Kraftwerk
Die Pioniere des Elektropop
![Während eines Kraftwerk-Konzerts stehen Roboter auf der Bühne Während eines Kraftwerk-Konzerts in der Berliner Neuen Nationalgalerie stehen im Januar 2015 Roboter auf der Bühne, die den Bandmitgliedern optisch nachempfunden sind.](/resources/files/jpg1140/aufmacher1-formatkey-jpg-w320m.jpg)
Kraftwerk sind zweifellos der bedeutsamste deutsche Beitrag zur globalen Popgeschichte. Manche behaupten sogar, sie seien wichtiger als die Beatles.
Von Thomas Winkler
Manchmal passiert es, da wird die Vergangenheit plötzlich von der Gegenwart eingeholt. So wie im Jahr 2018, als Kraftwerk den ersten Grammy ihrer langen Geschichte gewannen. Nicht, dass der wichtigste Musikpreis der Welt die Pioniere der elektronischen Popmusik nicht schon vorher gewürdigt hätte: 2014 waren Kraftwerk für ihr Lebenswerk ausgezeichnet worden. Ein Jahr später wurde Autobahn, das legendäre vierte Album der Musikgruppe aus Düsseldorf, in die Hall of Fame, die Grammy-Ruhmeshalle, aufgenommen.
Aber es dauerte gut ein halbes Jahrhundert seit jenem historischen Jahr 1968, als sich Ralf Hütter und Florian Schneider kennenlernten und Kraftwerk gründeten, bis die Band tatsächlich einen aktuellen, echten Grammy gewinnen sollte. 3-D The Catalogue, so befand die Grammy-Jury im Jahr 2018, sei das Best Dance/Electronic Album. Damit setzten Kraftwerk sich gegen Konkurrenten wie Bonobo oder Mura Masa durch, die noch nicht einmal geboren waren, als die Düsseldorfer schon Geschichte machten.
Geburtshelfer neuer Musikströmungen
Geschichte hat die Gruppe definitiv geschrieben – der 1946 geborene Hütter, seine über die Jahre wechselnden Mitstreiter und ihre Aufnahmen aus dem legendären Kling-Klang-Studio. Kraftwerk sind zweifellos der wichtigste Beitrag, den Deutschland zur Geschichte der Popmusik geleistet hat. Oder vielleicht sogar mehr. Paul Morley, selbst bahnbrechender Popkritiker, Musiker, Labelmacher und erklärter Kraftwerk-Fan, hält sie sogar für „wichtiger, schöner und einflussreicher als die Beatles je waren“.
Längst sind Kraftwerk keine musikalischen Trendsetter mehr, aber dafür sind sie zur Institution geworden. Neue Aufnahmen sind selten, aber das Erbe wird systematisch und kompetent verwaltet. Hingebungsvoll und mit viel Geheimniskrämerei arbeitet Hütter am eigenen Mythos. Es gibt kaum Interviews, keine Details aus dem Privatleben, nur wenige, aber dann sorgsam in Szene gesetzte Fotos, keine Kooperationen – nicht einmal mit Michael Jackson, der auf dem Höhepunkt seines Ruhms in den Achtzigerjahren dem Vernehmen nach interessiert gewesen sein soll.
„Wir sind die Roboter“
Eine Zusammenarbeit mit dem King of Pop hätte die Umsätze von Kraftwerk vermutlich explodieren lassen. Ein Pop-Act aber waren sie damals schon nicht mehr, sondern ein Gesamtkunstwerk, das an der Schnittstelle zwischen menschlichem Dasein und moderner Technik forschte. Kraftwerk hatten sich nie nur als Musiker verstanden. Visuals, Inszenierung und Philosophie waren ebenso wichtig, und die Bezugnahme auf konzeptionelle Kunst war Programm. Allein dass sie Ideen und Methoden aus Dadaismus, Konstruktivismus und Bauhaus in ihre Arbeit einfließen ließen, sollte ihnen einen Platz in der Kunstgeschichte garantieren.
In Kunsträumen ist die dem Gesamtkunstwerk Kraftwerk zugrundeliegende Idee am besten aufgehoben: Die Metamorphose zwischen Mensch und Maschine, zu Beginn der Bandgeschichte noch eine Utopie, ist dank der technischen Entwicklung mittlerweile Realität geworden. Kamen Maschinenrhythmen zu Beginn noch vom Schlagzeug, lassen sich Kraftwerk heute zusehends von Puppen und Robotern vertreten – auch auf der Bühne. Kraftwerk – oder besser ihr Werk, hinter dem die Personen längst verschwunden sind – sind so aktuell wie nie.