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Medien in Lettland
Qualitätsjournalismus vs. Desinformation

Illustration: Qualitätsjournalismus vs. Desinformation in Lettland
© Goethe-Institut Riga / Sonja Hanbuch

Gehören Journalistinnen und Journalisten in Lettland auf die schwarze Liste derjenigen, die Desinformation fördern? Immer seltener. Die Macht des Enthüllungsjournalismus und die Medienformate beeinflussen auch die Mediennutzung des Publikums.
 

Von Anda Rožukalne

Kommerzialisiert, aber störrisch

Die Liste der Probleme in der lettischen Journalismus- und Medienwelt ist lang. Das lettische Mediensystem hat sich nicht so richtig vom Einbruch während der Wirtschaftskrise 2009 erholt – die Werbeeinnahmen sanken innerhalb eines Jahres um fast 50 %. Der relativ kleine Medienmarkt, das nach Sprachen geteilte Publikum (unterschiedliche Medien für lettisch- und russischsprachige Einwohner-/innen) hat die Qualität des Journalismus beschädigt. Der lettische Journalismus wird als klientelgerichtet und verantwortungslos bezeichnet, da der Eigentümer des Mediums im Vordergrund steht, nicht die Interessen der Gemeinschaft. Der Medieninhalt wird von den politischen Beziehungen beeinflusst.

Bei der Analyse der Haltung von Journalistinnen und Journalisten gegenüber ihrer beruflichen Verantwortung wurden in Lettland drei konkurrierende journalistische Kulturen festgestellt. Die von den russischsprachigen Medien vertretene traditionelle russische Journalismuskultur entspricht nicht den westeuropäischen Prinzipien des Journalismus, da z.B. Nachrichten nicht von Kommentaren getrennt werden. Des Weiteren ist eine instrumentelle und autoritäre (postsowjetische) Journalismuskultur zu erkennen. Diese ist typisch für Medien, die nicht unabhängig sind von Politik und Wirtschaft. Drittens besteht eine professionelle Journalismuskultur, deren Vertreter/-innen hohe Berufsstandards einhalten.

Die Daten der Worlds of Journalism Study (WJS) zeigen, dass Journalistinnen und Journalisten in Lettland sich als neutrale Berichterstattende verstehen. Auch andere berufliche Rollen sind wichtig: Ereignisanalyse, Unterstützung des Meinungsaustauschs, Teilnahme an der Förderung sozialer Veränderungen. Doch die WJS-Daten zeugen auch von der Existenz eines doppelten Standards beim beruflichen Ethikverständnis. Die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, dass Ethikstandards von der individuellen Selbsteinschätzung bestimmt werden, während ein Drittel der Meinung ist, dass ungewöhnliche Umstände Verstöße gegen die Berufsethik rechtfertigen.

Die Indikatoren des Europäischen Medienpluralismus-Monitors (MPM) deuten auf einen großen Einfluss politischer Akteure in den Medien hin. Gleichzeitig haben die Medien in einer komplizierten Marktsituation neue Geschäftsmodelle entdeckt, was die Entwicklung eines hochwertigen Journalismus gefördert hat.

Der Enthüllungsjournalismus gedeiht

Lettland sticht sowohl unter den baltischen als auch den skandinavischen Ländern mit innovativen Projekten im Bereich des Enthüllungsjournalismus hervor. Die lauteste Stimme hat das Zentrum für Enthüllungsjournalismus Re:Baltica, das dessen Praxis verändert hat. Die Tätigkeit von Re:Baltica wird durch Mittel zur Unterstützung eines qualitativen Journalismus finanziert (internationale Fonds, private Spender u.a.), und Studien werden den Medienpartnern kostenlos für eine Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Re:Baltica kann sowohl auf aktuelle Ereignisse reagieren und so zum Beispiel Falschinformationen vor einer Wahl aufdecken als auch zeitintensive Studien über soziale Fragen anbieten wie beispielsweise die Behandlung onkologischer Krankheiten oder die Qualität des Bildungssystems. Kürzlich startete Re:Baltika das Projekt Re:Check, im Rahmen dessen bereits die Aussagen mehrerer öffentlicher Meinungsführer geprüft und Quellen aufgedeckt wurden, die Gerüchte über die Schädlichkeit der 5G-Technologie förderten.

Enthüllungsjournalismus wird auch in den öffentlichen Medien ausgebaut. Die Sendung „de facto“ des Lettischen Fernsehens (LTV) analysiert jede Woche politische Korruption und andere bedeutende Vorfälle. Die LTV-Sendung „Aizliegtais paņēmiens“ (Verbotenes Manöver) pflegt seit 2013 ein einmaliges Format – sie basiert auf Experimenten von Journalisten und Journalistinnen. Als Tellerwäscher/-innen und junge Unternehmer/-innen deckten diese in der Sendung bereits die Hintergründe verschiedener Prozesse auf und entlarvten sowohl Steuerhinterzier/-innen und Korruptionshelfer/-innen als auch Instagram-Influencer/-innen.

