Pazifik-Leipzig Residenzprogramm
Ethnizität und Diaspora

Drei Frauen sitzen an einem felsigen Strand
Photo: Kasmira Krefft and Commissioned by Enjoy Gallery

Der Video- und Performancekünstler Christopher Ulutupu wurde für eine dreimonatige Künstlerresidenz im Kunst- und Kulturzentrum Leipziger Baumwollspinnerei ausgewählt. Die Residenz ist ein Gemeinschaftsprojekt des LIA (Leipzig International Art Programme) und des Goethe-Instituts.
 

Von Dilohana Lekamge

Der im neuseeländischen Wellington lebende Ulutupu bezieht seine Inspiration aus der multikulturellen Stadt, in der er lebt, und der samoanischen Familie, in der er aufwuchs. Seine gemischte ethnische Identität, darunter samoanische, niueische und deutsche Abstammung, spiegelt auch seine spürbare Neugier wider, Funktionen und Schnittstellen von Rasse zu untersuchen. Die Diversität seiner Ensembles macht auf die vorgefassten stereotypen Assoziationen aufmerksam, die mit verschiedenen Arten von Körpern verbunden werden. Ulutupu hinterfragt den kolonialen Blick und lässt sich von den Erzählungen, Traditionen und der Geschichte seiner Familie inspirieren, um sein Erleben der pazifischen Diaspora zu präsentieren.
 
Wie in vielen seiner Arbeiten besetzt Ulutupu auch Dreaming of Lulu mit einer Reihe von Freund*innen und Familienmitgliedern. Gelegentlich verkörpern sie Versionen ihrer selbst oder einer anderen dem Künstler nahestehenden Person. Ulutupu wartet in dieser Serie mit seiner Interpretation von Musikvideos zu samoanischen Liebesliedern auf, mit denen er aufwuchs, und setzt Kostüme und Perücken im Stil der 70er Jahre ein, um die Zeit widerzuspiegeln, in der diese Lieder geschrieben wurden. Zusammen legen die Kleidung und die gestaffelten, langsamen Gesten eine spielerische Affektiertheit an den Tag und erzeugen so ein surreales Betrachtungserlebnis, das gleichzeitig unterhaltsam und kritisch ist.
 
Gesang und Performance sind in Ulutupus Praxis sich wiederholende Mittel und tragen zur exzentrischen Qualität seiner Arbeit bei. In der Vergangenheit baute er in seine Videos Karaoke, schlecht abgestimmtes Playback und A-cappella-Darbietungen ein und verwies den/die Betrachter*in mithilfe der Musik auf eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort. Für den Künstler selbst wurzeln seine musikalischen Entscheidungen in Nostalgie und Tradition und erinnern an die Zeiten, in denen er und seine Familie diese Lieder mitzusingen pflegten, von Boney Ms Brown Girl in the Ring bis hin zu samoanischen Klassikern von Penina O Tiafau und Tiama‘a. Dabei stellt er die zentrale Rolle in den Vordergrund, die Musik in jeder Kultur einnimmt, und wie sie denjenigen, die fern ihrer Heimat leben, die Möglichkeit bietet, zumindest für die Dauer eines Liedes in Gedanken dorthin zu reisen.
 
Der Fokus auf Örtlichkeit erstreckt sich auch auf die visuellen Aspekte von Ulutupus filmischen Werken. Seine Erfahrung als Artdirector und Szenenbildner in der Filmindustrie trägt zur ausgeklügelten Komposition seiner Szenen bei, in denen er fortlaufend das Konzept der Fantasie ergründet. Seine Kulissen reichen von schneebedeckten Bergen über Sandstrände bis hin zu üppig grünen Buschpfaden. Diese malerischen Landschaften bilden den Hintergrund seiner Szenen und erinnern an Postkarten, die die idealisierte Landschaft eines fremden Landes zeigen.

  • Eine Frau und ein Mann halten sich im Arm und schauen in die Kamera Photo: Kasmira Krefft and Commissioned by Enjoy Gallery
  • Drei Frauen sitzen an einem felsigen Strand Photo: Kasmira Krefft and Commissioned by Enjoy Gallery
  • Chris Ulutupu, Portrait © Chris Ulutupu

In Dreaming of Lulu beispielsweise fügt er die meisten dieser Hintergründe in der Postproduktion hinzu und platziert sein tanzendes und Playback singendes Ensemble vor gefundenen Bewegtbildern von sich brechenden Wellen, Sonnenuntergängen am Strand und sogar den Planeten und Sternen im Weltall. In einem Werk dieser Serie stellt er drei Frauen vor den realen Hintergrund eines Felsstrandes, wo sie sich in ihren Retro-Kostümen wiegen und das Bild einer Pasifika-Frauenband aus vergangenen Zeiten verkörpern. Die Beleuchtung ist so eingestellt, dass sie jede Person hervorhebt und ihre Bewegungen betont, die zur Erzählstruktur des Werks als Ganzem beitragen. In seiner Reflexion über samoanische Traditionen des Dienstes an der Gemeinschaft setzt Ulutupu diese fokussierte stilistische Wahl zur Untersuchung der Auffassung ein, dass auf die Bedürfnisse und Kritikpunkte einer einzelnen Partei zum Nutzen der Gesamtheit eingegangen werden kann, um sicherzustellen, dass eine größere Gruppe für ihre Mitglieder funktioniert.
 
Auch wenn er seine künstlerische Praxis als Plattform nutzt, um diejenigen Aspekte seiner Kultur zu präsentieren, die ihm am Herzen liegen, ergreift er auch die Gelegenheit, ihre subtileren Komplexitäten zu untersuchen. Seine fantasiereichen Erzählungen veranschaulichen visuell die Tendenz, die eigene Kultur zu idealisieren, wenn man Teil ihrer Diaspora ist. Sein Wunsch, lebhafte und romantisierte Bilder zu schaffen, entstammt seinem persönlichen Bestreben, zeitgenössische pazifische Kultur zu präsentieren und seiner Community in einer Branche, in der sie weitgehend unsichtbar bleibt, eine visuelle Repräsentation ihrer selbst vorzustellen. Seine Vorliebe für das Geschichtenerzählen, kombiniert mit seinem filmischen Blick, erlaubt dem/der Zuschauer*in, in Ulutupus endlose anthropologische Neugier einzutauchen und einen Blick in seine kreativ motivierte Reaktion darauf zu werfen, Mitglied der in Aotearoa lebenden pazifischen Community zu sein.
 
Während seiner Künstlerresidenz in Leipzig möchte Ulutupu das Leben in Deutschland als „Tourist“ erfahren. Diese neue Serie von Arbeiten wird die Interaktionen der Menschen untereinander und in den öffentlichen Räumen der Stadt untersuchen. Mithilfe eines Vergleichs dieser Beobachtungen mit den sozialen Konventionen in seiner neuseeländischen Heimatstadt Wellington möchte Ulutupu Universalität und Unterschiedlichkeit in unserer heutigen globalen Gemeinschaft erforschen.