Gemeinschaftsprojekt in Mexiko-Stadt
Rebellische Gärten

Freiwillige im Huerte Roma Verde gießt Pflanzen
20 bis 25 Personen arbeiten im Huerto Roma Verde. Dazu kommen etliche freiwillige Helfer*innen. | Foto (Detail): © Irving Cabello

Im Garten Huerto Roma Verde kann man das in Mexiko-Stadt herrschende Chaos und die Luftverschmutzung eine Zeit lang hinter sich lassen. Es handelt sich um ein experimentelles Gemeinschaftsprojekt, in dem in Reaktion auf das Konsumverhalten in den Mega-Städten nach nachhaltigen Lösungen gesucht wird.  

Von Sofía Viramontes

Der Garten Huerto Roma Verde wirkt wie eine blühende Oase inmitten der ihn umgebenden Wüste aus Autos, Lärm, Zement, schlechtgelaunten Menschen und Smog. Sobald man das – aus Dutzenden von blauen, zylinderförmig gestapelten Wasserkanistern gefertigte – Tor durchschreitet, ist mit einem Schlag alles anders: Bäume, Kieswege, bunte Wände aus natürlichen Materialien und eine durch und durch entspannte Atmosphäre.  

„Unser Ziel ist es, Personen mit ihrer Umgebung zu verknüpfen. Mithilfe von Umwelterziehung möchten wir Mensch und Natur näher zusammenzubringen und damit Widerstandsbewegungen sowie Prozesse der Selbsterneuerung und Transformation anstoßen“, erklärt Paco Ayala, der das Projekt Huerto Roma Verde vor neun Jahren ins Leben gerufen hat.  

Paco Ayala
Paco Ayala ist im Stadtviertel Roma in der Nähe des historischen Zentrums von Mexiko-Stadt aufgewachsen. Vor neun Jahren beschloss er, ein verödetes Grundstück zu einem sozial-ökologischen Experiment umzugestalten. | Foto: © Irving Cabello
Das knapp über 8.000 Quadratmeter große Gelände war einst Teil des Multifamiliar Juárez, einer Siedlung mit mehreren Mehrfamilienhäusern, die bei dem großen Erdbeben von 1985 zerstört wurde. 27 Jahre lang lag das Grundstück brach und wurde von den Nachbar*innen zur Mülldeponie umfunktioniert. Ayala, der sich selbst als „Gesellschaftsklempner“ bezeichnet, ist ganz in der Nähe des Geländes aufgewachsen und beschloss, diesem Teil des Viertels eine neue Bestimmung zukommen zu lassen.  

Der Huerto Roma Verde ist, wie sein Name bereits andeutet, ein Gemüsegarten. Gleichzeitig ist er aber noch vieles mehr. Zu Anfang fertigten Ayala und seine Mitstreiter*innen das Mandala an, wie sie den Innenkreis bezeichnen, in dem sich die Hochbeete befinden. Von dort aus wuchs das Projekt ganz organisch weiter. „Für die Beete im Mandala braucht man regenerierte Erde, sprich: Kompost“, stellt Simón Astorga fest, der die soziale Organisation im Garten koordiniert.  

Mittlerweile verfügt der Huerto Roma Verde über eine Kompostecke, in der organisches Material auf drei verschiedene Arten abgebaut wird; eine Sammlung von Pflanzensamen; einen Recyclinghof für Feststoffabfälle; einen Speicherturm, in dem Regenwasser aufgefangen wird; einige Nutztiere sowie viele Räume der Begegnung, unter anderem ein Amphitheater für Veranstaltungen.  

Ein voll funktionsfähiges Hochbeet
Ein voll funktionsfähiges Hochbeet für den biointensiven Gemüsebau: Es ist doppelt so tief wie ein gewöhnliches Beet, um den Wurzeln, der Erde und dem nährstoffreichen Kompost genügend Platz zu bieten. | Foto: © Irving Cabello

Das soziale Gewebe neu knüpfen 

Ayala ist sich sicher: Wir stehen kurz vor einem Paradigmenwechsel, ähnlich dem, der vor drei Jahrhunderten im Zeitalter der Aufklärung stattgefunden hat. Seiner Aussage nach ist es an der Zeit, Biologie, intuitives Wissen und Weiblichkeit als Wegweiser für die Zukunft zu sehen.  

