegenwart?
Ich komme aus Florida, wo einige der heftigsten Folgen der Klimakrise schon spürbar sind – acht Millionen Einwohner*innen, etwa ein Drittel der Bevölkerung des Bundesstaats, leiden bereits unter dem Zusammenwirken von Küstenerosion, verschmutztem Trinkwasser, extremeren Wirbelstürmen, Fluten und schwindender Artenvielfalt. Gleichzeitig verfügt Florida über die zwei größten Tourismus- und Immobilienmärkte des Landes.

Miami ist ganz besonders apokalyptisch: dort werden jedes Jahr Milliarden in spekulative Hochhäuser und luxuriöse Immobilienprojekte gepumpt, obwohl ein Fünftel der Bevölkerung durch die Klimakrise voraussichtlich seine Häuser und Wohnungen verlieren wird – schon bis zum Jahr 2050.
Wie wir in der relativ kurzen Zeit der Pandemie gesehen haben, und wie wir mit der Zunahme der Erderwärmung in den kommenden Jahrzehnten sehen werden, verstärken Krisen Ungerechtigkeit und treffen all jene am härtesten, die sich ohnehin in der schutzlosesten Situation befinden.
 
In Swamp City wollte ich die Aufmerksamkeit auf die Methoden lenken, die die Luxusimmobilienmärkte und die Tourismusbranche in dem Versuch verwenden, die Klimakrise zu vertuschen und ich wollte mir eine nahe Zukunft vorstellen, in welcher der Großteil der USA ausgelöscht wurde – LA brennt, New York liegt unter Wasser und die Florida Everglades sind zu einem unerwarteten Verkaufsargument des Marktes geworden, da man hier zur „reinen“ Natur zurückkehren kann. Das Projekt sollte die Grenze zwischen dem Spekulativen und der Realität verwischen; es nimmt Referenz zu einer Reihe von zeitgenössischen Gebäuden mit Wiedererkennungswert, Firmen, Architekt*innen und umweltwissenschaftlichen Theorien – von Disney World über Everglades-mäßige Flugboottouren in dem Aufbau seiner Erzählung. Durch das Schaffen eines glaubhaften und vertrauten Zukunftsnarratives betont das Projekt die Notwendigkeit unseres sofortigen Handelns.



Die Prämisse deines Projekts baut auf Ereignissen unserer Gegenwart auf – der privatisierte Wettlauf ins All, Weltraumtourismus der von Milliardären betrieben wird und die Vision von einem Leben auf dem Mars. Träume von der Kolonialisierung des Weltraums gibt es seit Jahrzehnten – was ist deiner Meinung nach der größte Antrieb hinter diesen Ambitionen? Und hat er sich über die Jahre verändert?

Die Ambition war immer zweiseitig: existenziell und extraktivistisch. Die Erkundung des Weltraums ist ein Projekt der Wissenserweiterung und der wissenschaftlichen Erforschung, wurde aber auch als geopolitisches Werkzeug benutzt, um die eigene Vorherrschaft auf der Erde geltend zu machen.
Erst in den 70ern löste die Angst vor der exponentiell wachsenden Bevölkerung und schwindenden Ressourcen die Erforschung und das Planen von Kolonien aus – bislang stellte man sich hauptsächlich bewohnte Satelliten vor, die den Mond oder die Erde umkreisen, oder eben ein Leben auf dem Mond. Der Traum, den Mars zu besiedeln, welcher von Milliardären wie Elon Musk und Stararchitekt Bjarke Ingels beflügelt wird, ist sicherlich eine Reaktion auf die Klimakrise und die Anthropozäne Ära, die wir auf der Erde eingeläutet haben – kurzgesagt, es handelt sich um die Jagd auf einen „Planet B“, ein Reservegebiet in das wir fliehen können, wenn die Kacke auf der Erde am Dampfen ist und es keine Möglichkeit mehr gibt, ein Leben auf unserem Ursprungsplaneten zu führen.

Es sind Planungen für neue Mega-Cities auf dem Roten Planeten im Gange, sie sollen für neue irdische Siedler*innen ab 2100 offen sein, mit Tickets, die pro Kopf um die $300,000 kosten. Die implizite Botschaft ist hier natürlich, dass nur eine auserwählte Handvoll, die 1%, auf eine Rakete der Marke Elon Musk hüpfen können und ihr neues post-Erde Leben auf dem erdgeformten Mars beginnen dürfen.
Da nun immer mehr Firmen und sogar Politiker*innen versuchen, einen Anspruch auf die künftige Besiedlung des Mars zu erheben, ist der subtile Trend nicht länger an idealistischer Wissenserweiterung interessiert und hat sich vielmehr in einen post-apokalyptischen Goldrausch um die „Neue Welt“ auf dem Mars entwickelt.

Mein Projekt soll die architektonischen Dimensionen dieser Fantasie kritisieren, aber gleichzeitig alternative Zukünfte für den roten Planeten entwickeln – die Möglichkeit neuer Ökolgien, sofern wir die Kolonialisierung des Mars durch milliardenschwere Weltraum-Machos nicht als gegeben hinnehmen.
Es ist angelehnt an die Magie und den Mystizismus die den Sci-Fi Visionen für den Mars so inhärent ist, so wie beispielsweise in Kim Stanley Robinsons Mars Trilogie; und es versucht auch eine nicht-menschliche, alienesque Ökologie zu konstruieren, welche durch ihre Pilznetzwerke kommuniziert; letzteres in Anlehnung an die ökofeministische Theoretikerin Donna Haraway und ihre Ideen der Chthulucene sowie das Verständnis von Verseuchung und speziesübergreifender Zusammenarbeit der Anthropologin Anna Tsing.

 

Welche Rolle kann Kunst in dem Diskurs um die Klimakrise einnehmen? Kann sie eine Quelle der Hoffnung und des Trosts sein, sollte sie eine didaktische Autorität annehmen, oder einfach nur für sich existieren?

Die Kunst kann definitiv ein Ort sein, an dem man sich realistisch mit der Klimakrise auseinandersetzt, ohne dass es gleich didaktisch oder gar apokalyptisch klingt. Indem wir spekulative Szenarien in der nahen Zukunft entwickeln und dabei Motive aus der Technologie und Ökologie miteinander verschmelzen, können wir den Ernst der aktuellen Situation beleuchten und die Leute hoffentlich dazu inspirieren, entsprechend gemeinsam zu handeln, um gerade die Szenarien zu vermeiden, die wir uns ausmalen. Ich denke, dass es genauso wichtig ist, diese Zukunftsvisionen mit Momenten der Möglichkeit und Hoffnung zu durchsetzen. Darum treten in vielen meiner Projekte nicht-menschliche Akteure auf – Geister, empfindsame Bäume, oder ein intelligenter, außerirdischer Pilz – die uns in unterschiedlichen Sprachen von der Apokalypse erzählen, auf die wir ohnehin zusteuern. Wir würden gut daran tun, die Ratschläge dieser anderen Spezies anzuhören.

 

Wie hast du Riga als einen Schauplatz für dein kreatives Schaffen wahrgenommen?

Rigas Größe war ein großartiger Vorteil, verglichen mit meiner ausladenden Wahlheimat London. Es ist interessant, wie Riga unterschiedliche Disziplinen miteinander verbindet – beispielsweise Kultur, KI Forschung, winzige Brauereien und Botschaften – sie alle überlappen einander in gewissen Teilen der Stadt. Und mir hat es gefallen, wie gut ich mit dem Fahrrad rumgekommen bin. Außerdem hilft es mir immer, mich in eine neue Umgebung einzuleben und gleichzeitig aus meinem Projekt aufzutauchen, um es in den größeren Zusammenhängen meiner Arbeit zu betrachten.

Ich hatte großes Glück, einige interessante Kunstveranstaltung während meines Aufenthalts hier mitzuerleben – die Eröffnung von Survival Kit 12, Homo Novus, und Force[d] Majeure, um nur ein paar zu nennen – bei allen haben sich großartige Gelegenheiten geboten, um sich mit der lokalen Kunstszene in Verbindung zu setzen und verschiedene Bereiche der Stadt kennenzulernen.

KI-Residenz


Alice Bucknell nahm an einer KI-Residenz des Goethe-Instituts teil, welche im Rahmen des Generation A=Algorithmus-Programms ausgerichtet wurde.

Das KI-Residenzprogramm möchte einen Wissensaustausch und –zugewinn auf beiden Seiten ermöglichen. Die mit KI befassten Institutionen und Unternehmen, die europaweit ihre Türen für junge Künstler*innen öffnen, sollen durch das Programm genauso bereichert werden wie die Künstler*innen, die tiefere Einblicke in eine Technik erhalten. Künstliche Intelligenz wird zu einer neuen Revolution in der Menschheitsgeschichte beitragen. Wir müssen entscheiden wie diese Revolution dem Menschen dienen kann statt umgekehrt. Künstlerische Arbeiten, die im Zusammenhang mit der Residenz entstehen, können innovative Lösungen für eine sich im Wandel befindende Gesellschaft präsentieren oder den Einfluss der Technologie auf den Menschen porträtieren.

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