Unter den Projekten des Lettischen Radio (LR) zum Enthüllungsjournalismus wiederum muss „Sistēmas bērni“ (Kinder des Systems) genannt werden, dessen Ziel es ist, Probleme bei der Betreuung von elternlosen Kindern aufzudecken. Über mehrere Jahre konnte das Journalistenteam des LR die Politik und gesetzliche Regulierung in diesem Bereich beeinflussen.

Der Einfluss des Fonds für Medienunterstützung

Auch in anderen Medien sind regelmäßig bedeutende Enthüllungsjournalismus-Arbeiten zu lesen, zum Beispiel in der wöchentlichen Zeitschrift „Ir“ und dem Nachrichtenportal „Delfi“. Ein Teil dieser Inhalte wäre ohne die Finanzierung des Fonds für Medienunterstützung (MAF) nicht realisierbar.

Angesichts dessen, dass marktwirtschaftliche Faktoren in einer kleinen und fragmentierten Medienumgebung einen hochwertigen Journalismus eher behindern als fördern, sahen die Grundsätze der Medienpolitik Lettlands die Gründung des MAF zur Förderung nichtkommerzieller, gesellschaftlich wichtiger Medieninhalte vor. Der Fonds wird aus dem Staatshaushalt finanziert und unterstützt durch seine Programme qualitativen Journalismus in nationalen und regionalen Medien. Seit 2017 werden jedes Jahr über 1 Million Euro an Medien verteilt, die Formate in den Bereichen Enthüllungsjournalismus und Medienkompetenz planen und gegen Desinformation vorgehen. Die analytische Sendung „Melu teorija“ (Lügentheorie) von TV3 ist eine derjenigen, die mit der Unterstützung des MAF Beispiele für nationale und internationale Desinformation analysieren.

Nebeneffekte von Desinformation

Obwohl die meisten Bedenken in der Politik mit dem Einfluss russischer Propaganda auf die Informationslandschaft verbunden sind, gibt es auch in Lettland örtliche Kommunikationskanäle, die Falschinformationen verbreiten. Am bekanntesten sind die „Fake News“-Portale und „Klickfänger“, die Re:Baltica aufgedeckt hat. Als die Portale falsche „Nachrichten“ über einen eingestürzten Supermarkt veröffentlichten, wurde nach Möglichkeiten gesucht, solche Tätigkeiten gesetzlich einzudämmen. Dieses Beispiel deckte einer Gesellschaft, die den tragischen Einsturz des Supermarkts Maxima nicht vergessen hat, den Zynismus der „Klickfänger“ dieser Webseiten auf. Vor einem Jahr nahm die Polizei die Betreiber der „Fake News“-Portale fest und 2019 wurde ein Strafprozess eingeleitet aufgrund von Informationsverbreitung mit Einfluss auf die öffentliche Sicherheit, aufgrund derer „die Arbeit mehrerer Unternehmen und staatlicher Behörden, die für ein Eingreifen in Notfällen zuständig sind, beeinträchtigt wurde.“

Informationsstörungen werden auch von Portalen hervorgerufen, die ihrer Struktur nach Medien ähnlich sind, aber möglicherweise Informationen veröffentlichen, die für politische oder unternehmerische Interessen wichtig sind. In der akademischen Sprache bezeichnet man solche Portale als der instrumentellen Medienkultur zugehörig; Leser und Leserinnen können diese an den boshaften Angriffen auf Personen und der Herausgabe vertraulicher Informationen erkennen, deren Veröffentlichung häufig mit aktuellen politischen Konflikten einhergeht.

Zum Schutz der freien Meinungsäußerung ist die Existenz solcher Portale legitim. Problematisch ist die Durchsichtigkeit und Ethik ihrer Tätigkeiten. Aus diesem Grund ist das Bewusstsein des Publikums für die Bedeutung von professionellem Journalismus wesentlich. Seit dem Beginn dieses Jahrhunderts zeugt die Mediennutzung des lettischen Publikums davon, dass Unterhaltung am wichtigsten ist, denn der Konsum ernsthafter Informationen hat abgenommen. Zunehmende kulturelle und gesellschaftlich-politische Inhalte, Enthüllungsjournalismus sowie eine stabile berufliche Qualität haben diese Situation verändert. Obwohl nur 51 % der Bevölkerung den Medien vertrauen, hat die Nutzung der öffentlichen Medien in letzter Zeit zugenommen. 2019 war LTV erstmals nach vielen Jahren der am meisten gesehene Kanal, und das Publikum des Onlineportals der öffentlichen Medien LSM nimmt rasant zu.


 

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