Die derzeitige Massenproduktion von Lebensmitteln richtet den Planeten zugrunde. Nach einem Bericht des Weltklimarats IPCC ist die land- und forstwirtschaftliche Nutzung des Bodens für etwa 23 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich. Wenn man allerdings beispielsweisedie Rodung von Waldflächen zum Zweck der landwirtschaftlichen Nutzung in die Rechnung mit aufnimmt, dann hätte das System der globalen Lebensmittelproduktion über 30 Prozent dieser Emissionen zu verschulden.  

Eine Installation aus Plastikdeckeln
„Die Frage lautet: Wie kann man mit einem Kaffee Mutter Erde zerstören? Die Antwort: Mit einem Einwegbecher am Tag”, sagt Símon Astorga, der die soziale Organisation im Garten koordiniert, und deutet auf eine an einem Baum befestigte Installation aus Plastikdeckeln. | Foto: © Irving Cabello
Bedeutende Auswirkungen auf den Planeten hat jedoch nicht nur die reine Lebensmittelproduktion, sondern auch die Überproduktion und Verschwendung. Laut einem Bericht des UNO-Umweltprogrammes  und der britischen Organisation WRAP landeten 2019 über 931.000 Tonnen Lebensmittel im Abfall, etwa 17 Prozent der weltweiten Produktion. In Mexiko entsorgt ein Haushalt durchschnittlich 94 kg Lebensmittel pro Jahr. Damit liegen die Mexikaner*innen im lateinamerikanischen Vergleich auf den vorderen Plätzen. 

Wenn diese Abfälle nicht adäquat entsorgt werden, kommt es zu verhängnisvollen Methan- und CO2-Emissionen, die den Klimawandel maßgeblich vorantreiben. Allein in Mexiko-Stadt werden täglich rund 13.000 Tonnen Abfall produziert, das sind über anderthalb Kilo pro Person. „Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der beträchtliche Mengen an Feststoff- und Bioabfällen anfallen. Mit diesen Abfällen muss in Zukunft anders umgegangen werden und wir sollten bewusster konsumieren“, fasst er zusammen. 

Ayala ist von der sozialen Wirkung des Huerto Roma Verde überzeugt. Deshalb hat er sich für seine Arbeit drei klare Ziele gesetzt: Widerstand, Autopoiese – oder Selbsterneuerung – und Transinformation, das heißt, Neuordnung und Gleichgewicht. Um dieses Anliegen umsetzen zu können, muss das soziale Gewebe erneuert werden – und dies ist genau das, was sich dieser Ort zur Aufgabe gemacht hat: Es soll ein Netzwerk geschaffen werden, durch das die zerstörte Verbindung zwischen Erde und Menschen geflickt werden kann.    

Eine Rebellion gegen die Stadt 

Im Huerto Roma Verde werden experimentelle Lösungsvorschläge für die Umweltkrise umgesetzt. Grundlegend ist dabei selbstverständlich der Anbau von Lebensmitteln: Biologisch, saisonal, regional, voller Nährstoffe. Was hier wächst, wird an Anwohner*innen und nahegelegene Restaurants verkauft. Samen werden ausgetauscht und angepflanzt, um eine gewisse Diversität zu bewahren. Künstlicher Dünger wird dabei nicht verwendet, denn in der Natur ist alles vorhanden, was die Pflanzen brauchen.  

Wurmkisten der Kompostieranlagen
In den Wurmkisten der Kompostieranlagen werden zerkleinerte Bioabfälle von roten kalifornischen Kompostwürmern zu Hummus verarbeitet, einem der besten natürlichen Dünger. | Foto: © Irving Cabello
Ein Projekt namens Reciclaje Comunitario organisiert die gemeinschaftliche Abfallentsorgung. Die organischen Abfälle der Anwohner*innen, umliegenden Geschäfte und Restaurants werden mit denen des Huerto Roma Verde vermengt. „In unseren biologischen Behandlungsanlagen und Kompostiersystemen können monatlich bis zu elf Tonnen Bio-Abfälle zersetzt werden“, kommentiert Ayala. Das Endprodukt wird sowohl in den Hochbeeten als auch in den Gärten und Parkanlagen des Viertels eingesetzt. Feststoffabfälle werden an Sammelstellen zusammengetragen, um die Materialien umzuwandeln oder ihnen ein zweites Leben zu ermöglichen. Im Huerto Roma Verde entdeckt man beispielsweise Strukturen aus Getränkekartons, zusammengepressten Plastikflaschen, recyceltem Aluminium oder Glas.  
 

Auch in der Energieversorgung leistet der Huerto Roma Verde erfolgreich Widerstand: „Wir sind der Ansicht, dass wahre Freiheit und Unabhängigkeit nur durch Selbstverwaltung erreicht werden kann“, erklärt Ayala.
Der "Rote Punkt"
Im Huerto Roma Verde gibt es den ersten „Roten Punkt“ (Punto Rojo) in Mexiko-Stadt. Es handelt sich um einen sicheren und geschützten Raum für Frauen, die ökologische Methoden für ihre Monatshygiene verwenden. Das hier abgegebene Menstruationsblut wird zur Düngung der Heilkräuter verwendet. | Foto: © Irving Cabello
 „Wir müssen zum Beispiel mit diesem hierarchischen, zentralisierten, vertikalen und patriarchalen Paradigma brechen, in dem wir kein Gas von Unternehmen beziehen. Das gilt auch für die großen Lieferketten für Lebensmittel. Wir sind absolut abhängig von einem zentralisierten System. Wenn wir Personen und Gesellschaften schaffen, die sich selbst versorgen, dann verschieben wir damit das Machtsystem.“ Dank des aufgefangenen Regenwassers, der Verwendung von erneuerbaren Energien und der Produktion von Biogas ist der Huerto Roma Verde fast vollständig Selbsterzeuger und ist damit eine Insel der Nachhaltigkeit inmitten dieser chaotischen Metropole. 

Zwar handelt es sich derzeit noch um eine einsame Initiative, doch es werden bereits ähnliche Projekte an anderen Orten der Stadt und des Landes ins Leben gerufen. Ayala steht zudem in ständigem Kontakt mit Menschen aus aller Welt, die seine Idee in ihrer Heimat reproduzieren möchten. Diese Art Gartenprojekte könnten überall nachempfunden werden, versichert er. Man müsse sich nur nach den jeweiligen Bedürfnissen der Orte und ihrer Bewohner richten.  
 

Wie werden Lebensmittel wieder zu “Mitteln fürs Leben”? 

Essen gehört zu den grundlegendsten Dingen des Lebens. Doch unser globales Ernährungssystem ist zu einem gewaltigen Problem geworden. Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sind mittlerweile so stark industrialisiert, dass gleich mehrere Belastungsgrenzen unseres Planeten überschritten werden – zum Beispiel durch Abholzung, Wasserverbrauch, Monokulturen oder Stickstoffbelastung. Allein die Landwirtschaft verursacht rund ein Viertel der globalen Treibhausgasemissionen. Haupttreiber ist der gestiegene Fleischkonsum. Die meisten Tiere leben nur, um geschlachtet zu werden. Und anders als im Energiesektor, wo durch die Erneuerbaren eine konkurrenzfähige Alternative vorhanden ist, ist der ökologische Landbau immer noch ein Nischenphänomen. Dennoch – es gibt zahlreiche Ideen und Projekte, um unser Ernährungssystem wieder naturverträglicher zu gestalten. In unseren Reportagen zum Thema Ernährung schauen sich unsere Autor*innen drei von diesen Lösungsansätzen genauer an. 

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