Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Rumänien

Übersetzung: Artikel von Hubert Stuppner, (Komponist, Jurymitglied des Kompositionswettbewerbs "George Enescu", 2022), 28.09.2022, CIMRO
Hubert Stuppner: Über “Opera in Your Pocket”

Artikel im Original

Wie originell sind die neuesten Werke der Avantgarde? Die Kunst der Gegenwart – und das gilt im Westen wie im Osten - ist schon lange nicht mehr autonom, sondern, was Adorno als den Makel des reinen Kunstwerks ansah, heteronom, fremdbestimmt. Die einzelnen Kunst-Organe funktionieren nicht mehr für sich selbst, sondern nach Assonanzen und Adhärenzen. Das heißt: Die ehemals autonome Musik ist mit außermusikalischen Bedeutungen befrachtet, mit Mythen, Moden, Mythologien.

Die Erkenntnis, die man unlängst aus dem einmaligen, klug konzipierten und vorbildlich einstudierten Bukarester „Opera in your pocket“ gewann, war just dieser Tatbestand, aber noch mehr die Einsicht, dass sich die mitteleuropäische Neue Musik von jener aus Osteuropa darin unterscheidet, dass in Mitteleuropa die kopflastige „Philosophie auf die Künstler übergegangen ist“, wie Hugo Ball es schon damals in der „Flucht aus der Zeit“ voraussagte, während der Osten Europas neue und durchaus avantgardistische Kunst einem hautnahen Schönheitsbegriff zuordnet, oder wie es die Gehirnforscher nennen, dem Bedürfnis nach „Wellformedness“, Wohlklang und musikantischer Lust mit dem virtuosen Spiel der Töne.. In den Ländern Mitteleuropa ist die Neue Musik immer noch auf der Suche nach dem erfindbaren Unerhörten, verkehrt deshalb auch am liebsten in den hermetisch abgezirkelten „Tagen der Neuen Musik“.

Das Anliegen der Veranstalter des genannten Bukarester Projekts - des Goethe-Instituts einerseits, vertreten durch den Kurator Robert Lehmeier, und der Universität Bukarest andererseits, vertreten von dem Librettisten Theo Herghelegiu, dem Bühnenbildner Adrian Damian und vor allem vom Komponisten Dan Dediu, dem Lehrer eines der gefeierten Komponisten – war, wie es im Booklet hieß, „Musiktheater hautnah erleben“ zu machen, also nicht, das avantgardistisch Wahre gegen das musikalisch Schöne und Unmittelbare auszuspielen.      

Dass dieses Konzept aufging, bewiesen ein voll besetzter Saal, eine Aufführung, die auch noch am 2. Tag ausverkauft war, ein Publikum, das sich vom Gebotenen hinreißen ließ und begeistert applaudierte. Die Aktualität der drei Bühnenstoffe – drei Kurzopern von je einer Dauer von ja 30 Minuten – waren ein Grund für das starke öffentliche Interesse und die dramaturgisch induzierte Spannung: In der ersten Kammeroper mit dem Titel „Es ist deine Schuld“ (Libretto: Mara Carutasu: Musik Simona Strungaru, die ihr Werk auch dirigierte) ging es um ein kriminelles Ereignis von 2019, in „Geld, Geld, Geld“ (Libretto: Gabriel Corneanu, Musik: DanDe Popescu) um Erbschaft, und in „Die Ursuppe“(Libretto: Ruxandra Simion, Musik: Sebastian Androne-Nakanishi, der auch am Text mitarbeitete) um eine Ehekrise zwischen einer Klimatologin und einem Komponisten. Der andere, viel wesentlichere Grund war jedoch die Qualität der Musik, einer artistisch einmaligen Synthese von vokaler und instrumentaler Virtuosität, von Tanzgeläufigkeit – und Bewegungs-Agilität und vor allem von Aktualität und Modernität, die vom beschwingten Dreiertakt bis zu allen erdenklichen Luftsprüngen im Stile der ausgelassen instrumentalen Manieren reichten. Der herrlichste Eklektizismus von Musikern, die ihr Metier wie Taschenspieler und Seiltänzer beherrschen. Alles souverän einstudiert und effektvoll geleitet von der jungen Komponistin und Dirigentin Simona Strungaru, die nicht nur die variablen Metren schlug, sondern, wie an ihren Lippen abzulesen, alle Texte mit artikulierte.

Ein großartiger Opernabend mit der anderen zeitgenössischen Musik, die so expressiv und ausdrücklich, manchmal sogar aufdringlich klingt, dass man ihrer Spontaneität nicht widerstehen kann. Sie ist wohl deshalb so genuin und ansprechend, weil sie jene Erkenntnis verwirklicht, die Heinrich Neuhaus zu seinem Leitspruch machte, als er in sein Buch zur „Kunst des Klavierspiels“ den Satz von Pasternak schrieb: „Das Gehör ist ein Organ der Seele."

 

Top