Karl Ove Knaugård og bandet "Vankel"
Trommelnd in der Nacht

Karl Ove Knausgård in seinem Heimatort Arendal
Karl Ove Knausgård in seinem Heimatort Arendal | Foto: ©Canal Street

Eine rein zufällige Begegnung von Webredakteurin Jutta Martha Beiner mit dem norwegischen Schriftsteller Karl Ove Knausgård.

Wer hätte schon gedacht, was sich in einem Hinterhof in den Straßen Arendals, diesem skandinavischen Touri-Ort in Aust-Agder, an der Südküste Norwegens, so alles ereignen kann? Gefühlte 70 Prozent aller Norweger haben in diesem provinziellen Landstrich ihre Ferienhütte, behaupte ich nach zehn Jahren im Land. Karl Ove Knausgård ist jedenfalls der Letzte, den hier zu treffen ich mir ausgemalt hätte. Nichts als ein paar ruhige Tage des Urlaubs wollten von mir und Familie auf diesem naturschönen Flecken Erde verbracht werden.  
Dass Knausgård aus Arendal stammt, auf der Halbinsel Tromøya bis zum 13. Lebensjahr aufwuchs, wusste ich damals gar nicht.
Jetzt ist er für einen Abend zurückgekehrt und adelt mit seiner Anwesenheit den arendalschen Veranstaltungskalender.  
 
Das Treiben auf den Straßen verliert bereits an Tempo. Doch die grelle Nordsonne beleuchtet  weiterhin Land, Leute und die  Wogen am Pollen, der Kaimeile. Ganz in der Nähe, im Bankgården, zwischen hohe Mietshauswände gepresst, sitzt Knausgård auf einer erstaunlich nach oben ragenden, zusammen gezimmerten Bühne im Freien. Der lokalen Kulturredakteurin Karen Kristine Blågestad steht er nun Rede und Antwort. Sie arbeitet für die regionale Tageszeitung Fædrelandsvennen/Der Vaterlandsfreund. Bei dem Blatt schrieb Knausgård als Gymnasiast in den 70er Jahren Musikrezensionen. Wenn alle Worte gesagt sind, wird er am gleichen Ort noch als Schlagzeuger mit seiner aus Studentenzeiten stammenden Band Vankel  vor Zuschauern rocken.

Stimuliert Dopamin-Rezeptoren

Wie die halbe Welt mit mir, bekenne ich mich als Liebhaberin - vielleicht sollte ich sogar sagen Junkie - von Knausgårds Werk. Die Lektüre seiner ausufernd langen Bücher stimuliert auf mystische Weise Dopamin-Rezeptoren. Man will mehr. 
Männer und Frauen, die die Midlife-Crisis schon vor Jahren auf die eine oder andere Art bewältigt haben, hocken um mich herum, dicht gedrängt auf ihren Plätzen, recken die Hälse und starren – ja sie wirken gebannt – auf ihn: KARL OVE. Er ist zurück, Karl Ove, IHR Karl Ove, lang ist es her, inzwischen Mega-Star der internationalen Literaturszene, einer der ihren und doch meist so fern und von manchem im Land aus Prinzip verschmäht und eine klare Absage erteilt. ”Das macht man nicht”, empörten sich nicht wenige ethisch geschulte Köpfe des Landes. Nach deren Philosophie gibt kein Aufrechter detaillierte Ereignisse des eigenen Familienlebens der Öffentlichkeit preis. So teilte Knausgård vor allem in Norwegen die Geister – entweder überbordende Bewunderung oder ebensolche Ablehnung.

Karl Ove Knausgård am Schlagzeug Foto: ©Canal Street

”Ich bin heute Abend ganz schön nervös”

”Hast du Angst, dass hier jemand noch ein Huhn mit dir zu rupfen hat”, nimmt dann auch Blågestad ihren Gast gleich in die Mangel. ”Ja“, räumt der weltberühmte Autor ein. ”Ich bin heute Abend ganz schön nervös.” Normalerweise komme das nicht mehr so oft vor. Wenn er auch die Publicity scheut und am liebsten in seinem Haus in der Nähe des schwedischen Malmø oder in London, wo er ebenfalls lebt, in aller Herrgottsfrühe schreibt. Er hat sich inzwischen offenbar an seine enorme Bekanntheit und deren Folgen gewöhnt.

Von der hohen Bühne herab erzählt er, angenehm ruhig und down to earth, im kornblumenblauen Hemd, von der schwierigen Zeit, als sein sechsbändiger autobiographischer Romanzyklus*  in Norwegen neu erschien.
Jeder kann es selber in den Autobiographien nachlesen - vom wütenden Onkel Gunnar (der in Wirklichkeit anders heißt), von Drohungen, die von Fremden per SMS über ihn schwappten,  und wie er von seiner ersten Ex-Frau Tonje, in einer Radiosendung des norwegischen NRKs, erfuhr, wie verletzend es für sie war, Einzelheiten aus ihrer Beziehung in seinem Buch wieder zu finden.
 
Dem Publikum des Abends, ob Touristen oder Einheimische, scheint derart schmutzige Wäsche eher nebensächlich. Sie applaudieren. Sie lachen. Sie sind entzückt. 

”Was hat dir das Recht gegeben alle auf diese Weise auszuliefern? Meinst du deine Bücher sind wichtiger als unsere Leben”, beharrt Blågestad auf ihre piätistische Kritik. Die Moderatorin klingt forsch. Karl Ove hingegen bleibt gelassen: Nein, das glaube er nicht. Das Recht habe er sich genommen, weil es so dringlich für gewesen sei.
Für ihn sei es ohnehin nicht leicht, sich mit dem Literatur-Star, als der er gesehen wird, zu identifizieren. Doch so einfach lässt sich Blågestad nicht aus ihrer Spur bringen: ”Sollte man nicht über etwas Größeres schreiben als über sich und seine Kumpels”, bohrt sie weiter.

”Gibt es überhaupt etwas Größeres als das Leben”, kontert erstaunt von so viel Hartnäckigkeit Karl Ove Knausgård. Schließlich ginge es um Erfahrungen. Literatur könne sich der Wirklichkeit eben auch auf radikale Weise nähern. Und spätestens, als er erzählt wie sehr er bei seinen poetischen Naturbeschreibungen auf genau diese Landschaft seiner Kindheit und keine andere, Tromøya, Arendal schöpft,  scheint die Entrüstung der Moderatorin aufzuweichen.

Das Highlight dieser Veranstaltung steht nun unmittelbar bevor: Mit Bruder Yngve und dem Rest seiner Band Vankel, der Name des Protagonisten seines ersten Romans, wird Knausgård in Kürze vorübergehend die Kunst wechseln und sich am Schlagzeug betätigen. Schreiben sei auf eine Weise grenzenlos. Zu Trommeln bedeute für ihn, die Kunst der Begrenzung zu beherrschen, hat er einmal gesagt. Ein guter Schlagzeuger sei er nicht, versäumt er auch heute Abend nicht zu versichern, bevor er sich mit den anderen Musikern auf die Bühne begibt.

Vankels Musik entpuppt sich nur eine viertel Stunde später als solider Rock, der gerade Live  das Publikum berührt. Die Band mit den Knausgård-Brüdern gibt eine gute Stunde lang alles.

Link zum Interview: