Energiewende
Ziviler Ungehorsam fürs Klima

Deutschland hat den Kohleausstieg beschlossen, doch in den rheinischen Braunkohlerevieren lässt der Energiekonzern RWE weiter Wälder roden und Dörfer umsiedeln. Der Widerstand dagegen ist vielfältig: von „Ende Gelände“ bis „Triole gegen Kohle“.
Von Bernd Müllender
Der Wind bläst kräftig über das Braunkohlerevier Garzweiler nahe Mönchengladbach an diesem Tag. Unten im Tagebau schaufeln Bagger pausenlos das braune Gold aus der Erde. Doch nicht nur Kohle wird hier gewonnen, auch an die hundert Windräder kann man rund um dem kleinen Ort Lützerath zählen, der direkt an der Tausende Hektar großen Kohlegrube gelegen ist. Nur, warum steht die Hälfte still?
Kaputt sind die Turbinen nicht: Sie sind ausgeschaltet, weil das Netz gesättigt ist. Ist genug Energie vorhanden, wird die Stromproduktion heruntergefahren – und weil sich die betagten Braunkohle-Kraftwerke nebenan nicht einfach in ihrer Arbeit unterbrechen lassen, ruhen die Windräder, während die Bagger weiterschaufeln. So verhindert die Trägheit der Kohleindustrie hier sehr direkt, Tag um Tag, Stunde um Stunde, die Gewinnung und Nutzung erneuerbarer Energien.
Die Bagger neben den Windrädern – in Lützerath ist der Konflikt zwischen Kohle und erneuerbaren Energien greifbar. Hier stehen sich Kohlekonzern und ziviler Widerstand gegenüber, unberührte Natur versucht neben dem Tagebau zu bestehen. In Lützerath stehen kaum noch zehn Häuser, hier wohnen offiziell gemeldet nur noch drei Menschen. Dennoch – oder gerade deshalb – ist dieser Winzling von Weiler direkt am größten Kohleloch Europas das neue Symbol für den Kampf gegen die klimaschädliche Technologie Braunkohle geworden. Der Grund: Das schon größtenteils geräumte Dorf soll dem Kohleabbau Platz machen.
Von Baumbewohnern und Baggerbesetzerinnen
Gegen die Braunkohle lehnt sich seit Langem ein breites Bündnis auf. Am auffälligsten sind die Leute von „Ende Gelände“ in den weißen Maler*innenkitteln, die sie bei ihren Besuchen und Besetzungen im Tagebau tragen. Sie nennen sich selbst „Zusammenschluss ungehorsamer Klimagerechtigkeits-Gruppen“, sind offiziell im Visier des Landesverfassungsschutzes und werden daher von vielen Medien als „linksextremistisch“ eingestuft.
An diesem Tag ist ihre Sprecherin Emilia Lange vor Ort. Sie sagt, die dezentrale Arbeit in vielen Städten, lokale Zusammenschlüsse und kleine Übungsgruppen machten den Erfolg der Gruppe aus, die sich mit Aktionen zivilen Ungehorsams vor allem gegen den Abbau fossiler Energieträger einsetzt.
Die Solidarität der Anwohner*innen mit den Anti-Kohle-Aktivist*innen ist groß. Sie versorgen die Waldbesetzer*innen sowohl im Tagebau Hambach als auch in den Garzweiler-Dörfern regelmäßig mit Lebensmitteln und Ausrüstung. Sei es die ältere Dame, die nach einer Führung so begeistert vom Engagement der jungen Menschen war, dass sie abends mit ein paar Kuchenblechen zurückkehrte, oder die Witwe eines Alpinisten, die bergeweise Kletterausrüstung in den Wald brachte. Viele Besetzer*innen haben zudem „Alltagspat*innen“ in den umliegenden Dörfern: Menschen, bei denen sie ihre Wäsche waschen oder duschen können.
Bei den Protesten stehen sie zudem oft Seite an Seite: die Anwohner*innen, organisiert in der Bürgerinitiative „Alle Dörfer bleiben!“, und die Aktivist*innen – so auch in Lützerath. Die Mitglieder der Bürgerinitiative, das sind Landwirt*innen, Angestellte, Schüler*innen oder Handwerker*innen aus den umliegenden Dörfern, die sich weigern, ihre Heimat aufzugeben: „Wenn hier der Kampf gewonnen wird, sind auch wir safe“, sagt eine Frau aus dem benachbarten Keyenberg.
