Literarisches Gespräch Johann Wolfgang von Goethe: kann man leben lernen?

Büste von Goethe Foto (Ausschnitt): © Goethe-Institut/Bernhard Ludewig

08.06.2017, 19:00 Uhr

Goethe-Institut Lissabon

Leituras Cruzadas - Mit Maria Filomena Molder

Am 8. Juni spricht die Professorin für Philosophie Maria Filomena Molder im Rahmen der Reihe Leituras Cruzadas - Literarische Gespräche in der Bibliothek über Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre. Das Gespräch wird moderiert von Filipa Melo.
 
„Die ausgewählten Auszüge aus Wilhelm Meisters Lehrjahre (alle aus dem Achten Buch) möchten den Leser in die Seltsamkeit eines Werkes einführen, in dem seinerseits „seltsam“ und „sonderbar“ (manchmal auch „wunderbar“ und „wunderlich“) zu den häufigsten Adjektiven zählen, welche auf Personen, Stimmungen, Handlungen, Einstellungen, Situationen, Ereignisse, Gegenstände und sogar Pflanzen, Tiere und Steine angewandt werden. Mignon ist, wenn man so will, das intime Herz dieser Seltsamkeit.

In Goethes Romanen nimmt das dramatische Element stets den ersten Rang ein. In Wilhelm Meisters Lehrjahren jedoch wird diese Tendenz sowohl von der Handlung als auch von der rhythmischen Form überdeckt. Wir sind überrascht beim Lesen der sich aneinanderreihenden, sich überschneidenden, ineinander enthaltenen dramatischen Szenen, welche im letzten Buch mit der Auflösung aller Rätsel ihren Höhepunkt erreichen, was jedoch in keiner Weise den unberechenbaren Charakter (um ein weiteres Lieblingsadjektiv Goethes zu verwenden) des Werkes mindert. Oder, mit anderen Worten, das größte Geheimnis bleibt verborgen. Auch Friedrich Schlegel, einer der wichtigsten Leser Goethes, betont diesen Aspekt des Dramatischen und sieht in ihm einen Ausdruck von Musikalität.

Das gesamte Werk baut auf Gegensatzpaaren auf – innen/außen, Individuum/Gesellschaft, Intimität/Welt, Leidenschaft/Handeln –, welche niemals in einer Synthese zusammengeführt oder aufgelöst werden. Seine Atmosphäre: Chaos und Ordnung, Gelassenheit und Eifer, Sinnlichkeit und Zurückhaltung. In Wilhelm Meister, in dessen Nachnamen ein scherzhafter Ernst mitschwingt, erreicht das Spiel seinen Höhepunkt.

Laut Aristoteles gibt es Handlungen, deren Zweck in ihnen selbst liegt, und Handlungen, deren Zweck ein äußeres Ziel ist, das es zu erreichen gilt. Lernen zählt zu dieser zweiten Art von Handlungen. Aber trifft dies auch auf Wilhelm Meisters Lehrjahre zu?“

Maria Filomena Molder
 

Maria Filomena Molder ist Inhaberin des Lehrstuhls für Philosophie an der Universidade Nova de Lisboa (Faculdade de Ciências Sociais e Humanas). 1992 promovierte sie mit einer Arbeit über Das morphologische Denken von Goethe. Sie ist Mitglied des Instituto de Filosofia da Linguagem der Universidade Nova de Lisboa und war von 2003 bis 2009 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Collège International de Philosophie in Paris. Sie schreibt für verschiedene Philosophie- und Literaturzeitschriften über Ästhetik im Spiegel von Erkenntnis und Sprache, für Kataloge u. ä. außerdem über Kunst und Künstler. Jüngste Publikationen: Símbolo, Analogia e Afinidade, Vendaval, 2009. O Químico e o Alquimista. Benjamin, Leitor de Baudelaire, Relógio d'Água, 2011 – Essay-Preis des Pen-Clubs 2012. As Nuvens e o Vaso Sagrado, Relógio d'Água, 2014. Rebuçados Venezianos, Relógio d'Água, 2016.

Filipa Melo ist Literaturkritikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie wurde 1972 in Angola geboren und arbeitet seit über 20 Jahren als Expertin für portugiesische und klassische Literatur, tritt als Literaturexpertin in Presse und Fernsehen auf, moderiert Lesezirkel und Literaturveranstaltungen und bietet Workshops für kreatives Schreiben an. Sie schrieb den Roman Este é o meu corpo, der in sieben Sprachen übersetzt wurde.
 
Die Leituras Cruzadas, moderierte literarische Gespräche in der Bibliothek, geben dem Publikum die Gelegenheit, sich mit einem Gast aus der portugiesischen Kulturszene über seine deutschen Lektüren auszutauschen. Ob Klassiker oder Zeitgenosse, Prosa oder Poesie - die Leituras Cruzadas bieten ein Forum für Literaturgespräche zu aktuellen Themen und interessanten Autoren.

 

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