Der Bauer, der sein Land nicht aufgibt
Ob sie den Ort werden retten können? Mit Baggerbesetzungen, Konzerten und Sitzblockaden allein wahrscheinlich nicht. Aber auch hier in Lützerath könnte eine Wendung wie 2018 im Hambacher Forst möglich sein, wo das Oberverwaltungsgericht Münster die Rodung direkt nach der Räumung des Waldes für unrechtmäßig erklärte. Im September 2021 stufte das Verwaltungsgericht Köln sogar die vorangegangene Räumungsaktion durch rund 4.000 Polizist*innen und Kosten von geschätzt 50 Millionen Euro nachträglich als illegal ein.
Viele Menschen unterstützen Bauer Heukamp vor Ort. Einige, wie zum Beispiel die Seawatch-Kapitänen Carola Rackete, wohnen sogar auf seinem Gehöft oder den anliegenden Wiesen und Wäldern. Andere zeigen ihre Solidarität durch Spenden, damit Heukamp die bislang 90.000 Euro für Gutachten sowie Anwalts- und Gerichtskosten schultern kann. „Was hier passiert, ist ein Verbrechen den künftigen Generationen gegenüber“, sagt eine Frau, die zu den Protesten gekommen ist.
Tag X
Was die Demonstrant*innen in Lützerath als „Verbrechen an den künftigen Generationen“ bezeichnen, findet nicht nur hier statt – und nicht nur hier regt sich Widerstand. Von Bangladesch bis England, von China bis zu den USA demonstrieren Bürger*innen gegen Smog, blockieren Aktivist*innen Kohletransporte und ziehen mit Klagen vor Gericht. In Südafrika beispielsweise halten sich heftige Proteste, nachdem dort im Herbst 2020 eine Anti-Kohle-Aktivistin in ihrem Haus erschossen wurde, in Indien begaben sich Indigene Völker im Oktober 2021 auf einen 300 Kilometer langen Protestmarsch und in Australien gewannen acht Teenager eine Klage gegen die Umweltministerin, die nun verpflichtet ist, bei potenziellen weiteren Kohleprojekten einzugreifen.
In Deutschland erscheint die politische Lage grundsätzlich besser: Die Bundesregierung hat der Kohle ein Ende gesetzt – jedoch erst für 2038. Doch bis dahin möchte der Energiekonzern RWE seinen Tagebau weiter betreiben und Milliardensubventionen in Anspruch nehmen. Im Laufe der Jahrzehnte hat die Kohle die Heimat tausender Menschen zerstört, Baudenkmäler und Kirchen sind ihr zum Opfer gefallen, ebenso wie Kulturlandschaften, gesunder Boden und intakte Natur. Von der Politik wurde unter anderem die Zukunft der Arbeitsplätze immer wieder als Grund genannt, weshalb der Kohleausstieg nicht schneller möglich sei. In den 1960er-Jahren waren es auch noch bis zu 100.000 Menschen, die in den rheinischen Revieren arbeiteten. Heute aber sind es nur noch etwa 9.000.
Die Braunkohlebagger, mit 240 Metern Länge und 100 Metern Höhe die weltweit größten Maschinen, graben derweil wie monströse Uhrwerke weiter in den bis zu 400 Meter tiefen Gruben. Ob es bis 2038 so weiter geht? Vorher kommt womöglich Tag X, von dem die Aktivist*innen oft reden – der Tag, an dem der Abriss der ersten leerstehenden Häuser in Lützerath beginnen soll. Und damit Ende Gelände: „Da werden wir alle vor Ort sein“, sagt Emilia Lange, in Kolonne, zu hunderten, „im Schutz der Anonymität, mit unseren Maler*innenkitteln“.
Wie kommen wir weg von fossiler Energie?
Ungefähr 90 Prozent aller Treibhausgasemissionen sind auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückzuführen. Die Nutzung fossiler Energie ermöglichte seit der Industrialisierung das kontinuierliche Wirtschaftswachstum im sogenannten Globalen Norden – der damit den Klimawandel hauptsächlich verursacht hat. Von den Folgen sind aber vor allem Länder aus dem sogenannten Globalen Süden betroffen. Dabei sind Wind und Sonne mittlerweile in 85 Prozent der Ländermärkte die billigsten Formen der Stromerzeugung, wenn es um den Bau neuer Kraftwerke geht. Noch sieht die Energiewelt allerdings insgesamt nicht sehr erneuerbar aus, laut der Internationalen Energieagentur hatten fossile Energieträger 2019 noch immer einen Anteil von vier Fünfteln am Primärenergieverbrauch weltweit. Das muss sich ändern. In unseren drei Reportagen zum Thema “Fossile Energie” schauen sich die Autor*innen drei Lösungsansätze zur Energiewende an und fragen, wie wir unsere Wirtschaftsweise ändern können.